Wie die Nummer 5 zum Halten kam. Uwe Trostmann

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Wie die Nummer 5 zum Halten kam - Uwe Trostmann

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bis ihre Mutter ins Zimmer kam. Das war der erste körperliche Kontakt zu einem Mädchen. Die Geschichte mit den Märchenfilmen hat Brunhilde netterweise nie erwähnt.

      Bei Doktor Bohn saß ich regelmäßig im Wartezimmer. Mehrmals im Jahr quälte mich eine Mittelohrentzündung. Antibiotika wurden noch selten verschrieben. Bei Schmerzen legte meine Mutter mir einen warmen, ölgetränkten Lappen aufs Ohr. Hinterher ging es zum Arzt. Der blies Luft in meine Nase, und ich musste „Kuckuck“ sagen. Das tat eindrücklich weh. Ich war schon etwas älter, als meine Mutter meinte, ich könne auch allein zu Dr. Bohn gehen. Manchmal habe ich mich vor dieser Tortur gedrückt. Ich sagte, dass ich zum Arzt ginge, versteckte mich aber irgendwo. Doktor Bohn verpetzte mich nie.

      Keine guten Erinnerungen habe ich an den Zahnarzt. Sein Name ist mir entfallen, jedoch nicht seine Methoden, wahrscheinlich die Methoden der damaligen Zeit. Eine Helferin hielt mich fest, wenn er mit seiner Bohrmaschine in meinem Mund herumfuhrwerkte. Es tat fürchterlich weh. Ich kann mich nicht daran erinnern, auch nur einmal eine Betäubungsspritze bekommen zu haben. Die Zahnarzthelferin drückte mir allerdings zusätzlich ein Gerät in die Hand, auf das ich je nach Schmerzen stärker und intensiver drücken konnte. Das Gerät, an dessen Form ich mich nicht erinnere, machte daraufhin einen fürchterlichen Lärm. Falls von diesem Lärm die Schmerzen weniger werden sollten, so hat dieses Gerät seine Aufgabe verfehlt. Leider musste ich häufiger zum Zahnarzt. Ein Grund war sicherlich, dass ich gerne Bonbons naschte. War der Zusammenhang zwischen Zucker und Karies zu dieser Zeit wirklich noch nicht bekannt? Als Belohnung für die überstandene Folter schenkte mir der Zahnarzt beim Abschied ein Bonbon, damit ich ihn bald wieder beehren konnte!

      Ein Bach war überbaut worden, aber ein paar Meter floss er in zwei Metern Tiefe, an beiden Seiten durch Mauern begrenzt, offen durch unser Viertel. Ein Mädchen, das ich vielleicht zu oft geärgert hatte, warf mich einmal hinein. Ich war kurz bewusstlos gewesen, denn als ich aufwachte, lag ich oben neben dem Bach auf dem Weg. Der Retter wusste, wo ich wohnte. Meine Mutter behielt einen kühlen Kopf, wechselte meine Kleider und brachte mich zum Arzt. Doktor Bohn schickte mich mit Gehirnerschütterung ins Bett. Dem Mädchen tat es leid, und sie schenkte mir ein frisches Ei. In ihrem Schrebergarten hielten ihre Eltern Hühner. Ich war gerührt und verzieh ihr. Ich machte allerdings in Zukunft einen großen Bogen um sie.

      Ganz in der Nähe unseres Viertels fuhren lange Güterzüge regelmäßig über den Fluss Dreisam. Die riesigen schwarzen Lokomotiven faszinierten uns. Im Sommer legten wir uns auf den schmalen Fußweg neben den Schienen und ließen uns von der vibrierenden Zugbrücke durchrütteln. Die Lokomotive und die Güterwagen verbreiteten einen höllischen Lärm. Wir lagen auf dem Boden und schrien dagegen an. Wir hatten eine riesige Freude dabei. Manchmal trauten wir uns auf die Gleise und horchten auf den nächsten Zug. Ganz geheuer war mir das aber nicht, obwohl wir die Gleise über mehrere Kilometer im Blick hatten. Irgendjemand war aber immer dabei, der im letzten Moment von den Gleisen rannte. Der Gefahr waren wir uns nicht wirklich bewusst.

      Die Dreisam war unsere Badestelle, bevor wir später mit dem Fahrrad zum mehrere Kilometer entfernten Freibad nach Sankt Georgen durften. Aus Steinen bauten wir Dämme und legten auf diese Weise kleine Badeteiche an. Leider hatte die Dreisam im Sommer oft nur wenig Wasser, und so wurden unsere Planschteiche auch nur mit wenig Wasser gefüllt. Trotzdem legten wir uns hinein, stolz darauf, unseren eigenen „Swimmingpool“ gebaut zu haben. Oft hatte der Fluss wochenlang kein Wasser. In den restlichen Pfützen schnappten ein paar Fische nach Luft. Sie sahen allerdings nicht nach Forellen und damit essbar aus. Manchmal nahmen wir ein paar von ihnen in einem kleinen Eimer mit nach Hause und setzten sie in die Badewanne. Voller Interesse beobachteten wir die kleinen Fische. Gefüttert wurde mit Brot. Ich versprach auch, die Fische bei ansteigendem Wasserspiegel wieder in den Fluss zu bringen. War allerdings das samstägliche Bad angesagt, verschwanden die Fische auf unerklärliche Weise, und unsere Erste-Hilfe-Aktion war zu Ende. Wo Mutter die Fische entsorgt hatte, habe ich nie gefragt.

