Der Dozent. Stefan Meier

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Der Dozent - Stefan Meier

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verlieren.

      Der Bus erreichte den Bahnhof und Natalie hörte einige ältere Leute schimpfen, da ihnen niemand beim Aussteigen Platz machte. Einige Glückliche konnten den frei geworden Raum ausnutzen und zusteigen, dann schlossen sich die Türen wieder und der Bus setzte sich in Richtung Campus in Bewegung. Keine fünf Minuten später öffneten sich die Türen vor dem Hörsaalzentrum der Hochschule. Natalie stieg aus und schnappte erst einmal nach Luft. Der Regen war einem feinen Nieselregen gewichen. Schietwetter! Natalie hastete los, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. Während jeder Studierende zwei Fächer frei wählen konnte, oder in Lillys Fall noch einige zusätzliche aus Interesse, waren die Module in Pädagogik für jeden verpflichtend. Und wenn jeder in die gleiche Vorlesung musste, dann wurde es vor allem eins – voll!

      Das Audimax war der größte Raum auf dem Campus und umfasste etwa vierhundert Sitzplätze. Verglichen mit anderen Hochschulen war dies recht klein, doch an der Hochschule reichte es aus. Meistens zumindest. Im Hörsaalzentrum befanden sich noch zwei kleine Hörsäle, die jeweils Platz für hundertfünfzig Studierende boten, aber dort hatte sie noch nie Veranstaltungen gehabt. Oft wurden sie von den Naturwissenschaften genutzt und sie wusste von Lilly, dass in den ersten Semestern die Vorlesungen in Mathematik darin stattfanden.

      Sie ging durch die Haupttüren ins Gebäude und bog nach rechts zum Audimax ab. Das Foyer war riesig und die Deckenhöhe schätzte sie auf über zehn Meter, wie in einer Kirche. Ähnlich war auch die Akustik. Das Hallen ihrer Schritte wurde verstärkt und klang bis zum anderen Ende. Ebenso die Stimmen der gefühlt hundert Personen, die noch vor dem Audimax standen und sich unterhielten. Sie zwängte sich durch die Menge hindurch und betrat den Hörsaal. Eine lange Treppe führte runter zum Pult und der riesigen Leinwand. Der Raum war aufgebaut wie eine Herzmuschel. Einige Meter hinter dem Rednerpult war der Raum zu Ende und mündete in zwei schmale, aber unglaublich hohe Fenster. In der ersten Sitzreihe waren neun Sitzplätze, dann eine Treppe, dann weitere neun Sitzplätze. Alle in einem Bogen zum Pult angeordnet. Insgesamt waren es dreizehn Sitzreihen und bei jeder Reihe kam auf beiden Seiten je ein Sitzplatz dazu. Das klang wie eine Matheaufgabe. Ob Lilly die Anzahl an Sitzplätzen mal ausgerechnet hatte? Bestimmt! Sie grinste.

      Der Raum war schon recht voll, obwohl die Vorlesung erst in zehn Minuten beginnen würde. Oft waren es die Raucher oder Kaffeejunkies, die zu spät kamen und keinen Sitzplatz mehr fanden. In dem Fall musste man sich auf die Treppen setzen, die heute wegen der nassen Schuhe unangenehm feucht sein würden, prophezeite Natalie. Ihr Blick glitt durch die Menge und sie erkannte Lilly und Jakob, die sich zu ihr umdrehten und sie herwinkten. Sie ging einige Reihen nach unten und zwängte sich zum Unbehagen zweier Studentinnen durch die Reihen. Wieso setzt man sich auch ganz nach außen, wenn daneben noch ein halbes Dutzend Plätze frei sind?! Dann gesellte sich Natalie zu ihren beiden Freunden.

      „Da bist du endlich. Ich hatte schon gewettet, dass du verpennst“, scherzte Lilly und nahm ihre Jacke vom Nachbarstuhl, sodass Natalie sich setzen konnte.

      „Und die Wette habe ich gewonnen! Nun schuldest du mir einen Muffin, Lilly, aber mit einem Kaffee wäre ich auch zufrieden“, lachte Jakob und nickte Natalie zur Begrüßung zu. Die beiden kannten Jakob seit ihrem ersten Tag. Sie hatten sich alle drei bei der Einführungswoche kennengelernt – einer Woche, die für die Erstsemester veranstaltet wurde, um sich untereinander, ihre Dozenten, die Hochschule und den Campus kennenzulernen. Für Jakob war es bereits die dritte Einführungswoche gewesen. Anfangs hatte er Mathematik und Kunst studiert, da beide Fächer einen niedrigen NC hatten und er trotz seines Abiturschnitts von 3,2 studieren wollte. In Mathematik fiel er durch die Klausuren im ersten und zweiten Semester jeweils zweimal durch und weil er keine Lust auf einen Drittversuch hatte, entschied er sich, ein Jahr später von Mathe zu Sport zu wechseln. Wieder ein Jahr später wechselte er von Kunst zu Germanistik. Nicht, weil er schlecht zeichnen konnte, sondern weil er keine Lust hatte, zu jedem seiner Bilder eine zehnseitige Ausarbeitung darüber zu schreiben, was er beim Planen, Malen und Betrachten seines Kunstwerkes gefühlt hatte. Seine Kommilitoninnen sogen sich vieles aus den Fingern und dichteten unzählige Emotionen rein und so etwas wollte er nicht. Er hatte Spaß beim Malen und Verwirklichen seiner Ideen gehabt, aber das konnte er niemals auf zehn Seiten strecken – höchstens mit Schriftgröße Zweiundsiebzig und doppeltem Zeilenabstand.

