Wie die Nummer 5 zum Halten kam. Uwe Trostmann

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Wie die Nummer 5 zum Halten kam - Uwe Trostmann

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wollte. Vater wollte sich wichtigmachen, Onkel Kurt wollte lernen. Wenn Vater jemanden ansprach, kam in mir ein Gefühl von Peinlichkeit auf. Doch wenn Onkel Kurt so etwas tat, war ich richtig stolz.

      „Nimm gefälligst ein Buch vor den Kopf“, sagte Vater energisch, wenn ich an einem verregneten Sonntag wieder einmal nur aus dem Fenster schaute oder mich sonst sichtlich langweilte. Um nicht weiteren Zorn auf mich zu ziehen, nahm ich ein Schulbuch und blickte ohne großes Interesse hinein. Meine Gedanken waren ganz weit weg. Eines Tages hatte meine Mutter ein Buch aus der Stadt mitgebracht. Es könnte „Robinson Crusoe“ gewesen sein, denn dies ist eines der ältesten Bücher, die sich immer noch in meiner Bücherkiste befinden. Die Langeweile brachte mich dazu, das Buch in die Hand zu nehmen. Ich legte mich aufs Sofa und begann zu lesen. Die Geschichte von Robinson Crusoe war dann spannend, so spannend, dass ich gleich neue Bücher haben wollte. Brunhilde, meine Nachbarin aus der Mädchenklasse, nahm mich mit in die Bücherei und half mir, einen Leihausweis zu bekommen. Als ich noch unschlüssig war, wo ich suchen sollte, zeigte mir die freundliche Bibliothekarin die für mich geeigneten Bücher. Wenn ich in einer falschen Reihe suchte, wurde ich sofort mit dem Kommentar weitergeleitet: „Die sind noch nichts für dich.“ Diese Bücher machten mich neugierig. Heimlich nahm ich doch das eine oder andere Buch und versteckte mich in der Leseecke. Sie waren aber wirklich noch nichts für mich. Die langweiligen Sätze zwangen mich schnell, diese Bücher wieder zurück an ihren Platz zu stellen. Ich kam von jetzt an immer wieder mit einem Stapel neuer Bücher nach Hause. Ich wünschte mir viele verregnete Sonntage. Doch wenn man sie braucht, kommen sie nicht. Nichtsdestotrotz eroberte ich mir von nun an meine Lesezeit im Garten oder auf Ausflügen.

      Nach Robinson Crusoe kamen die Schatzinsel, Klaus Störtebeker und selbstverständlich Karl May. Es waren Abenteuerromane, die mich interessierten. Während noch bei Robinson Crusoe die Handlung für mich im Vordergrund stand, identifizierte ich mich bei Karl-May mit den Helden. Aber irgendwann wurden Winnetou und Old Shatterhand langweilig und ich fand die orientalischen Geschichten um den Verbrecher Schut bald spannender.

      Danach kamen Bücher, die mich noch mehr fesselten: die Entdeckung des Innersten der Kontinente Afrika und Amerika. Der Blaue und der Weiße Nil, der Amazonas und der Orinoco. Die Beschreibungen der Entdeckungsreisen und die Abenteuer von David Livingstone und anderen. Ich war fasziniert. Diese Reisen lagen mehr als hundert Jahre zurück, und die meisten Orte auf der Welt waren jetzt bekannt. Ich aber wollte viele dieser Länder sehen. Ich wollte reisen. Das war schon damals mein Entschluss. Mutter bekam mich nicht mehr vom Sofa.

      Vater und die Medizin

      Die Gesundheit von Sohn Uwe war Vaters höchstes Gut. Er war bedacht darauf, dass der Sohn gesund war. Ich hatte alle Kinderkrankheiten, die im Lehrbuch standen, leider auch mehrmals jährlich Mittelohrentzündungen. Da Vater immer Schuldige für Missstände aller Art suchte, war meine Mutter schuld an jeder Krankheit, die ich bekam. Bei jedem Wehwehchen meinerseits jagte er uns zum Doktor oder sogar bis zum Professor, als ich einmal Spannungsschmerzen in der Brust hatte. Ich könnte Plattfüße haben, und so bestimmte mein Vater, ich solle orthopädische Übungen mit dem Bleistift machen. Zähneknirschend packte ich den Bleistift mit den Zehen, legte ihn nach links und rechts, bis er der Meinung war, dass die heutige Übungsstunde beendet werden konnte. Ich kannte bald mehr Ärzte als Einkaufsläden. Hunderte von Stunden muss ich mit meiner Mutter in Arztpraxen und Kliniken verbracht haben. Was genau gesucht wurde, ist mir noch heute schleierhaft. Außer meinen normalen Erkältungen, einer Mandelentfernung und einem Bandwurm hatte ich keine besonderen Erkrankungen. Die Arztbesuche fanden einzig und allein auf Vaters Geheiß statt. Ging es ihm wirklich um meine Gesundheit oder wollte er nur den Gegenwert für die Beiträge der Krankenversicherung haben?

