Die Lichtschreiberin. Almut Adler
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Bald darauf überquerten wir die Grenze nach Persien, dem heutigen Iran. Ab Teheran gabt es dann nichts mehr zu lachen - zumindest für Ilse und mich. Frauen - dieses Geschlecht schien sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben, die Welt bestand hier nur aus Männern. Ilse und ich wurden übersehen, so als wären wir nicht vorhanden. Arnulf reiste mit zwei Frauen, diesen “Besitz” wusste man dort zu schätzen. Dem blauäugigen Blonden wurde der Stuhl zurückgezogen, ihm hielt man die Tür auf, ihm gab man Feuer, er wurde als Mann hofiert.
Auf der Toilette einer Tankstelle wurde ich von dem Tankwart begrapscht, aber Gott sei Dank mit so wenig Nachdruck, dass ich mich losreißen konnte. Als ich Arnulf die Begebenheit erzählte, stürmte er das Kassenhäuschen. Fluchtartig suchte der Triebgesteuerte durchs Hintertürchen das Weite und ließ sich nicht mehr blicken. Schamlos nutzten wir die Gelegenheit um unseren Bully kostenfrei aufzutanken. Die negative Gastfreundschaft Persiens veranlasste mich nur ein einziges Foto zu machen. Der Blick des fotografierten Mannes (S. 33) drückt deutlich aus, was ich als reisende Frau zu spüren bekam – Missachtung. Aus meiner Sicht war der Iran kein Wohlfühlland, jedenfalls nicht für mich als Frau. Shiraz, das Highlight des Landes ließen wir rechts liegen, weil wir noch vor dem ersten Schneefall den Khyberpass überqueren mussten. Mit dem Grenzübertritt nach Afghanistan wurde es dann noch frauenverachtender.
Durchs wilde Afghanistan
In den Hochlagen Afghanistans hatte bereits der Herbst Einzug gehalten. Erste Eindrücke vermittelten mir ein wildkarges, wunderschönes Land mit stolzen, zurückhaltenden Männern. Die wandelnden Zelte entpuppten sich erst bei näherer Betrachtung als Frauen. Durch die Burka, einem bis zu den Füßen reichenden Stoffsack, war nichts, aber auch gar nichts von einer Frau zu sehen, nicht einmal ihr Gesicht. Im Augenbereich befand sich eine Art Stoffgitter als Sichtfenster so dass sie ihre Umwelt nur eingeschränkt wahrnehmen konnten. Ein Wunder dass die Frauen es schafften lebend eine Straße zu überqueren. Ob man für sie gebremst hätte hielt ich für fraglich. Auch hier bestimmten Männer das Straßenbild und wenn eine Frau zu sehen war, dann war sie nicht zu sehen! In Afghanistans Hochland gab es keine Stadt die unter 900 m lag. Die teilweise sehr kühlen Temperaturen erleichterten Ilse und mir, dass wir uns landesgesittet kleideten - eingepackt. Kabul lag immerhin auf 1.800 m Höhe. In den Straßen wehte noch ein Hauch der alten Hippiezeit, als diese Route nach Indien oft befahren wurde. Hier erschienen uns die Menschen aufgeschlossener als in den kleineren Städten wie Herat, Kandahar oder im Hindukush.
Ilse notierte in einem Buch alle Ausgaben unserer Reise. Jede Woch teilten wir den Gesamtbetrag durch drei. Seit Persien kam es zwischen uns immer häufiger zu Streitereien. Wir gingen uns gegenseitig auf den Reisewecker, was wir auf den engen Lebensraum zurückführten. Seit Wochen schliefen wir zu dritt im Bully, ich oben im Hubdach. Es war zu gefährlich alleine in der Wildnis zu campen. Natürlich störte ich damit das Intimleben der beiden, was einige Frustrationen auslöste. Oft musste ich als Prellbock herhalten. Mich wiederum nervte Arnulfs Faulheit. Bully putzen, einkaufen und abwaschen schienen nicht sein Ding zu sein. Außer fahren machte er nichts. Er hatte sich gemütlich in seiner Pascharolle eingerichtet und in Herat eskalierte die Geschichte schließlich. Ilse schickte mich morgens zum einkaufen, um frisch gebackene Hefefladen vom Feuerofen zu holen. Arnulf versprach derweil den Bullys innen zu putzen. Solche Äußerungen machte er oft, vergaß sie aber meistens. Auch dieses Mal. Ilse übertrug den unverrichteten Job an mich, da platzte mir der Kragen und ein Wort ergab das andere. Ich mußte meinem Unmut Luft machen. Dann fielen beide über mich her, sie waren sich einig wie ein Paar sich nur einig sein kann. Ein unschönes Wort folgte dem anderen. Arnulf entzog sich der weiteren Diskussion und verschwand einfach. Wir Weiber zickten weiter. Dann flog bei mir der Deckel hoch, es platzte einfach heraus.