      „Na, hast du Bock?“, fragte Jakob und grinste frech. Natalie kannte seine Einstellung zum Studium.

      „Tatsächlich habe ich Bock …“, antworte sie und lächelte zurück. „Und wie ist es bei dir? Bist du froh, dass das Semester wieder startet?“

      „Bin ich!“ Sie war überrascht. „Dieses Semester steht in Sport Segeln auf dem Programm. Ich werde für mein Hobby benotet und es muss am Ende keine Hausarbeit oder Klausur geschrieben werden. Nur ein kleiner Test zur Theorie und das packe ich locker.“

      „Das klingt super! Habe dich noch nie so motiviert erlebt.“

      Wenn Natalie die Gutmütige und Lilly die Intelligente in der Runde waren, dann war Jakob der Klassenclown. Warum er nicht direkt von Anfang an Sport studiert hatte, war ihr immer ein Rätsel gewesen. In seiner Freizeit übte er viele Sportarten aus und hatte mit seiner Größe von knapp zwei Metern und seinem breiten Kreuz eine sehr athletische Statur. Nur, dass das Sportstudium auch viel mit Theorie zu tun hatte, viel gelesen werden musste und jedes Semester mehrere Tests anstanden, schien bisher allerdings kein Problem zu sein. Naja, warten wir es mal ab. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren sollte er nicht noch einen Fächerwechsel durchmachen.

      „Ja, Segeln wird super! Das war es denn aber auch schon. Den Rest des Semesters muss ich halt ertragen, aber dafür habe ich ja euch, ha!“ Er stieß mit der Hand gegen Lillys Schulter und lachte. „Und wenn ich weiterhin so gut wette, dann kriege ich immerhin jeden Tag frischen Kaffee.“

      „Mit dir wette ich nicht mehr, ätsch“, konterte Lilly und holte aus ihrem Rucksack einen Collegeblock, einen Kugelschreiber, einen Bleistift und Marker in diversen Farben.

      „Allzeit bereit …“, dachten sich die beiden anderen und schüttelten ihren Kopf.

      Sie tauschten sich noch über ihren Stundenplan aus, verglichen ihre Kurse und schließlich folgte der übliche Klatsch und Tratsch. Wer mit wem, Jakobs Trinkallüren, Gott und die Welt und diverse Geschichten über Familie und Freunde aus der Heimat. Schließlich hatten die beiden Jakob eine Weile nicht gesehen und dass der Dozent bereits fünf Minuten zu spät war, wurde ausgenutzt.

      „… und dann haben wir die Rechnung erhalten und irgendwie hatte jeder sieben Gin getrunken – und dabei wollten wir einfach nur einen Happen essen gehen. Zack! Fünfundsechzig Euro weg und für die nächsten Wochen gab es für mich nur noch Reis mit Ketchup und Kräuterbaguette mit paar Scheiben Gouda überbacken!“

      Natalie und Lilly warfen sich einen vielsagenden Blick zu. „Du alter Pleitegeier! Erinnerst du dich noch an letztes Semester? Du hast so viel gearbeitet, dass wir dich kaum zu Gesicht bekommen haben. Jetzt wissen wir auch, warum“, grinste ihn Natalie an. „Teil dir dein Geld mal klüger ein.“ Aber das Problem mit den Geldsorgen kannten sie auch. Mittlerweile waren sie Expertinnen darin, mit einem kleinen Budget auszukommen. Große Portionen vorkochen, mehrere Tage davon essen und zur Not die Reste einfrieren. Nichts wurde unnötig weggeworfen.

      „Ja, du hast ja recht“, seufzte Jakob. „Mittlerweile habe ich meine Ausgaben wieder im Griff.“ Er lachte.

      „Habt ihr eigentlich Felix und Sandy gesehen? Müssten die nicht auch hier sein?“, fragte Lilly.

      „Also von Felix weiß ich, dass er dieses Semester ein anderes Modul belegen wollte. Von Sandy weiß ich nichts. Habe sie ewig nicht mehr gesehen oder mit ihr gesprochen“, erwiderte Jakob und Natalie nickte. Sie hatte auch seit langem keinen aktiven Kontakt mehr.

      Ein

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