Ich darf nichts sagen.. Johanna E. Cosack

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Ich darf nichts sagen. - Johanna E. Cosack

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bemuttern. Bleib hier – unseretwegen.«

      »Stell dich doch nicht so an. Michi, ich kann Max doch nicht einfach hängen lassen. Er ist mein Bruder …«

      »… und wer bin ich? Oder was bedeute ich dir überhaupt noch? Es sollte doch unser Abend werden. Seit du zwölf bist, sorgst du für ihn. Glaubst du nicht, dass du deine Fürsorge so langsam übertreibst?«

      »Wieso? Was ist denn nur los? Max kann ja noch nicht einmal sein Taxi bezahlen. Ich muss hin. Versteh mich doch.«

      Seine schmale Gestalt fiel in sich zusammen und ein Ausdruck verzweifelter Traurigkeit überschattete Michis hageres Gesicht. Die dunklen Augen schienen Nina durch die Intensität seines Blickes festzuhalten. »Seit fast fünfzehn Jahren versuche ich schon, dich zu verstehen, Nina. In der ganzen Zeit habe ich Rücksicht genommen, auf deinen Job und noch mehr auf deine Verantwortung für deinen Bruder. Aber ich brauche dich doch auch! Und zwar ganz und nicht nur den Teil von dir, der nach deinem Beruf und deinem Bruder noch für mich übrig ist.«

      Mit Tränen in den Augen, aber den Autoschlüssel schon in der Hand, hielt Tina vor der Haustür inne: »Michi, Schatz! Jetzt mach doch keine Szene wegen dieser Kleinigkeit. Ich hole Max jetzt ganz schnell und dann machen wir uns einen schönen Abend. Es geht nicht anders.«

      Michael folgte ihr in den Flur. Mit brüchiger Stimme sagte er leise: »Nina, ich habe vor ein paar Tagen die Zusage für eine freie Dozentenstelle an der Musikhochschule in Rom erhalten. Es sollte eine Überraschung für dich sein und für uns eine Chance wieder zusammen zu finden. Ein Leben ohne dass dein Bruder zwischen uns steht.«

      Zwischen uns? Aber er ist doch ein Teil von mir, dachte Nina, dann rannte sie wortlos hinaus.

      Zwei Stunden später parkte sie den Wagen erneut vor ihrer Haustür und versuchte die knapp neunzig Kilo schwere Gestalt ihres betrunkenen Bruders vom Beifahrersitz zu ziehen.

      »Na, Ihr Mann hat aber ganz schön getankt«, bemerkte ein alter Mann, der von der anderen Straßenseite zu Hilfe kam. Eine dicke Wollmütze war tief in sein zerfurchtes Gesicht gezogen, strähnige Haare reichten bis auf die Schultern, auch seine Kleidung schien sonderbar. Nina erschrak zunächst, doch dann schoben sie Max gemeinsam die wenigen Stufen hoch. Trotz der Anstrengung fröstelte sie plötzlich und vom Bieratem ihres Bruders war ihr übel.

      »Vielen Dank für Ihre Hilfe, aber er ist nicht mein Mann. Es ist mein Bruder und glücklicherweise kommt er nicht oft in diesem Zustand nach Hause.«

      »Ihr Bruder?« Der Alte grinste. Ungepflegte Zähne kamen zwischen den Bartstoppeln zum Vorschein. Er wankte die Treppe wieder hinab, auf dem Bürgersteig drehte er sich noch mal um. »Tschuldigung, dass ich so neugierig bin. Ich habe vorhin Klaviertöne aus dem Haus hier gehört. Kam das aus Ihrer Wohnung?«

      »Ja, ich hoffe, es stört niemand. Das war mein Mann. Einen guten Abend noch und vielen Dank für Ihre Hilfe.«

      Nina winkte dem Unbekannten kurz zu und rannte die beiden Stockwerke hinauf. Doch nach ein paar Treppenstufen blieb sie atemlos stehen. Ihr Herz raste. Die Eindrücke des Abends flimmerten wirr durch ihren Kopf und verwandelten sich in tonnenschwere Felsen, die es ihr unmöglich machten weiterzulaufen. Michaels Ankündigung, nach Rom zu ziehen, der unheimliche Blick des Alten auf der Straße und das Gefühl, durch den Druck in einen Abgrund zu fallen, bohrten sich durch ihr Bewusstsein. Ihr war schwindlig und ihr Magen rebellierte. Das Licht der

      Treppenhausbeleuchtung blitzte in ihre Augen. Sie griff nach dem Treppengeländer, fasste ins Leere und setzte sich auf die Stufe. Sie brauchte jetzt dringend Ruhe und Michis Nähe.

