Die Lichtschreiberin. Almut Adler
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Manche Soldaten weinten hinterm Steuer vor Angst, beteten oder mussten sich am Straßenrand übergeben. Mit Fahrkünsten dieser Art waren die Inder absolut überfordert, das machte die Sache noch gefährlicher. Im Bully herrschte ängstliches Schweigen. Davon erzählten Robert und Hilde nichts - sie sind mit einer Cessna geflogen. Tief unten im Tal grub sich der wildfließende Indus ein weißgrünes Bett durch glatt geschliffene Felsschluchten. Auf dem 4.200 Meter hohen FotuLa-Pass machte unser Bully schlapp. Er zog nicht mehr und fing an zu dampfen. Die Luft war so dünn, das dem Doppelvergaser die Puste ausging. Arnulf gönnte seinem Bully eine Pause. Selbst das Atmen fiel uns schwer und schränkte jede Bewegung ein.
Tibeter besitzen genetisch bedingt eine erhöhte Atemfrequenz, so dass ihnen die dünne Luft nichts ausmachte. Im Nu umringten uns neugierige Kinder. Endlich konnte ich fotografieren, denn die Ladhakis sind Buddhisten und somit nicht fotoscheu. Mittags waren es geschätzte 0 Grad. Auf 4.500 Metern Höhe ließen nächtliche Minustemperaturen von 20 Grad die Eisschicht auf den Pfützen nicht schmelzen. Die meisten Kinder liefen barfuß und trugen löchrig-zerlumpte Kleidung. Ihre dreckverklebten Haare standen wie Bretter vom Kopf ab und an vielen Kindernasen klebte gelber Rotz. Wegen der Kälte auf Kargils Hochebene übernachteten wir zu dritt im Bully. Von der Stadt Srinagar in Kashmir hatten wir die halbe Strecke bis Leh geschafft.
Am Morgen wurden wir von herannahendem Hufgetrappel und aufgeregtem Stimmen geweckt. Sechs Männer auf zotteligen kleinen Pferden umrundeten unser ungewöhnliches Auto und gafften die Reisende staunend an. Kerle die nicht wilder aussehen konnten, ihre wettergegerbten Gesichter waren so faltig wie die Bergrücken des Hindukush. Schwere Ohrringe mit bunten Steinen zogen ihre Läppchen lang und in ihren Bauchbinden trugen sie beeindruckende Krummdolche. An ihren Stoffstiefeln bogen sich die Fußspitzen hoch und auf dem Kopf trugen sie seltsame Mützen mit wegstehenden Ohrlappen aus Fell. In ihren zusammengekniffenen Schlitzaugen waren keine Emotionen zu lessen, sie wirkten furchteinflößend. Misstrauisch beäugten sie uns Fremde wie umgekehrt. Zuerst begannen die Reiter zu lächeln, dann zu lachen. Das gegenseitige Misstrauen war mit einem Mal verflogen, nun fingen alle an zu lachen. „Die freundlichsten Menschen überhaupt!“, klangen mir die Worte von Robert im Ohr. Ja, das waren die Ladakhis wirklich. Dies konnten wir die nächsten zehn Tage erleben.
Wir machten Bekanntschaft mit dem charismatischen Sikh Damodhar Singh. Er lud uns Reisende in sein bescheidenes Zuhause ein, kochte für alle und musizierte auf einem fremdartigen, kastenförmigen Klapp-Akkordeon. In einem leer stehenden Schulgebäude konnte er mir einen Schlafplatz verschaffen. Endlich bekam ich einen Raum für mich ganz alleine! Das entspannte unser Zusammensein erst einmal. In der Nacht fielen die Temperaturen auf eisige -15 Grad, das bekam ich sogar in meinem Daunenschlafsack unangenehm zu spüren. Ladakh mit der 3.500 Meter hoch gelegene Hauptstadt Leh gestaltete sich im wahrsten Sinne zum Höhepunkt meiner Reise. Selbst von dort sah der Mount Everest mit seinen 8.848 Metern immer noch gigantisch hoch aus und wirkte Ehrfurcht einflößend. Die Vegetation war karg, die Luft dünn, das Klima rauh und die Lebensbedingungen hart. Und doch zog uns das Land alle gleichermaßen in seinen Bann. Niemals habe ich so viele lachende und herzliche Menschen wie die buddhistischen Ladakhis erlebt.
Uns wurde das Privileg zuteil, Kloster Tikse von innen zu besichtigen. Mönche baten uns hereinzukommen. Großzügig öffneten sie uns ihre fremde Welt und erlaubten uns sogar das Fotografieren ihrer buddhistischen Heiligtümer.