      Immer wieder rannte ich an Mutters Seite die lange Eschholzstraße entlang bis zu den Universitätskliniken. Ich hatte keine Ahnung, warum Mutter oft zu spät aufgebrochen war. Das Ende vom Lied war, dass wir hechelnd bei der Patientenaufnahme anstanden. Was nun kam, war auch immer wieder dasselbe: Wir warteten stundenlang, bis wir an die Reihe kamen. Mit fortschreitender Stunde wurde Mutter nervöser, denn um Punkt 12 Uhr hatte das Mittagessen auf dem Tisch zu stehen. Deshalb sollten wir um 11 Uhr wieder zu Hause sein. Selten gelang das. Wir kamen dort an, und Vater war schon wieder auf dem Weg zur Arbeit. Ich kann mir vorstellen, dass er statt Essen nun Wut im Bauch hatte und sein Fahrrad damit malträtierte. Er konnte nicht kochen und hat sich auch bis ins hohe Alter geweigert, es zu lernen. Das war die Sache der Frau.

      In späteren Jahren, ohne Garten und Auto, beschloss Vater, selbst einen Teil seiner Zeit beim Arzt zu verbringen. Er war ein nahezu perfekter Hypochonder. Glücklich kam er mit einer Tüte voller Medikamente, der Beute seines Ausflugs, durch die Eingangstür. Der Beitrag für die Krankenkasse war in diesem Monat wieder erfolgreich in Form von Medikamenten herausgeholt worden. Das Bemerkenswerte dabei war, dass er die meisten Pillen davon auch schluckte. In seiner besten Zeit waren das bis zu acht verschiedene Tabletten, Kapseln, Tropfen oder Pülverchen, täglich. Und das dreimal am Tag. Die Leber wurde trotzdem 95 Jahre alt. Ernsthafte Krankheiten hatte er nie. Die Reste der Medikamente sammelte er in einem Koffer unter seinem Bett, später wurden daraus zwei Koffer. Ich fand sie, als meine Eltern ins Pflegeheim umzogen. Ich wusste inzwischen, dass sich Hunderte von Pillen darin befanden. Vater nahm mir die Koffer sofort aus der Hand, „die nehme ich selber“, und transportierte sie eigenhändig ins Pflegeheim, wo sie wieder unter dem Bett verschwanden. Wegen seiner Rückenschmerzen befanden sich auch einige starke Schmerzmedikamente darunter. Gerne nahm er ein paar mehr davon, bis er antriebslos auf dem Sofa lag. Die Pfleger brauchten einige Wochen, bis sie die Ursache in Form der versteckten Koffer fanden. Vater war inzwischen hochgradig tablettenabhängig. Erst mit Gewalt, schließlich mit der Drohung, die Polizei zu rufen, verteidigte er bis zuletzt seinen Pillenschatz. Erst die Ankündigung der Heimleitung, ihn sofort auf die Straße zu setzen, wirkte. Danach durfte sein Hausarzt, der ihm noch nie einen Wunsch abgeschlagen hatte, ihn nicht mehr betreuen und wurde durch einen anderen Arzt ersetzt. Wie zu erwarten, weigerte sich Vater standhaft wie ein Soldat, diesen Arzt zu akzeptieren. Es nützte ihm nichts.

      Treffpunkt Sandkasten

      An Geld mangelte es in unserer und in den Familien der meisten meiner Freunde. Spielsachen waren einfach, meistens aus Holz oder Metall, und nicht im Überfluss vorhanden. Plastik gab es erst viele Jahre später. Ich hatte einen kleinen Teddybären und sonst keine Kuscheltiere. Mein Teddy bekam von meiner Großmutter eine selbst gestrickte Jacke. Als die ein Loch hatte, versuchte ich mich in der Kunst des Stopfens. Am Ende hatte ich einen Faden um das Loch herum gefädelt und daran gezogen. Zu war das Loch. Meine Mutter fand das lustig, ließ mich aber machen. Dieses Erlebnis war so nachhaltig für mich, dass ich mich bis heute nicht mehr an die Kunst des Nähens und Stopfens gewagt habe.

      In unserem Hof oder auf der Straße durfte jeder alles benutzen. Ich nehme deinen Tretroller, du bekommst mein Rad. Wir sahen das unkompliziert. Selbst mein Vater hatte da keine Einwände.

      Der erste mir bekannte Treffpunkt mit anderen Kindern war der Sandkasten des Viertels. Eine Fotografie brachte meine Erinnerung zurück zu der folgenden Begebenheit: Eine Gruppe von etwa fünfzehn Jungen und Mädchen traf sich regelmäßig am Sandkasten zum Spielen. Die meisten waren etwas älter als ich, einige auch jünger, und ich hielt mich erst einmal zurück. Irgendwann musste ein Junge auf die Idee gekommen sein, eine Stadt aus Sand zu bauen, die den gesamten Sandkasten ausfüllen sollte. Ich gehe davon aus, dass damals für baulich kreative Angelegenheiten eher ein Junge in Betracht kam. Sitze und Tische für die Puppen, die die Mädchen gebaut hatten, wurden kurzerhand zu burgähnlichen Gebäuden. Dies geschah unter dem Protest der Mädchen, der nicht nur verbal ausgetragen wurde, manchmal gab es handfeste Streitigkeiten. Unsere Stadt wuchs täglich. Meine Beiträge beliefen sich auf das Herstellen von Sandbauten aus Sandeimern und anderem Sandkastenspielzeug. Ich war stolz, dabei sein zu dürfen. Vertieft in das Häuserbauen mit meinen Sandformen war ich mein eigener Bauleiter. Die Größeren unter uns verbanden die einzelnen Bauwerke miteinander, sodass das Ganze am Ende tatsächlich wie eine Stadt aussah. Irgendein Erwachsener verewigte unsere Stadt auf einem Foto. Unser Treiben zog einige Väter an, die sich nicht zurückhalten

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