Hitlers "Mein Kampf". Antoine Vitkine
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1932 folgt eine politische Krise auf die andere. Der Formulierung des Historikers Joachim Fest zufolge sind Hitler und Konsorten mehr denn je die Nutznießer dessen, was ihren Erfolg begründet hat: der »großen Angst«, die Deutschland bewegt. Angst vor dem Abstieg, Angst vor dem Bolschewismus, Angst vor dem Neuen. Zum Jahresende ist der Absatz auf 230000 Exemplare gestiegen. Allein im Januar 1933, in dessen Verlauf die Reichstagswahlen stattfinden, kaufen nicht weniger als 13000 Deutsche das Buch.[29] Der Eher-Verlag in München lässt fleißig nachdrucken und vergrößert sich: Die Nachbargebäude werden hinzugekauft. Max Amann, Mitstreiter wie Geschäftemacher, reibt sich die Hände. Die Aussicht auf einen Erfolg bei den bevorstehenden Wahlen bedeutet einen noch glänzenderen kommerziellen Erfolg.
Die Nazis prangern den angeblich protzigen Lebensstil, den luxuriösen Geschmack der Regierenden von Weimar an, ereifern sich etwa über das Millionenvermögen, das Reichskanzler von Papen besitzen soll. Dagegen betont die NSDAP, sie wolle sich nicht am Volk bereichern. So kündigt Hitler öffentlich an, er werde im Falle des Wahlsieges auf sein Gehalt als Kanzler verzichten, ein Versprechen, das er auch hält. Gerade bei den kleinen Leuten, die infolge der Krise verarmt sind, findet diese geschickt eingesetzte Rhetorik großen Anklang.
In Wahrheit ist der Führer bereits jetzt ein wohlhabender Mann. Ein Gehalt hat er wirklich nicht nötig, da er von jedem verkauften Buch 10 Prozent des Ladenpreises erhält, ab 1933 sogar 15 Prozent. Mit dem Geld aus diesen Verkäufen ersteht er 1933 den Berghof, der nach dem Ausbau zu seinem heimlichen zweiten Regierungssitz wird und 1944 sogar als Führerhauptquartier dient. Nach der Machtübernahme macht die auch dank des neuen Regimes in schwindelerregende Höhen schießende Auflage des Buches seinen Autor reich. Wie Max Amann 1947 bezeugt, dürfte Mein Kampf dem Führer 15 Millionen Reichsmark eingebracht haben, umgerechnet mehr als 20 Millionen Euro.
Jahrzehnte später, 1996, führt die Freigabe eines Berichts des OSS, des Vorgängers der CIA, auf die Spur eines Teils der Honorareinnahmen. In diesem Bericht wird die Existenz eines Kontos enthüllt, das Amann für Hitler bei der UBS in Genf eröffnet hat, auf dem Millionen Mark seit Kriegsende schlummern …[30]
Aber das Buch ist nicht nur für seinen Verfasser einträglich: Es füllt auch die Parteikasse, was den Wahlkämpfen in den entscheidenden 1930er Jahren hilft, selbst wenn deren Finanzierung aus unterschiedlichen Quellen stammt – man geht davon aus, dass vonseiten großer Unternehmen Millionen geflossen sind. Es füllt aber auch die Kasse des Eher-Verlags und die Taschen von Max Amann. Der Sieg der Nazis 1933 erweist sich als profitabel für Hitlers einstigen militärischen Vorgesetzten, der auf großem Fuß lebt und ein Imperium aufbaut. Als Präsident der Reichspressekammer hat er die Zeitungen und Verlage fest im Griff und häuft ein beträchtliches Vermögen an.[31] 1942 stehen 75 Prozent der deutschen Presseorgane unter seiner direkten Kontrolle. Der Eher-Verlag, einst ein Kleinstverlag im Dienst einer Splittergruppe, zählt nun 35000 Mitarbeiter.
Bertolt Brecht hat es auf den Punkt gebracht, als er Hitler als Arturo Ui darstellte, den gierigen Gangster an der Spitze einer Bande von kleinen Gaunern. Das Bild ist weniger historisch als dramaturgisch, aber in einer Hinsicht auf jeden Fall präzise: Mein Kampf ist für Hitler eine Goldgrube.
Eine »Verschwörung am helllichten Tag«
»Das […] weiß ich, wenn ich 1924 geahnt hätte, Reichskanzler zu werden, dann hätte ich das Buch nicht geschrieben.« Diese erstaunliche Eröffnung soll Hitler 1938 gegenüber einem seiner Getreuen, Hans Frank, gemacht haben, wie der in seinem nach dem Krieg veröffentlichten Tagebuch berichtet. Verschiedenen Zeugen zufolge scheint er diesen Gedanken nicht nur einmal geäußert zu haben.
