Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst. Adolf, Dr. Küster

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Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst - Adolf, Dr. Küster

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ich an Hamburg denke, sehe ich vor mir die vielen tuckernden, laut tutenden Schlepper, Kähne und Schiffsriesen. Ganz viele, hohe stählerne Kräne am Kai. Umflogen von Möwen, diesen Kunstfliegern, die jedermann bewundert.

      Und ich sehe vor mir hübsche Mädchenbeine, die zu kichernden, blonden Wesen gehören, die fröhlich durch tiefe Häuserschluchten flanieren und nach überall Ausschau halten.

      Und ich rieche das Meer. Aber auch den Qualm der vielen Schornsteine und den Dieselgestank. Ich sehe blaue Matrosen aus aller Welt, die nicht selten, auf sehr wackeligen Beinen, ihre gesamte blaue Existenz mit Mädchen, Schnaps und Bier vervollständigen.

      Aber besonders wir Jugendlichen sind wohl aus einem anderen Holz geschnitzt. In Barmbek ist Klauen zurzeit ein angesagtes Spielchen. Aber nicht nur Essbares wird geklaut, nein, in Kaufhäusern geht es manchmal richtig zur Sache: Klamotten, Uhren, Schmuck, Taschenmesser, sogar Fotoapparate sind für uns ein begehrtes „Klaugut“.

      Ich sehe noch Kurts ängstliche Hasenaugen vor mir. Wie die Pupillen immer größer werden, als ich ihm vom Klauen erzähle. Natürlich gibt’s eins drauf, wenn man erwischt wird, aber trotzdem: der Kurt ist ein ganz schönes Weichei. Tut mir leid, aber das muss gesagt werden. Anscheinend fehlen ihm die Hormone, oder was auch immer.

      Er war mit seinen 14 Jahren tatsächlich noch nie in einer Puffstraße, obwohl es in Rottlingen eine gibt. Das muss man sich mal vor Augen führen. Mit einem Meter und Achtzig, ist man doch mehr als erwachsen, oder? Dem Kurt möchte man zurufen: Kurt bist du erst mal ausgewachsen, schadet dir die Vögelei keineswegs.“ Auf jeden Fall ist sie besser als die ewige Wichserei. „Das müssen wir schleunigst nachholen“, habe ich ihm schon angedroht.

      In Barmbek habe ich mal als 13-Jähriger, damals war ich gerade erst ein Meter sechzig groß, mit viel Herzklopfen, eine Nutte im Koben angesprochen, es war schon dunkel. Vatis Hut hatte ich mir tief vors Gesicht gezogen. Hat mir aber nichts genützt.

      „Warte noch zwei, drei Jährchen“, hat sie freundlich lächelnd zu mir gesagt. „Dann kommst du zu mir, ich freue mich schon drauf.“ Und ich sage euch, die hatte ein Paar Titten! Bei der geht einem das Taschenmesser in der Hose auf. Ich war richtig froh als der Kurt gestern sagte: „So, dann bis morgen, bei euch um 9: 00 Uhr“.

       *****

      Ich stellte meinen Rappelwecker auf 8.00 Uhr. Und dann, welcher glückselige Weltuntergang heute früh. Ich lag im allersüßesten Traum meines bisherigen Lebens.

      Mit viel Überredungskunst schaffe ich es voll Leidenschaft und Eifer, mein Patengeschenk endlich dort unter zu bringen, wo man es als Jüngling unbedingt hin haben will. Das mir völlig unbekannte Mädel, es war warm, weich, zärtlich, anschmiegsam und sehr freundlich zu mir.

      Und in diese Glückseligkeit rappelt dieser Höllenhund von Wecker. Meine Hochgefühle stürzen ab, wie Steinschlag im Gebirge. Ich hätte heulen können wie ein Kind, dem man seine Mutter für immer genommen hatte.

      Bei Sami, diesem betont lässigen Hamburger, sieht es so aus, als habe er eigentlich durchgehend gute Laune.

      Kein Außenstehender ahnt wie zerrissen er ist. Wie sehr er auf der Suche nach Ausgeglichenheit und Glücksgefühlen ist, die sich nicht mehr einstellen wollen, seit seine Pickel blühen und er von Geilheit geplagt ist. Obendrein steht die Angst seinen Gelüsten im Weg.

      Und dann jede Nacht diese wollüstigen Versteifungen. Sie beunruhigen ihn mehr, als dass sie ihn erfreuen.

