Die Lichtschreiberin. Almut Adler

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Die Lichtschreiberin - Almut Adler

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Frauen zu komisch. Ralf hatte sein Pferd besser im Griff und war den beiden Hazara dicht auf den Fersen. Der Wind pfiff uns auf 3000 Metern Höhe schneidend kalt um die Ohren. Arnulf glaubte, sein Rufen nach Hilfe sei einfach überhört worden. Die Ignoranz der Hazara machte ihn wütend. „Fuck Afghanistan“, schrie er und ballte die Faust. Der Lachende rammte seinem Pferd die Stiefel in die Flanken und galoppierte auf Arnulf zu. Schlagartig wurde aus seinem Gesicht eine wutverzerrte Fratze. Er spuckte vor Arnulf auf den Boden.

      „Fuck Afghanistan?! I kill you, I swear, you never will leave Afghanistan, you will be dead, I will find you everywhere, I kill you!“

      An der Ernsthaftigkeit seiner Worte zweifelte niemand. Ehrlich gesagt wusste ich in diesem Augenblick nicht wovor ich mehr Angst haben sollte, um mein Leben, oder um das von Arnulf. Aufgebracht zerrte der Hazara am Zaumzeug meiner Stute und bewegte sie von der Felsklippe weg. Ilses Hengst folgte, wir waren erst einmal in Sicherheit. Wie ernst meinte der Hazara seine Drohung? Konnten wir ihm noch vertrauen? Die Freude am Ausflug war uns schlagartig vergangen und Ilse bat die zwei Hazara umzukehren. Der andere bemühte sich nun wenigstens um Ilses Hengst und hielt ihn von meiner Stute fern. So konnten wir im ruhigen Trab zurückreiten. Meine Kamera habe ich nur einmal ans Auge genommen. Den Rest hat mein fotografisches Gedächtnis festhalten können. Nach Sonnenuntergang wurde es schlagartig eiskalt. Ein Englisch sprechender Afghane kam an unseren Bus.

      „Es wird sehr kalt heute Nacht, minus 20 Grad. Wir laden euch ein, wir haben Feuer gemacht, es ist warm. Es gibt auch eine Suppe!“

      War das eine Falle? Wollten sie uns Fremde ausrauben oder Arnulf vielleicht ans Messer liefern? Wir waren angespannt und ratlos. Keiner von uns besaß eine Heizung im Bus. Ob unsere Schlafsäcke den 20 Minusgraden trotzen würden… ? Ein zweiter Afghane kam vorbei, Mohammed, ein Tourist-Guide. Er sprach sogar ein paar Brocken Deutsch und wiederholte das Angebot.

      „Kommt in Hütte, ist warm für alle, ist zu kalt hier…, gibt lecker Suppe!“

      Mohammed erschien uns Vertrauen erweckender, vielleicht weil er etwas Deutsch sprach. Die Dunkelheit brachte eine klirrende Kälte mit sich. Jeder nahm seinen Schlafsack und folgte Mohammed im Schein seiner Taschenlampe zur Hütte. In dem großen Raum vermischten sich Essensgerüche mit den Ausdünstungen wild lebender Kerle. Mohammed schaute in den Topf, er zuckte mit den Schultern. Die Suppe war alle. Sid musste die Nacht in einer winzigen Kammer schlafen. Mohammeds verächtlicher Blick verriet, dass er nur geduldet wurde. Der islamische Glaube verbietet mit unsauberen Kreaturen wie Hunden oder Schweinen unter einem Dach zu schlafen.

      Der Hüttenraum war ein riesiges Matratzenlager. Dort lagen etwa zwanzig Männer, die teilweise schon laut schnarchten. Es roch wie in einer Pumafalle, Ilse verdrehte die Augen, sie und ich waren die einzigen Frauen. Mohammed wies uns am Rande des Matratzenlagers die Plätze zu. Ralf und Arnulf legen sich abgrenzend vor uns bevor Mohammed das Licht ausmachte. Es wurde stockfinster und über unseren Köpfen staute sich eine stickige Wärme die das Atmen schwer machte. Mitten in der Nacht weckte mich Ilses erschrockener Ausruf.

      „Igitt, mir ist da was über mein Gesicht gelaufen“

      „Was denn, ein Tier?“ fragte Arnulf. Es folgte eine längere Pause.

      „Irgendwas Komisches, es fühlte sich an wie…, wie ein Stück Schlauch!“ Aus der Dunkelheit gluckste Ralfs Lachen.

      „Wie ein Stück Schlauch, hihihi!“

      Auch Arnulf fing an zu lachen, dann ich. Das Lachen wirkte ansteckend, nach und nach gab es immer mehr Mitlacher, bis schließlich das ganze vermiefte Matratzenlager lachte. Bald ebbte die Heiterkeit in ein vereinzeltes Kichern ab und verstummte schließlich ganz. Am nächsten Morgen kratzten wir uns alle. Waren das etwa Flöhe?