Das mag einen überraschen, wenn man bedenkt, mit welcher Leidenschaft Hitler sein Buch in Angriff genommen und welchen Stolz er daraus gezogen hat. Aber es ist durchaus nachvollziehbar. »Ich wende mich dabei mit diesem Werk nicht an Fremde, sondern an diejenigen Anhänger der Bewegung, die mit dem Herzen ihr gehören und deren Verstand nun nach innigerer Aufklärung strebt«, schreibt der Führer im Vorwort seines Buches Mitte der 1920er Jahre. Verfasst in der Zurückgezogenheit einer Zelle, nach einer schmählichen Niederlage, ersonnen als ein politisches Projekt, dessen Verwirklichung fern und utopisch erscheinen mag, das die Ambitionen, die Vorstellungen, ja sogar die Strategien seines Autors offenlegt, könnte Mein Kampf jetzt, da die Macht so nahe ist, in den Händen seiner Feinde zu einer Waffe werden.
Mein Kampf ist tatsächlich eine »Verschwörung am helllichten Tag«, so die von dem französischen Philosophen Alexandre Koyré geprägte Formulierung.[32] In den Worten des Politologen Josselin Bordat ist »dieser Text, diktiert im Beisein einer Zuhörerschaft von ein paar Fanatikern, die ideologische Stütze eines totalitären Regimes. Es ist ein Text, der einen Plan zur Eroberung der Weltherrschaft enthüllt, wo solche Pläne doch gewöhnlich im Verborgenen geschmiedet werden. Hier aber handelt es sich um einen Plan zur Eroberung der Weltherrschaft, der von einem totalitären Regime in Millionen von Exemplaren verteilt wird.«[33] Seit sich die Machtfrage stellt, ist sich Hitler dieser Problematik sehr bewusst.
Hitlers Haltung zu dem Thema lässt sich mit folgendem Beispiel illustrieren: Nach der schweren Niederlage bei den Reichstagswahlen 1928 glaubt er sich von seinen Mitbürgern falsch verstanden und verfasst ein weiteres Manuskript, das später als »Hitlers Zweites Buch« bekannt werden wird. Auf rund 200 Seiten führt er noch eingehender als in Mein Kampf seine außenpolitischen Visionen aus, prophezeit einen Endkampf um die Weltherrschaft zwischen den Verbündeten Deutschland und England und den Vereinigten Staaten. Ebenso präzisiert er seine Absicht, im jüdisch-bolschewistischen Russland »Lebensraum« zu erobern. Zum ersten Mal spricht sich der Eher-Verlag gegen eine Veröffentlichung aus – mit dem Argument, ein weiteres Werk werde dem ersten schaden, das sich nur noch schleppend verkauft. Aber mit den Wahlerfolgen von 1930 geht es auch mit Mein Kampf wieder aufwärts, und nun schlägt der Verlag Hitler vor, den Text herauszubringen. Doch der lehnt ab: Die Aussicht darauf, eines Tages zu regieren, ist nicht mehr ganz unrealistisch, und er hat den Eindruck, bereits zu viel gesagt zu haben. Das Manuskript kommt also nie aus dem Safe heraus, wo es aufbewahrt bleibt, geschützt vor fremden Augen.[34] Genau wegen dieser Befürchtung, zu viel von seinen Absichten verraten zu haben, wird Hitler, als er Reichskanzler geworden ist, darum kämpfen, den Zugang zu seinem Text im Ausland zu beschränken. Hat er Grund zu der Befürchtung, durchschaut zu werden? Hätte eine ausreichend sorgfältige, aufmerksame Lektüre von Mein Kampf vor den erschreckenden Zielen seines Verfassers warnen können? Hätte sie diese »Verschwörung am helllichten« Tag enthüllen können?
Victor Klemperer, der zum Protestantismus übergetretene Philologe, der am Ende nur mithilfe seiner »arischen« Frau der Deportation entkommen kann, hat das ganze Dritte Reich hindurch im inneren Exil gelebt und dabei unermüdlich die Gedanken niedergeschrieben, zu denen ihn die entsetzliche Welt um ihn herum bewegte. 1947, als Ergebnis dieser einsamen Arbeit in den dunkelsten Stunden der Nazi-Herrschaft, veröffentlicht er ein Meisterwerk: LTI, Notizbuch eines Philologen. Darin schreibt er: »Es wird mir immer das größte Rätsel des ›Dritten Reiches‹ bleiben, wie dieses Buch in voller Öffentlichkeit verbreitet werden durfte, ja mußte, und wie es dennoch zur Herrschaft Hitlers und zu zwölfjähriger Dauer dieser Herrschaft kommen konnte, obwohl die Bibel des Nationalsozialismus schon Jahre vor der Machtübernahme kursierte.«
Die Zweifel der Gegner des Nationalsozialismus
Während in München die Pressen des Eher-Verlags heißlaufen und Hitler vor den Toren der Macht ankommt, wirkt die Opposition ihm gegenüber gespalten, wehrlos und unfähig, die braune Welle aufzuhalten, die droht, das Land zu überschwemmen. Alle, die den Nazis feindlich gesinnt sind, die Politiker, die Journalisten, haben große