Der Dozent. Stefan Meier

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Der Dozent - Stefan Meier

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stellte die Tasche auf der Metallbrücke ab, lehnte sich auf das Geländer und blickte ins Wasser. Der Grund des Teichs und einige Wasserpflanzen waren zu erkennen. Ab und an schwamm ein kleiner Fisch vorbei, aber mehr passierte nicht. Die Bäume, die um den Teich wuchsen, versperrten den Blick auf die Gebäude der Hochschule, dadurch fühlte man sich hier wie in einer kleinen grünen Oase. Nur die Geräusche der nahen Bundesstraße erinnerten daran, dass man sich in einer Stadt befand, obwohl der Campus unheimlich viele Grünflächen bot. Sie drehte sich um, lehnte sich nun mit dem Rücken gegen das Geländer, kramte in ihrer Tasche herum und suchte ihren Stundenplan. Zwischen dem Collegeblock, dem Federmäppchen und der Packung Taschentücher fand sie ihre blaue Mensakarte. Tollna endlich! Sie entfaltete ihren Stundenplan. Nächste Veranstaltung:

      Sprachentwicklung

      Montag

      14 – 16 Uhr

      Hauptgebäude Raum 236

      Dozent: Schmidt

       Schmidt! Ein witziger Zufall?

       7

      Kurz vor zwei verließ Natalie die Brücke und machte sich auf den Weg zum Hauptgebäude. Das Gebäude erinnerte an einen großen L-Block aus dem Spiel Tetris. Es war sechs Stockwerke hoch und hatte einen gelblichen Anstrich. Viele Institute, wie die Germanistik und die Geografie, hatten dort ihre Dienstbüros. Zudem befanden sich etliche Seminarräume, die Büros der Hausverwaltung, die Druckerei und Aufenthaltsräume für Studenten im Gebäude. Ihre Veranstaltung fand im zweiten Stock statt und da sich bereits eine Menschentraube vor den beiden Fahrstühlen bildete, nahm sie den Weg zum Treppenhaus und flitzte die zwei Stockwerke nach oben.

      Vor dem Raum warteten bereits Lilly, Jakob und Felix auf sie. Felix war der beste Freund von Jakob. Zwar war er ein wenig kleiner, doch schien er deutlich kräftiger und agiler zu sein. Im Sommer trug er das typische Outfit eines Beachboys: Badeshorts, Flipflops, weißes Muskelshirt, Sonnenbrille und immer ein kleines Kettchen um den Hals. Heute war er ganz casual gekleidet und trug Jeans und einen blauen Pullover. Er war mit seinem kantigen Gesicht, kurzen, hellen Haaren und bernsteinfarbenen Augen ein Frauenschwarm und hatte immer entweder einen kecken oder einen anzüglichen Spruch auf den Lippen. Man mochte ihn nun in die typische Machoschublade stecken, aber das stimmte bei ihm nicht ganz. Fünf Jahre war er mit seiner Freundin Sarah zusammen und auch wenn beide, bedingt durch das Studium, mehrere Hundert Kilometer voneinander entfernt lebten und sich nur am Wochenende sahen, war er ihr niemals fremdgegangen. Nicht einmal auf Partys hat er mit fremden Frauen getanzt. Leider war sie ihm nicht sehr treu. Vor einem halben Jahr fand er heraus, dass sie in seiner Abwesenheit mit einem anderen Typen schlief. Um sie zu überraschen, war er ein Wochenende spontan in die Heimat gefahren und hatte sie in flagranti erwischt. Seitdem wirkte er manchmal ein wenig abgestumpft und kühl. Aber sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit war seine Charakterstärke. Natalie erinnerte sich, wie er einmal aus dem Bus gesprungen war, als er sah, wie ein kleiner Junge von drei größeren Jungen geärgert und geschubst worden war. Er hatte sie verbal zusammengefaltet und dem Jungen seine Handynummer gegeben. Für alle Fälle. Zwar hatte er zwanzig Minuten auf den nächsten Bus warten müssen, aber dafür hatte er dem Jungen auf Dauer geholfen. Das hoffte Felix jedenfalls, einen Anruf hatte er jedenfalls nie bekommen.

      Sie war erstaunt über sein Verhalten gewesen, denn so viel Zivilcourage war heutzutage leider selten. Sie hatte ihn am nächsten Tag darauf angesprochen und erfahren, dass es ihm einmal wie dem kleinen Jungen ergangen war. Klein, schwach und von anderen Mitschülern gehänselt. Während der Pubertät hatte sich alles geändert, denn plötzlich war er in die Höhe geschossen und überragte alle seine Mitschüler. Zur gleichen Zeit hatte er mit intensivem Training begonnen und wurde zu der Person, die er heute war. „Nur meine Werte habe ich nie vergessen“, hatte er ihr versichert. Felix hatte zur selben Zeit wie Natalie und Lilly mit dem Studium begonnen, die drei hatten sich aber erst über Jakob kennengelernt.

