Wie die Nummer 5 zum Halten kam. Uwe Trostmann

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Wie die Nummer 5 zum Halten kam - Uwe Trostmann

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wurde mir das Alemannische als Dialekt bewusst. Auf der Schule musste hochdeutsch gesprochen werden. Nur wenige Lehrer hatten einen süddeutschen Dialekt. Im Deutschunterricht wurden badische Worte nicht akzeptiert. Nur ab und zu, meistens zu Weihnachten, las der Klassenlehrer eine Geschichte auf Badisch vor.

      Das alte Quartier

      Seitdem meine Tochter mit ihrer Tochter, meiner Enkelin, im alten Haslach wohnt, komme ich hin und wieder in meine frühere Heimat und fahre auch durch die Straßen meines alten Viertels, den Luckenbachweg und die Markgrafenstraße. Seit den großen baulichen Veränderungen in den sechziger und Siebzigerjahren hat sich nicht mehr viel Neues getan. Die alte Schule als mächtiger dunkler Bau beherrscht immer noch das Zentrum. Alte Läden sind verschwunden, neue wurden eröffnet. Im Vergleich zu meiner Jugendzeit ist das Leben im Zentrum bunter geworden. Das liegt nicht nur an den Farben der Geschäfte, sondern auch an den Hinzugezogenen aus anderen Ländern. Unsere Eltern als Flüchtlinge wollten sich nur unauffällig eingliedern, die Neuen jetzt wollen ihre Identität bewahren. Keiner unserer Eltern hat damals einen Laden eröffnet. Der Obst- und Gemüseladen heute sieht italienisch aus. Südländisch die Atmosphäre und die Sprache. Zwei Supermärkte, eine Apotheke, ein Fahrradladen, ein Drogeriemarkt und ein Bäcker komplettieren das Angebot. Bäcker Pfeifle ist der einzige Laden, den es schon zu unserer Jugendzeit gab. Das Angebot an Geschäften ist gut. Früher war es anders, entsprechend unseren bescheideneren Bedürfnissen. Der Dorfbrunnen wurde irgendwann aus der Straßenmitte an den Rand verlegt, um für eine neue Straßenbahnlinie Platz zu schaffen. Heute fährt die neue Linie aber gar nicht mehr durch unser altes Viertel: Die Straßen dort sind verkehrsberuhigt. Auf meinem früheren Schulweg sehe ich nicht viele Veränderungen. Nur eine Tankstelle auf der anderen Straßenseite existiert nicht mehr. Der Weg zum Pfarrsaal und zur evangelischen Kirche hat allerdings große Veränderungen erlebt. Die vielen kleinen Geschäfte, oft auch die Häuser, gibt es nicht mehr.

      Unsere Siedlung ist zeitgemäß renoviert worden. Aber die alten Teppichstangen sind immer noch da, ebenso wie die Balkone; auf unserem machte ich damals meine ersten Chemieexperimente. Entsprechend dem Zeitgeist sind die Außenseiten der Balkone nicht mehr einheitlich rotbraun, sondern bunt. Einige Erwachsene habe ich auf unserem Fußballrasen Federball spielen sehen. Und tatsächlich, ein paar Kinder spielten Fußball. Unter der Teppichstange stand der Torhüter. Bei einem Spaziergang durch das Wohngebiet stellte ich fest, dass ich inzwischen viel Abstand zu meiner alten Straße habe. Sechzehn Jahre lang habe ich dort gewohnt. Letztendlich nur ein Bruchteil meines Lebens, aber ein entscheidender für meine Prägung. Die Erinnerung ist geblieben und darf auch bleiben.

      Unsere Straße

      Das alte Haslach: Luckenbachweg, Markgrafen- und Staufener Straße, der Bäcker Pfeifle, die kleinen Läden und später das erste Lebensmittelgeschäft mit Selbstbedienung, der „Gottlieb“. Ein Stück weiter weg der rundliche, nette Kinderarzt Dr. Bohn, ein Schneider, eine Apotheke. Ein paar Hundert Meter weiter in der Markgrafenstraße war die Metzgerei Meier und daneben der Konsum. Durch das Zentrum des früheren Dorfes mit dem Brunnen führt noch heute die Carl-Kistner-Straße, an der das KfA lag, das Kaufhaus für Alle, außerdem gab es Fahrrad Lickert, dann das Kino neben dem Gasthaus Hirschen und schließlich Schreibwaren Braun, wo wir unsere Schulsachen kauften. Am anderen Ende dieses Zentrums war die Karosseriewerkstatt Baab. Um die Ecke die Pestalozzischule, und in der anderen Richtung ging es zu den Franzosenbauten. Französisches Militär war noch lange in Freiburg stationiert. Durch einen Seiteneingang der Schule erreichte man das Volksbad für Leute, die kein eigenes Bad in der Wohnung hatten. Klassenkameraden, die noch in den Mietshäusern der Vorkriegszeit lebten, besuchten es regelmäßig. Eines dieser Viertel lag um den Nonnenmattenweg, einige Klassenkameraden kamen von dort. Samstags herrschte Hochbetrieb im Volksbad. Ich sah das Volksbad nie von innen. Unsere neuen Wohnungen hatten schon den Luxus eines eigenen Bades.