Im Inneren des Klosters tauchte ich in ein geheimnisvolles Halbdunkel. Meine Augen brauchten eine Weile um sich an das schummerige Licht zu gewöhnen. Überall brannten kleine Öllampen und es roch merkwürdig tranig. In der Luft lag ein monotones Brummen, das sich wie ein Maschinengeräusch an hörte. Der eintönige Om-Laut meditierender Mönche ließ mich eine mir bis dahin unbekannte Spiritualität spüren. Einen friedlicheren Ort gab es kaum auf der Welt. Der Rundgang durchs Kloster verzauberte mich, ich schwebte durch ein unbekanntes Universum und tauchte ein in eine Welt, die ich mit Worten nicht beschreiben kann. Ich spürte eine Leichtigkeit, die mich durch Zeit und Raum wirbelte. Sie gewährte mir zu erkennen wie unsinnig es ist, sich im Hier und Jetzt über die Zukunft zu sorgen. Vieles konnte ich damals noch nicht einordnen. Erlebtes musste sich setzen, musste verinnerlicht werden, damit ich es später begreifen konnte.
In den Straßen von Leh machte ich eine meiner schönsten Schwarzweißaufnahmen im Gegenlicht (S.44). Menschen strömten aus ihren Dörfern in die Provinzhauptstadt, um die Ansprache der Indischen Staatspräsidentin Indira Gandhi zu hören (S.42). Ich sah Menschen, wie ich sie nie wieder vor die Linse bekam. Faltige, wettergegerbte Männergesichter, Mädchen mit windzerzausten Haaren, zahnlose Greise, dreckig zerlumpte Kinder, Frauen, mit schwerem Steinschmuck behängt und Mönche, die weltentrückt ihre Gebetsmühlen drehten. Eines hatten alle gemeinsam – glückliche und lachende Gesichter. Dies alles erleben zu dürfen, dafür bin ich Ilse und meinem Bruder bis an mein Lebensende dankbar.
Heilige Städte und das Grabmal
Der Weg zum Goldenen Tempel von Amritsar war leicht zu finden, Arnulf fuhr den Pilgerströmen einfach hinterher. Wir sahen die goldene Kuppel schon von weitem leuchten. Das Heiligtum der Sikhs lag mitten in dem rechteckigen Becken - dem Nektarsee. Auf der Oberfläche des Wassers spiegelte sich das goldene Licht der Kuppel. Vor dem Einlass in den Tempel mussten wir alle unsere Schuhe ausziehen. Ich befürchtete in dem Meer von Tretern meine Sandalen nie wiederzufinden. Am Eingang wurden wir genötigt unsere Füße zu waschen und im Inneren der heiligen Räume eine Kopfbedeckung zu tragen. Dann wurden wir von der Menschenmasse einfach mitgerissen. Drei Mal umrundeten wir das Tempelinnere, bekamen ein Schälchen mit goldenem Reispudding in die Hand gedrückt und wurden mit einem roten Punkt auf der Stirn markiert. Jeder der den Tempel besuchte, wurde von den gläubigen Sikhs wie Schwester oder Bruder behandelt, alle Gläubigen empfanden sich als Familie. Ich fühlt mich mit den Sikhs sehr verbunden, sie zeigten mir wie aufgeschlossen man Fremden gegenüber sein kann.
Vom Fluss Yamuna stieg Abendnebel auf. Zuerst sah ich vier Minarette, die wie spitze Bleistifte in den verhangenen Himmel ragten. Das Tadj Mahal am Stadtrand von Agra war nahezu verhüllt und von weitem kaum sichtbar. Der Großmogul Shah Jahan ließ 1631 das Tadj Mahal bauen - zum Gedenken an seine verstorbene große Liebe Mumtaz Mahal. Deshalb wird es auch als das Grabmal der Liebe bezeichnet. Über Nacht parkten wir unseren Bully direkt vor dem Tadj Mahal. Das imposanteste Bauwerk der Moghul-Herrschaft verzauberte uns und machte demütig. Diese Stätte war mehr als ein Grabmal der Liebe, für mich zählte es zu dem schönsten Gebäude das ich jemals gesehen habe.
Wir betraten das Gelände des Tadj Mahal in einer hellen Vollmondnacht. Vor dem Eingang saß ein alter Sikh-Wächter, den wir um Einlass ins Grabmal baten. Als einzige Besucher ließ er uns zu später Stunde herein. Unter der gewaltigen Kuppel spielte Arnulf Blockflöte und seine Melodie tanzte zum Gewölbe empor und schwebte wie ein Echo durch den Raum. Die Atmosphäre hinterließ bei mir eine Gänsehaut und trieb mir Tränen in die Augen. Es war ein unvergessliches Erlebnis, Harmonie pur. Genau in der Mitte der Kuppel befand sich in völliger Symmetrie des Raumes das Grabmal von Mumtaz Mahal.
In diesem Raum konnte ich die Liebe förmlich spüren und ich bewunderte die bunten und filigranen Marmorintarsien in winzig floralen Mustern. Über 20.000 Handwerker und Architekten aus vielen