„Ich habe keinen Bock mehr, ich reise alleine weiter.“
Ilse schluckte. Eine bedrückende Stille machte sich breit, Ilse fing leise an zu weinen. Trennung, daran hätten wir im Traum nie gedacht, das stand so nicht auf unserem Plan. Wie sollte das auch gehen, alleine weiterreisen? Arnulf hatte schließlich die Verantwortung für mich, das musste er unseren Eltern versprechen. Am nächsten Tag schienen die Wogen geglättet, doch wir saßen immer noch im selben Boot. Mit guten Vorsätzen reisten wir gemeinsam weiter ins Bamiyan-Tal im Hindukush Gebirge.
Ralfs Bully konnten wir schon von Weitem sehen. Er parkte seinen VW-Bus in einer geschützten Biegung am Fluss und hängte gerade Wäsche auf. Er war mir auf Anhieb sympathisch und seinen Hund Sid schloss ich sofort ins Herz. Ralf freute sich über die deutschsprachigen Reisenden, doch er schien besorgt. Sid kränkelte weil er irgendwo etwas gefressen hatte. Jetzt quälten ihn ernsthafte Magenprobleme.
Der beginnende Herbst hatte die Bäume des 2.500 m hoch gelegene Bamiyan-Tals knallgelb gefärbt. In der kargen Berglandschaft leuchteten die bunten Farbkleckse wie Blumenblüten, die der Wind über das Land verteilte. Ein stahlblauer, wolkenloser Himmel bescherte eine atemberaubende Weitsicht.
Die in Felsnischen gemeißelten Buddha-Statuen waren der absolute Höhepunkt im Bamiyan-Tal. Die beiden Steinkolosse maßen eine Höhe von 53 und 35 Metern. Im Inneren der höheren Statue führte eine Felsentreppe bis zum Kopf hinauf. Hunderte von unebenen Stufen stieg ich hoch. Dort oben genoss ich einen überwältigenden Ausblick in das weitläufige Tal. Der kleine Fluss glitzert im Sonnenlicht und die zwei VW-Busse sahen aus wie trinkende Tiere am Wasserlauf. In der Luft lag ein herbes Aroma von Feuerrauch das sich mit dem frischen Wohlgeruch des Hochgebirges mischte. Nie werde ich diesen Ausblick in die Weite vergessen. Die friedliche Atmosphäre und die Stille dort oben vermittelten mir das glückselige Gefühl eine Weitgereiste zu sein. Wie konnte ich ahnen dass Taliban-Extremisten 2001 diese Buddha-Statuen in die Luft sprengten - ein Weltkulturerbe der UNESCO! Damit wurde der Frieden in diesem Tal für immer zerstört.
Jeder von uns hatte bereits von Band y Amir gehört. Die sechs verschieden farbigen, dicht beieinander liegenden Seen auf unterschiedlichen Höhen waren nicht weit vom Bamiyan-Tal entfernt. In den Bergen gab einen Punkt, von dem alle Seen gleichzeitig in ihren ungewöhnlichen Farben sichtbar wurden - in türkis, orange, grün, grau, blau und gelb. Dieses Naturschauspiel wollten wir uns nicht entgehen lassen, doch keine Straße führte dort oben hinauf. Nur mit Pferden war es möglich dorthin zu gelangen. Was tun? Niemand von uns konnte reiten!
“So schwer wird das schon nicht sein, lasst es uns doch wenigstens versuchen”, ermunterte uns Ralf.
Afghanen vom Stamm der Hazara besaßen Pferde die sie vermieteten. Das schiitische Volk lebte in einem überwiegend sunnitischen Land, was die Hazara schon immer zu Außenseitern abstempelte. Wegen ihrer asiatischen Gesichtszüge galten sie bei vielen Afghanen als minderwertig. Aus diesem Grund dienten sie dem sunnitischen Volk oft zum verrichten niederer Arbeiten, für die sich sonst keiner hergeben würde. Die Pferde der Hazara besaßen weder richtige Sättel noch anständiges Zaumzeug. So hingen wir wie Kartoffelsäcke auf den Rücken der gedungenen, struppigen Pferde. Die Hazara ritten voran ohne sich um ihre Ausflügler zu kümmern, sie lachen nur höhnisch über uns. Der steinige Pfad führte haarscharf an einer Felsklippe entlang, wo es geschätzte 50 Meter abwärts ging. Ich durfte gar nicht hinschauen. Mein mulmiges Gefühl verwandelte sich in nackte Angst, als Ilses Hengst sich an meiner Stute rieb, an der er sichtlich Interesse zeigte. Die Stute machte schnelle kleine Hüpfer und schlug mit den Hinterhufen aus. Auf ihrem schaukelnden Rücken blickte ich in eine tiefe Schlucht. Meine Schenkel pressten sich um den Pferdeleib, krampfhaft hielt ich die zerschlissenen Taue des Zaumzeugs in den Händen und versuchte das Pferd vom Abgrund zu bewegen. Ilses Hengst führte ähnliche Tänzchen auf. Arnulf rief laut nach den beiden Hazara, die unserem Schauspiel von Weiten