      Das war meine, unsere Welt. Erste Schritte unternahm ich alleine im Luckenbachweg und in der Karl-Kistner-Straße, einem Gebiet mit Mietwohnungen, schnell errichtet in den Fünfzigerjahren. Für die vielen Flüchtlinge mit ihren Nachkriegskindern musste Wohnraum bereitgestellt werden. Hier wurden einige Hundert Familien untergebracht.

      Zwischen den Häusern wuchs Rasen, Platz zum Spielen. Und Kinder gab es auch genug. Viele Eltern waren nicht mehr die Jüngsten und gehörten zur Kriegsgeneration. Es gab wieder Arbeit und Essen, und jetzt zu Friedenszeiten wurden erst einmal Kinder gezeugt. In beinahe jeder Wohnung gab es Kinder. Die Straßen konnten wir nicht erobern, denn schon damals gab es hier einigen Autoverkehr. Und da war die Straßenbahn Nummer 5: Laut rumpelnd, bimmelnd, außen mit braunem Holz verkleidet, gelegentlich mit einem Anhänger, zog sie vorbei. Respekt hatten wir vor ihr, gefahren sind wir nicht so oft. Wir hatten kaum Geld dafür. War die Stadt das Ziel, so liefen wir zu Fuß.

      Manchmal war die nette Verkäuferin in der Bäckerei großzügig, und ich bekam ein Bonbon. Das war ein Grund, mit zum Einkaufen zu gehen. Peinlich wurde es, wenn Mutter ein Gespräch anfing und ich zum Thema dieser Unterhaltung wurde. Ein paar kleine Läden in der Umgebung, ein Lebensmittelladen, ein Friseur, ein Pferdemetzger, der aber bald verschwand. Ein paar Jahre später machte ein Gottlieb bei uns auf, der erste Supermarkt mit Selbstbedienung. Der Einkauf ging schneller, man konnte besser auswählen, man wurde anonymer. Das Einkaufen verlor seinen sozialen Charakter. Ich kam mir ziemlich verloren in diesem Laden vor, wenn Mutter mich zum Einkaufen schickte. Ich ging nicht gerne dorthin. Ich fand es einfacher, eine Bestellung aufzugeben, als selber das gewünschte Produkt zu suchen. Manchmal kam ich mit dem Falschen zurück. Nach und nach machten die kleinen Läden zu. Ebenso der Metzger. Sie konnten nicht mehr gegen den Supermarkt bestehen. Erst später sind mir die Veränderungen bewusst geworden, die in meinen sechzehn Jungenjahren stattgefunden hatten. Die 5 fuhr jetzt auch nicht mehr. Ein Bus hatte sie abgelöst.

      Und es gab die Schule, den größten Bau der Gegend. Für mich gewaltig, dunkel, Furcht einflößend. Lange habe ich einen Bogen um das Gebäude gemacht. Vielleicht lag es auch an meiner Mutter. „Wenn du in die Schule kommst, beginnt der Ernst des Lebens“, sagte sie zu mir. Was war denn der Ernst des Lebens? Meinte sie, dass ich dann nicht mehr spielen durfte? Oder doch etwas anderes? Sie machte mir Angst mit diesem Spruch. Aber der Tag kam, dann schluckte uns dieser Bau für ganze zehn Jahre.

      Unser Schulweg war kurz. Morgens holte ich meinen Freund Rüdiger ab. Meistens schickte Mutter mich zu früh.

      „Lieber zu früh sein als zu spät“, war ihre Meinung. Das sitzt noch heute in mir. Rüdiger verließ das Haus immer pünktlich, sodass ich vor dem Haus auf ihn warten musste. Mittags ging es in einem Trupp zurück. Fünfzehn Minuten galt es wieder nach Hause zu laufen, falls uns nicht etwas von unserem Weg abgelenkt hatte: Eine Baustelle, wo wir dem Bagger zuschauten, ein neues interessantes Auto oder eine Prügelei unter Schülern. Mein Freund Horst und andere waren dabei, auch Mädchen, die in unserem Quartier wohnten. Es war ratsam, pünktlich zuhause zu sein. Das Essen kam auf die Minute auf den Tisch, wie von Vater befohlen. Und der Sohn hatte auch dort zu sitzen. So waren die Sitten, zumindest in unserer Familie.

      Brunhilde war in der Mädchenklasse, und sie wohnte direkt nebenan. Mutter hatte viel Kontakt zur Nachbarin. Sie nähten und strickten zusammen, und immer, wenn Vater wieder einmal mit schlechter Laune nach Hause gekommen war und meine Mutter, wie so oft, wegen nichts zur Schnecke gemacht hatte, heulte sie sich bei der Nachbarin aus.

      Brunhilde und ihre Familie hatten schon einen Fernseher. Nachmittags kamen Märchenfilme. Die durfte ich ansehen, fand sie aber schrecklich. Ich war so ergriffen vom sterbenden Schneewittchen, dass ich heulend in unsere Wohnung zurückrannte. Ich habe nie wieder Märchenbücher gelesen oder Märchenfilme angeschaut. Heute vermute ich, dass mich schreckliche Stiefmütter und prügelnde Väter zu sehr an die Stimmung bei uns zu Hause erinnerten. Ansonsten waren Brunhilde und ich keine Spielkameraden. Ich war in meiner Freizeit die meiste Zeit bei den Jungs. Brunhilde und ich verloren uns aus den Augen, als Brunhilde auf eine andere Schule ging. Durch den Kontakt der Mütter trafen wir uns aber einige Jahre später wieder. Mein Interesse war nun allerdings ein anderes. Ich war inzwischen

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