      Wie Gebetsfahnen flatterten unsere Schlafsäcke an der Leine zwischen Baum und Bully im Wind. Es kostete viel Überwindung im eiskalten Flusswasser ein Bad zu nehmen doch es half. Durch Wind und Kälte wurden wir die lästigen Tierchen mittags schon wieder los. Doch weiterhin verbreitete die Drohung des Pferde-Hazara unterschwellige Angst. Wir beschlossen das wilde Bamiyan-Tal zu verlassen und Richtung Kyberpass zu fahren, über die pakistanische Grenze. Auch Ralf brach mit uns auf, Indien und Nepal waren ebenfalls seine Ziele. An der pakistanischen Grenze trennen sich dann unsere Wege. Ralf wollte in den Norden Pakistans, nach Gilgit. Wir verabredeten uns 6 Wochen später, um gemeinsam in Nepal Weihnachten zu feiern. Als Treffpunkt vereinbarten wir den Campground im Zentrum von Kathmandu.

      Die Grenzformalitäten nach Pakistan brachten mich beinahe um. Irgendwo hatte ich mir etwas eingefangen. Nicht mal der bunte Stempel im Reisepass konnte mich erfreuen, mir war speiübel. Oft musste ich mich übergeben und bekam gleichzeitig Durchfall. Nirgendwo gab es ein menschenwürdiges Klo, überall sah ich nur Menschen, Menschen, Menschen. Diesen Zustand empfand ich weitaus schlimmer als meine Übelkeit. Noch ein Formular ausfüllen, noch ein paar Fragen beantworten, hier einen Stempel holen und dort eine Ausreisebestätigung abgeben. Die Büros quollen über mit Stapeln verschnürter Papierbündel. Mir war kotzerbärmlich schlecht, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, ich wollte einfach nur liegen und keine Menschen sehen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich das Office verlassen, dann brach es aus mir heraus. Im hohen Bogen kotzte ich einem Grenzbeamten direkt auf die Stiefel. Der Uniformierte trug es mit Fassung, er brachte mich zur ersten sauberen Toilette seit Persien. Was für eine Grenzerfahrung - es war das Beamtenklo!

      Schon auf dem Campground in Kabul lernten wir das deutsche Ehepaar Hilde und Robert kennen. Beide lebten in Pakistan und arbeiteten dort in Hilfsorganisationen. Der unterhaltsame Abend bescherte uns eine Einladung in die Hauptstadt der Provinz Khyber - nach Peshawar. Nach dem Grenzübergang erreichten wir noch am selben Abend die Stadt und folgten dem Angebot des deutschen Paares. Zwei Tage wurden wir fürstlich verwöhnt. Wir schliefen in richtigen Betten, ich bekam mein eigenes Zimmer, wir aßen lecker und tranken köstliche Weine. Robert arbeitete als projektleitender Grafiker der UNESCO und Hilde im GTZ-Büro, Organisationen von denen ich bis dato noch nicht einmal gehört hatte. Jahre später sollte ich genau damit in Berührung kommen.

      Ladakh – das Dach der Welt

      Robert und Hilde schwärmten in den höchsten Tönen von Ladakh.

      „Wunderbar freundliche Menschen, beeindruckende Landschaften, geheimnisvolle, buddhistische Klöster und Fotomotive ohne Ende.“ Hilde stimmte ihrem Robert nickend zu.

      „Ihr müsst unbedingt dort hinfahren! Aber beeilt euch, im Oktober kann es schon schneien und dann sitzt ihr ein halbes Jahr fest und müsst auf 4.500 Meter Höhe in Eiseskälte ausharren!“

      Keiner von uns kannte diesen Himalaya-Staat im Norden Indiens. Wir wurden aufgeklärt - Ladakh grenzt an Kashmir und ist der höchst gelegene Bundesstaat Indiens. Als die Volksrepublik China das Land 1959 annektierte und die Hauptstadt Lhasa mit dem Potala-Palast des Dalai Lama besetzte, wurde Ladakh zum Flüchtlingsgebiert vieler Tibeter. Deswegen wird Ladakh auch „Klein-Tibet“ genannt. Der Mount Everest, der Anapurna und weitere nah gelegene Achttausender brachten Ladakh bezeichnenderweise den Beinamen „Das Dach der Welt“ ein. Infolge des Krieges mit China blieb Ladakh seit den 50er-Jahren für Ausländer gesperrt. Erst Ende 1974 wurden die Grenzen der Passstraße aufgehoben. Das Militär zog ab und die Region wurde wieder frei zugänglich. Arnulf, Ilse und ich beschlossen am nächsten Morgen dorthin aufzubrechen. Fotomotive ohne Ende, dieser Satz hallte in meinen Ohren.

      Seit den 50er-Jahren waren wir die ersten Touristen die Ladakh mit dem eigenen Auto bereisten. Schon die Fahrt dorthin grenzte an pures Abenteuer. Passstraßen so eng wie die Gassen von Heidelberg und immer knapp am Abgrund. Es gab keine Leitplanken und sollte man auch

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