Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst. Adolf, Dr. Küster
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Читать онлайн книгу Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst - Adolf, Dr. Küster страница 15
Bei der Ernte im letzten Sommer hat der Andi geschuftet wie ein Pferd. Ich sehe ihn noch vor mir mit viel Schweiß auf dem nackten Oberkörper.
Einige Knechte haben ihn zu gern aufgezogen. ‘Weizen-Pastor’ haben sie ihn genannt. Gewurmt hat es ihn. Warum bindet er denen auch auf die Nase, dass er später Theologie studieren will. Ihr Spott schadet ihm gar nicht.
Im Hochreichen von Getreidebündeln auf die Erntewagen war Andi Weltmeister. Hinterher war er kaputt. 14 Tage brauchte er, bis der Rücken wieder einigermaßen mitspielen wollte.
Trotzdem. Dem Andi hat es Spaß gemacht.
Mir brachte es mal viel Spaß, die beiden ausgerechnet dann zu stören, als sie gerade intim werden wollten, und ihnen mein tiefstes Bedauern zu bekunden. Ha, ha, Schadenfreude!
Mich haben die ‛von Heckroths’ überwiegend im Hause beschäftigt und im großen Gutsgarten. Anstrengend war das nicht. Meistens musste ich Obst pflücken, und es danach verarbeiten. In der Gruppe war es sogar kurzweilig. Ich hatte schon Langeweile befürchtet.
Pflück du mal beispielsweise den ganzen Tag nur Bohnen! 300 Hektar. Klein war das Gut nicht. Alles fruchtbarer, schwerer Weizen- und Rübenboden. Magdeburger Börde heißt die Gegend. Obwohl: Absleben liegt Halberstadt näher als Magdeburg. Jeden Sonntagabend gab es Tanz auf der Guts-Tenne. Ein alter Knecht, der Fritze, quälte eine Ziehharmonika. Er nannte es seine ‘Quetsche’. Fritze spielte gar nicht mal schlecht. Für meine Begriffe wurde leider viel zu viel Schnaps getrunken. Wer da nicht mithält, kommt sich verloren vor.
Schrecklich, diese glasigen toten Augen der lallenden besoffenen jungen Menschen, die vor sich hinstarren und denen, mit einem Mal, die jugendliche tänzerische Beweglichkeit und Leichtigkeit abhandengekommen ist. Nur noch ekelhaft riechende Stolperfritzen!
Wenn diese Burschen erst mal angetrunken sind, dann hast du als junge Frau, bei einigen Typen, nicht genügend Hände, um sie abzuwehren. Im nüchternen Zustand würden sie sich das nie erlauben.
Zum Tango tanzen hat Andi der Karin die Schritte vorgeführt. Dann haben die beiden einen Tango auf die Tenne hingelegt. Nun ja, der Rhythmus war zeitweilig nicht ganz perfekt.
Andi und ich, wir tanzen selbstredend flüssiger. Das ist ja klar. Mensch, was haben wir schon alles zusammen geschwoft. Hatten ja auch bei der ‘Knetschen’ gemeinsam Tanzstunde. Das war eine herrliche Zeit.
Am meisten hat es mich gefreut, dass mein Wunsch in Erfüllung ging.
“Nur unter einer Bedingung”, habe ich zu Andi gesagt, als er mit der Parole kam: “ In den Ferien gehe ich freiwillig vier Wochen in den Ernteeinsatz. Du kommst doch auch mit!?”
“Ja”, habe ich gesagt, “aber nur als eine Fremde für dich und die Umwelt. Klar?”
Manchmal ist Andi ein wenig begriffsstutzig. Typisch Mann.
Dauerte ein Weilchen, bis er es kapierte
“Ich werde nicht deine Schwester sein, sondern ein fremdes BDM-Mädel. Das musst du entsprechend organisieren.”
Und was hat er organisiert? Nichts!
Den Einberufungsbescheid zum freiwilligen Ernteeinsatz 1935 hat er zwar für uns beide besorgt. Aber was steht bei mir drauf?
Marie-Luise Rübnitz. Dieser Doofkopp!