      Am schlimmsten waren die angeordneten Sonntagsspaziergänge mit Vater und Mutter im besten Stoff und mit mir im Matrosenanzug. Mutter und Sohn wurden regelrecht ausgeführt. Es wurde gezeigt, was man hatte. Nicht nur, dass es mir verboten war, in diesem Anzug herumzurennen und zu spielen, schlimmer noch war, dass ich brav zwischen den Eltern spazieren gehen musste. Mutter hatte ihr nettestes Lächeln aufgesetzt, während Vater kerzengerade und mit stolzer Miene entweder neben mir oder auch gerne vorneweg spazierte. Er zeigte damit eindeutig, dass er der Chef im Hause war und das Sagen hatte. Eine gewisse Ähnlichkeit mit anatolischen Familien heute ist nicht zu leugnen. Trafen wir Bekannte, so wurde der Hut gezogen, und ein leichtes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Ich fragte mich, wo er das gelernt hatte. Später ist mir klargeworden, dass er damit an Attraktivität gegenüber Frauen gewann. Gerne machte er weiblichen Bekannten gegenüber auch die eine oder andere „witzige“ Bemerkung, die meine Mutter mit einem Lächeln wegsteckte. Zu Hause aber konnte sie kaum eine giftige Bemerkung unterdrücken. Verletzende Äußerungen von seiner Seite ließen dann nicht lange auf sich warten. Aber das waren wir schon gewohnt. Ich sehnte das Ende dieser Familienausflüge herbei. Ich fühlte mich unwohl, für mich waren sie peinlich und entsetzlich langweilig.

      Mach dich bloß nicht schmutzig, trichterten sie mir immer wieder ein. Einmal hatte ich die Erlaubnis bekommen, mein kleines Fahrrad auf einen dieser Spaziergänge mitzunehmen. Ich passte nicht auf und raste zu meinem eigenen Ärger hinunter in einen Bach. Ich hatte ein furchtbares Gebrüll von meinem Vater erwartet, war aber erst einmal erstaunt, dass er in schallendes Gelächter ausbrach. Er dachte nicht daran, mir aus dem Bach zu helfen. Wütend wuchtete ich mein Rad hinaus und machte mich in meinen nassen Klamotten auf den Rückweg. Ich weiß nicht mehr, auf wen ich mehr wütend war, auf meinen Vater oder auf mich. Meine Mutter nahm mich zur Seite, und wir liefen schnell nach Hause. Mir war kalt. Mutter wollte verhindern, dass ich eine Erkältung bekam.

      Nie habe ich meinen Kindern so etwas angetan. Gingen wir einmal mit ihnen spazieren, so bestand immer die Möglichkeit, den einen oder anderen Spielplatz anzusteuern.

      Bei der Pestalozzi-Schule begann die Mitte, das Zentrum von Haslach, gekennzeichnet durch einen Brunnen. Auch er überlebte die Jahrzehnte. Dahinter schloss sich das Franzosenviertel an, Wohnungen für Soldaten. Die Besatzung war noch in der Stadt. Wir gingen dort nicht hin. Erst später, in der Nähe neuer Wohnblocks, kam es gelegentlich zu Kontakten, die aber nicht gewollt waren. Mit dem Bau von neuen Häusern entstand in der Nähe ein Park. Dort trafen wir Teenager uns erst mit unseren Rädern, später mit Mopeds, meistens samstags und sonntags. Die Straße unserer Wohnungen war noch die alte, aber Haslach begann sich zu verändern.

      Unsere Welt öffnete sich langsam. Neue Straßen wurden erkundet, zuerst dort, wo Klassenkameraden wohnten. Zusammen trauten wir uns auch in neue Gegenden. Ich hatte inzwischen die Bücherei und die Geschichten von Eroberern und anderen Abenteurern entdeckt. Meine Welt wurde größer.

      Unsere Wohnung – meine Familie

      Unsere Wohnungen waren klein und eng. Sie durften nicht viel kosten, aber sie waren trocken und warm. Das war nach all den Jahren im Krieg und den provisorischen Verhältnissen danach schon eine Art Wohlstand. Anderthalb Zimmer hatten wir zunächst, später zwei kleine Räume. Meine Eltern stellten das Wohnzimmer mit dunklen Möbelstücken zu. Gelsenkirchener Barock wurde dieser Stil später genannt. Es war etwas vorhanden, und sie waren stolz darauf.

      Ich schlief die ersten Jahre auf einer hellgrünen Ausklappcouch im Schlafzimmer, später im Wohnzimmer. Vater hatte bestimmt, dass ich mit Beginn meiner Schulzeit einen eigenen Raum zum Schlafen haben sollte. Jeden Abend musste erst der Wohnzimmertisch verschoben werden, dann die Bettsachen aus dem Schlafzimmer geholt und die Couch aufgeklappt werden. Mehrmals hatte ich mir die Finger bei dem Versuch eingeklemmt, die Couch selber auf- oder zuzuklappen. Damit hatte ich zumindest nachts ein eigenes Zimmer und hatte das Wohnzimmer ab acht Uhr abends für mich allein. Die Eltern saßen am Küchentisch. Aber es war und blieb das Wohnzimmer. Später haben sie sich den ersten Fernseher angeschafft und ihn ins Wohnzimmer gestellt. Das Richten des Bettes verschob sich nun auf die

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