      Am Morgen des ersten Tages der Sommerferien war er erst einmal sehr muffelig, als er vom Gärtnerhaus herübergetrottet kam. Brachte kaum ein Wort heraus. Aber jetzt ist er wieder der alte Sami, herrlich übermütig.

      Sami umfasst, neugierig taxierend, Kurts prallen Oberarm, und Kurt macht das, was in solchen Prüfungen alle Jünglinge zu tun pflegen: die gepresste Faust wird langsam zum Gesicht geführt, damit sich der Bizeps zur druckfesten Melone wölbt. Sami nickt anerkennend.

      Dass der Kurt gottlob, einen, eine Winzigkeit weniger imponierenden Bizeps aufzuweisen hat, das beruhigt Sami ungemein.

      Überhaupt, hier draußen im Freien, ohne das nie abreißende Getöse der Großstadt, in klarer Luft, zwischen vielen Frühbeeten und Unkraut, beginnt Sami das andere Leben zu genießen. Ob er allerdings jemals auf die Landungsbrücken, auf St. Pauli, St. Georg, Hagenbecks-Tierpark und die Reeperbahn wird verzichten können, das muss sich erst noch erweisen.

      Heute freut er sich in der Gärtnerei über die vielen kleinen Bäumchen, die in diesem Jahr rasch hochgeschossen sind und ihm schon zum Bauchnabel reichen. Hätten sie feste Nadeln, wären es kleine Weinachtbäumchen. Aber so, wie sie wachsen; mit ihren weichen, hellgrünen, pfeilförmigen Blättern und grünem Samen, sind sie nichts als gewöhnliches Unkraut, dessen Namen aber nur Kurt kennt.

      Anders beim „Landraub“ spielen, hier stellt sich Kurt, dieses Landei noch ein wenig blöd an. Sein Messer will einfach nicht aufrecht im Boden stecken bleiben. Der richtige Dreh fehlt ihm noch. Man darf nicht zu zögerlich werfen.

      Allerdings ist die Erde nach 14 Tagen ohne einen einzigen Tropfen Regen ausgetrocknet und die Messer prallen leichter ab.

      Mit dem nötigen Druck und richtigem Dreh das Messer zu schleudern, das ist die Kunst des Messerwerfens.

      „Du Samuel, vor was hast du dich in deinem Leben am meisten geekelt?“

      “Du stellst blöde Fragen!“

      „Vor was hast du dich in deinem Leben am meisten geekelt?“

      Samuel erzählt gern seine wahre Geschichte. Die hat noch nie ihre Wirkung verfehlt, wenn man sie nur spannend genug erzählt. Samuel hat für sich herausgefunden, dass man die Zuhörer so lange wie möglich auf die Folter spannen muss, dann hat man Erfolg.

      “Ach, das war vor vier Jahren, 1932, dieser Jahrhundertsommer. Die Badesaison fing an, auch ich wollte ins Freibad. Im Herbst hatte ich meine Badetasche offen, achtlos im dunklen Keller stehen lassen. Mit Handtuch und Badehose.

      Ich schnappe mir also die Tasche und merke zu meinem größten Schreck, „zack“, wie etwas über meine Hand hinweg huscht.

      Verängstigt greife ich in die mir vertraute Tasche, höre es sogleich piepen, fühle was Warmes und auch Weiches, das drunten herumwuselt.

      Schreiend vor Ekel schüttele ich die ganze Tasche aus und vor mir liegen zappelnd, 6 junge kleine, blinde, nackte Mäuse und ein völlig zerknabbertes Handtuch samt Badehose.“

      “Uhä, ekelig.“ An Kurts maximal verzogenem Gesicht erkennt man seine Betroffenheit: „Da hätte ich aber auch geschrien. Und was hast Du mit denen gemacht?“

      “Ich bin kopflos zu meinem Vater gerannt, der auf unserem Balkon die Blumen goss.

      Vati ist dann mutig allein in den Keller gegangen. Was er mit den vielen Mäusen angestellt hat, wollte er mir später, trotz aller Bettelei, nicht verraten.

      Ich weiß es bis heute nicht und nun will ich es auch gar nicht mehr wissen.“

      “Du hast wohl deinen Vater sehr gemocht, was?“

      Kurt stellt sich in diesem Moment vor, seinen Vati zu verlieren. Aber er schafft es nicht länger als 3 Sekunden.

      So was kann man sich

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