Die Lichtschreiberin. Almut Adler

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Die Lichtschreiberin - Almut Adler

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war ich schon, schließlich gab ich mein Bestes - mit der Schere meines Schweizer Taschenmessers. Die ersten hundert Kilometer in Marokko zogen eindruckslos an Bernd vorbei. Er sah nur in den Spiegel und zupfte missgelaunt an seinen Haarstoppeln herum.

      “Jetzt freu dich doch, dass die Wolle endlich ab ist bei dieser Hitze!” motzte Dieter ihn an. Am Abend beruhigte sich Bernd. Er wusste dass er mit dem Thema Haare bei uns beiden keinen Schnitt mehr machen konnte.

      Am Wüstenrand von Merzouga versuchte ein Kameltreiber mit meinen Reisepartnern ins Geschäft zu kommen und offerierte sein Angebot.

      “120 Kamele für diese Frau!”

      Diese Frau war ich!

      „Eine Frechheit, 120 Kamele!“, echauffierte ich mich. „Wie viele Kamele ist wohl ein Mann wert, kann man auch einen Kerl kaufen?“

      Auf mich wirkten die Landessitten, als sei die Zeit 1000 Jahre stehen geblieben. Immerhin war Marokko landschaftlich ein Traum. Manche Bilder blieben mir unvergesslich als biblische Szenen in Erinnerung.

      Die erotischen Gelüste unseres fahrenden Dreigespanns liefen nach den amourösen Portugal-Eskapaden auf Sparflamme. Das Gefühlskarussell leierte lustlos seine Runden. Bernds Gedanken rotierten um die technischen Probleme seines Bullys, durch Dieters Kopf ondulierte sich Danas lockende Lust und meine Welt drehte sich nüchtern um den Umzug nach München. Jeder kurbelte seinen eigenen Film im Kopf.

      Von dieser Reise brachte ich typische Urlaubsbilder mit nach hause. Ich wollte alles festhalten, um möglichst viel zu zeigen. Es waren eingefrorene Erinnerungen, der künstlerische Aspekt blieb außen vor. Spanien-Portugal-Marokko im Knipsmodus. Zu weit weg, viel zu viel drauf, zu lange Belichtungszeiten, verwackelte Bilder und immer wieder ein schiefer Horizont. Ich sah, aber ich sah nicht wirklich hin. Bildgestalterisch steckte ich noch in den Kinderschuhen. Doch schon bald sollte ich ihnen entwachsen.

      München und die Gabelsberger Gang

      Dieter sah ich nach unserer Marokkoreise nie wieder. Mit Bernd pflegte ich eine jahrzehntelange Freundschaft. Wir beide zogen nach München, wohnten im selben Haus und hatten gemeinsame Freunde. Die Weltstadt mit Herz, wie die Münchner gerne sagten, wurde mein neuer Lebensmittelpunkt. Hartnäckig blieb ich bei meinem Berufswunsch Grafikdesign zu studieren. Mein praktisches Jahr lag hinter mir, als ich von der U5 hörte. Dieser Grafikschule in München eilte ein ausgezeichneter Ruf voraus, doch die Privatschule kostete viel Geld. Ich bettelte meinen Vater an, mir diese monatlichen Studiengebühren von 500 DM zu bezahlen. Ich argumentierte, dass ich als Fotografin jeden Monat dazu verdienen könnte, um mich selbst zu versorgen und die Miete zu bezahlen. Das zog, mein Vater willigte ein, übernahm die Studiengebühren und legte noch 100 DM obendrauf. Damit legte er die Beamtin in mir endgültig ad acta. Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung und einem Probesemester gehörte ich endlich zu den Grafik-Studenten! Durch meinen Nebenjob kaufte ich mir die lang ersehnte Kamera – eine Ashai Pentax Spotmatic II - die mit dem schnelleren Bajonett-Verschluss. Und sie war handlich klein, die ideale Reisekamera!

      Zum Semesterbeginn bezog ich die erste eigene Wohnung in Schwabing - dort wo in den 70er-Jahren die Post abging. Die Möbel schreinerte ich mir selbst, hauptsächlich weiße Kastenelemente, die sowohl als Regale, als auch als Sitzflächen dienten. Meine 2-Zimmerwohnung im Hinterhof gestaltete sich mit dem großen Berberteppich aus Marokko zu einer topchicen Studentenbehausung. In dem uralten Haus der Gabelsbergerstraße lagen die Toiletten noch auf dem Zwischenstockwerk und mussten mit einem Nachbarn geteilt werden. Den gusseisernen Schüsseln haftete der Gestank öffentlicher Latrinen an, der sich oft bis ins Treppenhaus flüchtete. Die ausgelatschten Holzstiegen knarrten und das Treppengeländer wackelte wie die Zähne eines Erstklässlers. Der Putz im Treppenhaus blättert von den Wänden wie Mandelplättchen vom Mürbeteig. Manchmal lag ein Stück vom Deckenputz auf den Stufen so dass die Strohdecken durchschimmerten. Das Haus war ungepflegt und baufällig. Wenn auf unseren Partys wild getanzt wurde, dann schwang der Boden wie auf einem Trampolin. Ein Wunder dass die Hütte dabei stehen blieb. Alle Mängel nahmen wir gerne in Kauf, denn die Mieten waren spottbillig, nur das zählte. Als Studenten liebten wir dieses Haus, wir konnten tun und lassen was wir wollten. Bernd fand eine neue Liebe. Er bewohnte mit seiner türkischen Freundin Aynur das Dachgeschoß. Amüsiert fragte ich sie:

      „Wie kommst du als Türkin zu dem Namen 1-Uhr?“

      Im ganzen Haus gab es Wohngemeinschaften, manche teilten sich zu dritt eine 3-Zimmer-Wohnung. Ich lebte im flachen Hinterhaus über einer Garage - Tür an Tür mit der schrulligen Frau Bauer und ihrem Papagei Ari, der immer Arschloch rief, wenn jemand sie besuchte. In meiner 2-Zimmerwohnung fühlte ich mich wie die Queen. Doch am Monatsende fehlte meinem Königinnenhaushalt oft das Geld. Dann stieg ich von meinem Thron und sammelte Pfandflaschen – natürlich nur die mit dem Kronkorken. Das uralte Vorderhaus wurde zu unserem eigenen Kosmos. Uns gehörte die Welt, wir lebten nicht weit vom Englischen Garten, unserem zweiten Wohnzimmer!

      Mein Grafiksemester bestand aus einer bunt gemischten Gruppe Studenten. Bald bildeten sich Cliquen, Freundschaften und Beziehungen. Wolfgang zog alle in seinen Bann und so schnappte er sich das hübscheste und reichste Mädchen. Ein Schönling war etwas anderes, er hatte eine hässliche Knollnase und ein birnenförmiges, rot vernarbtes Gesicht. Doch Wolfgang trumpfte mit einem sympathischen Lachen, makellos weißen Zähnen und einer wunderbaren Seele, die Jungs und Mädels gleichsam berührte. Alle lagen ihm zu seinen extrem großen Füßen. Der versoffene Lebemann schmiss oft Runden oder lud uns zum Essen ein. Wolfgang konnte sich das leisten, er ließ schon ein Leben hinter sich, mit Kindern, Scheidung und einer eigenen Band. Er war mit Abstand der Älteste in unserem Semester und hatte sich als Sänger sogar einen Namen gemacht. Er gab uns mal Kostproben seiner sonoren Schmusestimme. Wir schmolzen dahin.

      Eines Abends rief mich Wolfgang an. Es war schon sehr spät, er fragte ob ich um diese Zeit noch mit ihm ausgehen würde, in einen Jazzclub. Diese Musik gehörte zwar nicht so in meine Tonwelt, aber wer konnte Wolfgang schon etwas abschlagen? Weit nach Mitternacht holte er mich mit dem Mercedes-Cabrio seiner Freundin ab. Er hatte getrunken, es lagen grenzwertige Promille in der Luft. Beim Losfahren knallte er im Rückwärtsgang gegen ein Verkehrsschild.

      “Du wirst dich wundern, mit wem ich heute Abend singe, lasse dich überraschen”, freute er sich.

      Wolfgang entführte mich in einen mir bis dahin unbekannten Jazzclub, „Das kleine Rondell“ ist ein Geheimtipp sagte er. Vor der winzigen Bühne wies er mir einen Tischplatz zu, stellte mir eine Flasche Schampus vor die Nase und verschwand. Ich wurde nervös, ich fühlte mich als arme Studentin im Kreise eines ausgewählten Münchner Schickeria Publikums etwas deplatziert. Dann ging der rote Vorhang auf und mir stockte der Atem, am Klavier saß Ray Charles! Das Publikum jubelte vor Begeisterung und mir schoss vor Aufregung oder vom Alkohol eine prickelnde Röte ins Gesicht. Gleich darauf erschien Wolfgang und stellte den Meister und sich vor. Dann sangen sie gemeinsam. Die beiden gingen mir wirklich unter die Haut, jeder Ton war eine subkutane Injektion. Diese Stimme! Nein nicht die von Ray Charles, die von Wolfgang! Das glaubt mir kein Mensch, dachte ich. Wolfgang zwinkerte mir zu und ich platzte vor Stolz ihn zu kennen.

      Viele Jahre später lief Wolfgang mir zufällig in Schwabing über den Weg. Er sah nicht glücklich aus. Die schwarzen Haare fielen ihm strähnig auf die Schultern und sein Gesicht ähnelte der Farbe eines gekochten Hummers. Die Beziehung mit Lady-Cabrio hatte er an die Wand gefahren, sein Lachen war auf der Strecke geblieben und der Alkohol schien sein bester Freund zu sein. Wir verbrachten den Abend in einer verrauchten Kneipe, in der wir bis zum Morgengrauen an einem dicken Kopf arbeiteten. Anschließend gingen wir gemeinsam frühstücken, bevor sich unsere Wege wieder trennten. Viele Freunde und auch ich haben ihn als Philantrop bezeichnet, einen Menschenfreund. Ich habe Wolfgang nie wieder gesehen.

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