Mit 10 Weinproben zum Kenner. Beat Koelliker
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Persönlichkeit und Ausdruck
Ein guter Wein muss Charakter haben, Ausdruck und Persönlichkeit. Er kommt aus einer bestimmten Region und hat das Klima, den Boden und die oft jahrhundertealten Traditionen dieser Gegend in sich aufgenommen. Er wurde aus einer oder mehreren Rebsorten gekeltert, die ihm ihren eigenen Charakter mitgegeben haben. Er stammt aus einem bestimmten Jahr, das vielleicht verregnet war, vielleicht aber auch schön und trocken. Er wurde von Menschen geerntet, gekeltert und im Keller gepflegt und gehegt, bis er in die Flasche abgefüllt wurde. Dann begann das Wirken der Zeit, vielleicht nur kurz, vielleicht über viele Jahre hinweg. Von all diesen Erlebnissen ist der Wein geprägt, den wir in unser Glas einschenken. Und alle diese »Prägungen« machen die Flasche einzigartig, die wir heute und hier entkorkt haben. Je mehr wir davon beim Verkosten erfahren, umso ausdrucksvoller, tiefgründiger und komplexer ist der Wein.
Schönheit und Harmonie
Zu unserem Respekt und unserer Faszination vor der Persönlichkeit des Weins tritt unser Bedürfnis nach ästhetischer Schönheit, nach Form, Harmonie und Proportion. Ein Wein spricht mit vielen Stimmen zu unseren Augen, der Nase, dem Geschmack und dem Tastsinn. Alle diese Stimmen vereinigen sich im Augenblick des Genusses zu einer Art Konzert. Nun muss alles passen. Die einzelnen Stimmen können sich gegenseitig unterstützen und steigern, aber auch unterdrücken und auslöschen. Einige wenige Milligramm zu viel Säure oder zu wenig Tannin können das Gesamtgefüge eines Weins nachhaltig beeinflussen oder sogar zum Einsturz bringen. Kein chemischer Analyseapparat kann hier helfen. Es ist der Künstler im Weinberg und im Keller, der dieses Konzert dirigiert und die Stimmen so ins Gleichgewicht bringt, dass wir im Idealfall gefesselt zuhören und staunen.
Gebräuchliche Bewertungssysteme
Viele Verkoster richten sich heute nach einem Punktesystem, das es ihnen erlaubt, die Qualität eines Weins auf einer virtuellen Skala einzuordnen. Das kann auch für unsere eigenen Verkostungen nützlich sein, indem wir auf diese Weise festhalten, wie gut oder schlecht uns ein Wein geschmeckt hat.
Das 20-Punkte-System
Das heute beim Verkosten besonders häufig angewandte System umfasst theoretisch eine Skala von 20 Punkten. In der Praxis werden aber nur die Zahlen von 10 an aufwärts verwendet.
Die einzelnen Stufen bedeuten: Ist ein Wein vollkommen, bekommt er mit 20 Punkten die Höchstnote. 18 oder 19 sind immer noch hervorragend, 16 und 17 sehr gut, 14 und 15 gut, 12 und 13 einigermaßen gut und 10 und 11 passabel.
Das 100-Punkte-System von Robert Parker
Der amerikanische Rechtsanwalt und Weinkritiker Robert Parker hat in den 1980er-Jahren ein 100-Punkte-System eingeführt, nach dem er pro Jahr viele Tausend Weine verkostet. Seine Beurteilungen werden international sehr beachtet und setzen vor allem bei den Bordeaux-Weinen einen Maßstab, der den Weinmarkt wesentlich beeinflusst.