      „Hey ihr! Und? Hast du deinen Raum gefunden?“, fragte Natalie und blickte zu Jakob.

      „Ja, habe den Raum echt leicht gefunden … saß da knapp eine halbe Stunde und sah dann auf dem Stundenplan, dass der Kurs erst nächste Woche losgeht. Danach habe ich ein kleines Nickerchen im Aufenthaltsraum gemacht …“ Typisch Jakob!

      „Hey Natalie, wie geht es dir? Lang’ nicht mehr gesehen“, sagte Felix warmherzig. Nein, ganz und gar kein Macho. Er war richtig nett.

      „Hey, schön dich zu sehen. Ich bin froh, dass das Semester losgeht und ich euch alle wiedersehe. Wie geht es dir?“

      „Ich freue mich richtig auf Segeln mit unserem Jakob hier“. Er legte die Hand auf seine Schulter und rüttelte ihn etwas. „Und auf den Rest bin ich gespannt. Wer macht diesen Kurs? Weiß das wer?“

      „Herr Schmidt!“, antwortete Lilly wie aus der Pistole geschossen. „Sagt euch der Name was?“

      „Wenn es der gleiche ist, dann … war ich mit ihm vorhin in der Mensa essen. Ich konnte meine Karte blöderweise nicht finden und er hat mich eingeladen.“

      „Uuuuh …“, tönte Felix dazwischen, „dann hoffen wir mal, dass du in dem Kurs eine mündliche Prüfung ablegen kannst.“ Da war er – der erste anzügliche Spruch von Felix in diesem Semester. Und dabei ging das Gespräch noch keine zwei Minuten.

      „Lass mich, du Idiot“, grinste Natalie und stieß Felix gegen die Schulter. „Er war echt nett. Wir haben uns ein wenig über das Studium und so unterhalten. Ich bin sehr gespannt.“

      Nun lachten auch Lilly und Jakob und sie fühlte sich ein wenig verlegen. Die unangenehme Stille wurde aber von einer nölenden Stimme zerrissen, die sich vom anderen Ende des Korridors näherte.

      „Erster Tag und schon so einen Hals! Was für eine Idiotin! Wie kann die Hochschule so eine bitte anstellen? Und dann werden in ihrem Seminar nur Referate gehalten, während sie sich zurücklehnt und am Ende des Monats ihr Gehalt absahnt. Na, das kann ich auch! Und nicht einmal die Gruppenmitglieder durfte man sich selber aussuchen. Es wurden Karten gezogen! Karten! Woher hat sie bitte diese Schnapsidee? Bestimmt aus so einem 08/15 Pädagogikmagazin. Und meine beiden Gruppenmitglieder sind Kunststudentinnen, das wird eine sichere 5,0 – und mein Leben ist damit vorbei.“

      Auch wenn die Person, zu der diese Stimme gehörte, noch nicht in Sichtweite war, wussten alle vier bereits, um wen es sich handelte – Heike. Jeder Kurs, den sie mit Heike gemeinsam belegten, war ein Wechselbad der Gefühle. Meistens war Heike damit beschäftigt, sich über Kleinigkeiten künstlich aufzuregen und allen mit ihrem Gezicke auf die Nerven zu gehen. Die Stimmung wurde dann belebter, wenn sie an einen Dozierenden geriet, der nicht nur einstecken, sondern auch gern mal austeilen konnte und somit für Gelächter im Kurs sorgte. Manchmal spielte sie aber auch die süße, naive Studentin und versuchte sich auf diese Weise durchzumogeln. Es war, als ob mehrere Persönlichkeiten in ihr schlummern würden, die sie situationsbedingt einfach mit einem Fingerschnippen wechseln konnte. Natalie würde nie Leute verurteilen, es war einfach nicht ihre Art, aber bei Heike fiel es ihr schwer.

      Heike war klein und hatte wasserstoffblonde Haare, an deren Ansätze ihre natürlichen dunkelblonden Haare wieder sichtbar wurden. Ihr Gesicht war rundlich, doch lief es an Nase und Kinn spitz zu. Auf der Nase hatte sie eine blaue Brille, die die Farbe ihrer Augen verstärkte. Sie trug einen grauen Poncho mit dunkleren Streifen in Kombination mit einer schwarzen Hose, hielt einen Laptop von Apple unter dem Arm und trug einen Fjällräven-Rucksack auf dem Rücken. Vom Charakter her erinnerte sie Natalie ein wenig an Dolores Umbridge aus der Harry Potter Reihe. Heike liebte es, ihren Mitmenschen das Leben schwer zu machen und gluckste immer freudig in einer künstlichen hohen Stimme, wenn sie

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