Auf Papas Schreibmaschine wurde aus Rübnitz eine Schwanitz. Es passte gerade soeben noch dazwischen. Aus meinem Geburtsdatum im November wurde eines im April.
Urkundenfälschung?
Kann sein. Egal, mir war das einen Spaß wert.
Ich habe unabhängig von Andi dem alten ‘von Heckroth’ das Schreiben ausgehändigt. Gemerkt hat der nichts. Hat ja auch kaum hingeguckt.
Mir scheint ohnehin, Männer verschwenden ihre Zeit ungern für Kleinkram und Routine.
Der größte Witz war, dass ich auf dem Passfoto eine entstellende, scheußliche Brille trug, was er nicht monierte.
‘Mein letzter Wille, ‘ne Frau mit ‘ner Brille’.
Auch, wenn Männer nichts als Stroh im Kopf haben, diesen Spruch haben sie alle drauf. Es ist aber auch ein hässliches Gestell mit Fensterglas! Ich habe es in einer Kramkiste auf dem Spitzboden entdeckt.
Mutter entsann sich, dass ihre Mutter die hässliche Brille bei einer Theateraufführung trug. Aber das war dann wohl vor 30 Jahren. Auf Gut Heckroth war nicht nur die Karin hinter Andi her. Allen anderen Frauen ließ sie aber keinerlei Chancen. Die Karin hatte den Bogen raus. Den Ellenbogen.
Sie schirmte Andi geschickt ab, diese Zicke! Aber mich konnte sie nicht täuschen. Eins muss man dem Andi aber auch lassen. Er sieht verflucht gut aus. Viel zu schade für einen Pfaffen.
Am Anfang des Einsatzes ging es mir nicht so gut. Ich hatte wohl Heimweh.
Mir fehlten auch meine Jungmädel. Am Ende des Ernteeinsatzes hätte ich zu gerne meiner Familie das Gut mal vorgeführt. Papa hätte bestimmt seine helle Freude an den vielen starken Belgier-Pferden gehabt. Auch an den Reitpferden.
Kurtchen, unser Pflanzen-Fachmann, er fände hier draußen sein Botanik-Paradies. Wilde Stiefmütterchen. So was Kleines, Niedliches.
Es gibt hier so viele Wiesen und Ackerblumen, aber keiner kennt sie beim Namen. Wahrscheinlich interessiert es niemanden. Kurtchen könnte mir gewiss vieles erklären. Botanik - sein Ein und Alles. Mit Fremdsprachen und Mathematik kannst du ihn jagen.
Und die Sabine, unser ‘Bienchen’, hier hätte sie sich in all die vielen Pferde, Kühe, Schweine, Ziegen sowie Katzen und Hunde verlieben können. Tiere bedeuten ihr alles.
Stundenlang kann sie ihnen zuschauen. Allein die vielen Schwalben in den Ställen; mit den Jungen im Nest. Was hätte sich Sabine darüber gefreut.
Wenn ich nur gewollt hätte, wer weiß, wer weiß!
Der alte Herr v. Heckroth, ich glaube, er ist ein geiler Bock. So wie er mich immer angeschaut hat. Das hat ihn verraten Das Reiten wollte er mir unbedingt beibringen.
Ich hab’ diesem Trottel nicht verraten, dass ich schon als Zweijährige bei Vater auf dem Schoß mitgeritten bin.
Sind einige Bilder im Album, die ich nicht kenne.
Guck einer an: Ein Passbild von der lieben, blonden Hedda!
Weshalb die Mädel alle so mit ihren Passbildern herumwerfen müssen. Ehrlich gesagt, ich finde des blöd.
Von mir kriegt keiner mein Foto.
Ach, und hier, das ist ja auch neu. Sein originellstes Bild.
Die ‘Voigtländer’, die er zu Weihnachten geschenkt bekam ist toll: Jeden Tropfen hat sie abgebildet. Das schafft meine billige Agfa-Klack natürlich nicht; trotz 1/10 Belichtung.
„Guck dir das an.“ Ich begieße Bienchen mit einem mächtigen Schwall kalten Wassers und sie schaut drein wie eine Begossene.
„Nun ja, ich hatte Angst um den Rollstuhl“,