Hugh Johnsons vier Sterne
Hugh Johnson, der wohl bedeutendste Weinautor überhaupt, verwendet in seinem »Kleinen Johnson« einem jährlich erscheinenden Taschenbuch über die wichtigsten Weine, Produzenten und Jahrgänge, vier Qualitätsstufen, die er mit Sternen bewertet:
* | einfache Qualität für jeden Tag |
** | überdurchschnittlich |
*** | bekannt, berühmt |
**** | erstklassig, anspruchsvoll, teuer |
JLF-WEINTEST
Der beste Weintest, den wir kennen, stammt von Andreas März, dem kreativen Mitbegründer und Chefredakteur der Weinzeitschrift »Merum«. Lassen wir ihn selbst zu Worte kommen:
»Der härteste Prüfstand für einen Wein ist der Esstisch. Egal, wie ein Wein in der Blindverkostung, bei der Dutzende von Weinen hintereinander geschlotzt und ausgespuckt werden, abschließt, der verlassene Esstisch macht die zuverlässigsten Aussagen über die Güte eines Weins: In der leersten Flasche war stets das beste Tröpfchen! Die Regeln für den »JLF-Weintest«: Die Flaschen sind unverdeckt; die Gäste probieren von jeder Flasche ein kleines Schlückchen, bevor sie ihrer Vorliebe freien Lauf lassen. Nach dem Weggang der Gäste misst der Gastgeber mit dem Maßband die Weinreste in den Flaschen, und dann gilt: JLF (Je leerer die Flasche), umso besser der Wein!«
Essen und Wein
Was sich verträgt und was sich besser aus dem Weg geht.
Kein Wein wurde gekeltert, um später von Degustatoren geschlürft und anschließend ausgespuckt zu werden. Wein gehört mit dem Essen auf den Tisch und nicht in einen sterilen Degustationsraum. Er vermehrt den Genuss, rückt die einzelnen Gerichte ins rechte Licht und macht sie sogar noch bekömmlicher.
Bei der Vorstellung der Weinstile und der Beschreibung der einzelnen Weine weisen wir jeweils auf deren besondere Affinität zu bestimmten Speisen hin. Hier möchten wir nun ein paar Grundsätze vorstellen, die man bei der Kombination von Essen und Wein beachten sollte. Wir wollen allerdings aus dem Thema »Wein und Essen« keine Wissenschaft machen, die jede Kreativität erschlägt. Doch auch willkürliches Improvisieren führt nicht immer zu einem positiven Erlebnis, deshalb einige Hinweise.
Das Zusammenspiel der Aromen
Genau wie der Wein verströmt auch ein Gericht eine Fülle von Aromen. Am besten knüpft man bei der Wahl des Weins daran an. Achten Sie dabei vor allem auf die Saucen und die Zubereitungsart. Sie tragen oft entscheidend zum Aroma des Gerichts bei. Wir können also nicht grundsätzlich sagen, was zu Hähnchen passt, sondern müssen beachten, wie das Hähnchen zubereitet ist, ob mediterran, mexikanisch oder thailändisch. Im umgekehrten Fall richten Sie sich nach dem Wein. Servieren Sie einen Weißwein mit Zitrusaromen, können Sie beim Würzen der Speisen mit Zitronensaft oder abgeriebener Zitronenschale eine Entsprechung aufbauen. Buttrig schmeckende Weine wie ein Chardonnay aus der Neuen Welt passen sehr gut zu Gerichten mit einer Buttersauce, und ein pfeffriger Syrah von der Rhône ist der ideale Begleiter zu einem ebenfalls mit Pfeffer gewürzten Steak.
Man kann diese Harmonie sogar noch unterstützen, indem man der Sauce des Gerichts einen Schuss von dem Wein beifügt, den man dazu trinken möchte. (Es darf auch eine günstigere Version des gleichen Typs sein.)
Säure
Grundsätzlich sollte die Säure des Weins in etwa der des Gerichts entsprechen. Ein säurebetonter Chianti verträgt sich deshalb besonders gut mit einer Pasta mit Tomatensauce oder ein kräftiger Riesling mit einer Ente mit Orangen. Ein Wein mit wenig Säure könnte da nicht mithalten.
Tannin
Es verträgt sich hervorragend mit den leicht bitteren Röstaromen von gebratenem Fleisch. Tannin reinigt nach dem Genuss fetter Gerichte oder solchen mit kräftigen dunklen Saucen den Mund hervorragend. Ein junger, tanninreicher Bordeaux oder Rioja ist daher der ideale