      Rom musste einfach warten.

      Ein ohrenbetäubender Knall gefolgt von hellen Klirrtönen gerissener Klaviersaiten empfing sie in ihrer Wohnung. Der Krach pulverisierte jegliche Erschöpfung und Nina stürzte wie elektrisiert zu seinem Ursprung. Michi hatte Max offenbar die Wohnungstür geöffnet, doch der war orientierungslos in ihr Wohnzimmer gestolpert. Max stand jetzt schwankend neben dem Flügel, dessen Deckel er heruntergerissen hatte. Seine Augen waren auf ein Stück der schwarz lackierten Korpusabdeckung in seiner Faust gerichtet.

      »Max! Um Himmels willen! Nein!« Entsetzt blieb Nina vor den Bruder stehen.

      »Das … das wollte ich nicht …« Max’ verschwitztes Gesicht war schreckerstarrt.

      Michi war aus der Küche geeilt. »Jetzt reicht es endgültig. Es wird Zeit, dass dieser versoffene Nichtsnutz hier endlich verschwindet.« Nina sah nur noch Hass in seinen Augen.

      Vollkommen außer sich packte er den muskulösen Oberarm des betrunkenen Manns und zerrte ihn in sein eigenes Zimmer nebenan. Max faselte etwas, das sich wie eine Entschuldigung anhörte, aber folgte Michael willig hinaus.

      Nein, das darf jetzt alles nicht wahr sein!

      Nina wünschte sich, aus diesem Albtraum endlich aufzuwachen. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken, füllte ein Glas randvoll mit Wein und trank es in einem Zug aus. Die Kerzen auf dem Esstisch waren herunter gebrannt. Ende.

      Das fragile Konstrukt ihres Lebens drohte in diesem Augenblick einzustürzen.

      Michael kam fünf Minuten später zurück ins Wohnzimmer, aber er schien komplett verändert. Er atmete schwer und sein Gesichtsausdruck zeigte eine verzweifelte Entschlossenheit. Eine bisher nie gekannte Wut mühevoll unterdrückend setzt er sich.

      »Bitte, Michi, sei nicht böse auf ihn«, schluchzte Nina. »Das ist alles nur mein Fehler, ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen. Max kann im Grunde genommen nichts dafür. Er wird sich morgen bei dir entschuldigen und für die Reparatur …«

      »Nein, Nina! Merkst du denn nicht, dass es so nicht weitergehen kann!« Er schlug hart mit seiner Hand auf den Tisch, ein Glas fiel um. »Baby, wir können so nicht weitermachen und arbeiten kann ich schon gar nicht.« Fassungslos erkannte Nina die Flut an Emotionen, die sich bei ihrem Mann aufgestaut hatten.

      Sie sprach leise. »Ich kann meinen Bruder doch nicht einfach vor die Tür setzen.«

      »Wieso nicht? Er ist volljährig und hat einen Job. Ich weiß nicht, warum du deine Fürsorge so übertreibst. Was in aller Welt ist nur los mit dir?«

      Nina saß verständnislos vor dem Menschen, mit dem sie seit mehr als vierzehn Jahren verheiratet war. Den sie bis zu diesem Abend zu kennen geglaubt hatte und der jetzt, ohne mit ihr vorher darüber zu reden, in eine andere Stadt ziehen wollte.

      »Nichts, Michi! Ich muss einfach für meinen Bruder da sein … aber ich brauche dich.«

      »Dann musst dir klar werden, ob du mich so sehr brauchst und vor allem liebst, dass du die Verantwortung für Max endlich ablegst. Entweder dein Bruder oder ich, so geht’s jedenfalls nicht länger.« Michi ergriff ihre Hand. »Baby, wir nehmen uns die nächsten zwei Wochen frei. Wir könnten nach Rom fliegen und gemeinsam die Stadt anschauen. Es gefällt dir sicher dort. … ich bitte dich, Nina, komm mit mir. Wir versuchen einen Neubeginn ohne deinen Bruder. Er kann uns doch später jederzeit besuchen.«

      Nina schloss die Augen. Sie war todmüde und jedes weitere Wort hätte wie eine verlogene Entschuldigung geklungen.

      »Michi. Es tut mir so leid. Ich kann nicht mehr.« Sie flüchtete ins Schlafzimmer. Im Bett zog die Decke über den Kopf und weinte leise.

       Zweites Kapitel

      Michaels

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