Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst. Adolf, Dr. Küster
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Wenn du Glück hast, entdeckst du auch mal einen ’Schwalbenschwanz’. Die Raupen dieser Schmetterlinge sind nicht wählerisch. Sie alle verputzen Brennnesselblätter.“
„Was du nicht alles weißt!“
“Bitte schön.“
Sami hat ein schmales Päckchen hervorgekramt. Ein Päckchen mit 3 Zigaretten. Ein großes R und eine 3 zieren die Packung, R3.
Kurt schielt auf dessen freigiebige Hand und wünschte, es gäbe sie nicht. Vor einiger Zeit probierte er mal, den Rauch einer Zigarette richtig einzuatmen. Es war die reinste Katastrophe. Sein Gehuste wollte und wollte nicht enden. Damals hatte er sich hoch und heilig geschworen: Nie, und nimmer!
Aber nun greift er doch zu, ohne zu zögern. Er will sich vom Sami auch nicht mit allem unterbuttern lassen.
Bis auf Naturkunde weiß Sami tatsächlich alles besser, er ist tapferer, ist schneller auf den Beinen und schneller mit der Zunge und mit den Gedanken. Mit Mädchen kann er viel lässiger umspringen. Und Pläne hat der, davon wagt Kurt nicht einmal zu träumen.
Sami will so bald wie möglich eine Weltreise starten. Anschließend will er sich in Paris niederlassen, um seine Erlebnisse in Reiseliteratur, und auf jeden Fall will er ein luxuriöses Leben führen. “Das Geld wird schon fließen, man muss es nur entschieden anpacken“, hat er mir auf meine Frage nach dem Gelde geantwortet.
Wenn ich ehrlich bin, ich glaube sogar an den Erfolg dieses ’Dauerlächlers’, dieses Spinners. Und zwar gegen alle meine Vernunft.
Sami hat etwas Gewinnendes, Suggestives. Damit schlägt er jeden in seinen Bann.
Ich lerne den Rauch einer Zigarette einzuatmen, ohne zu husten. Es macht mich stolz. Ich genieße die warme Augustsonne auf meinem Körper und genieße die Nähe meines besten Freundes.
Auch die Vorstellung ist toll, richtig beglückend, lange Zeit, nur das machen zu müssen, zu dem wir Lust haben.
Deshalb gehen wir heute erst mal in die Stadt.
Die Mädchen haben schließlich auch Ferien, klar!
Und morgen zockeln wir dann zusammen zum Baden. Sami wird es schon richten.
Wer hätte gedacht, dass Sami gleich zwei ‚Flammen‘ vom Gymnasium meiner Schwester, der Marie-Luise, abschleppt.
„Du, die Christa Müller, um die kannst du dich ruhig mal ein wenig kümmern, die ist aus guter Familie.“
Mist, da hat der Sami, dieser Himmelhund gespürt, dass ich auf Glubschaugen nicht so sehr stehe und schon gar nicht auf solch eine gequetschte Jungmädchenstimme. Obwohl, wenn man sie sich genau anschaut, dann ist es halb so schlimm. Ihr Vater ist übrigens Studiendirektor. Der Direks des Humbold-Privatgymnasiuns in der Bach-Straße.
Schade, aber die Christa Müller ist so gar nicht mein Typ. Es sind nicht nur die Augen und die Stimme, die mich stören, sie ist mir einfach zu brav.
Anita Sander ist das ganze Gegenteil. Rassig, keck und sieht toll aus. Sie gefällt mir wesentlich besser, ist doch klar.
Aber Anita, diese flotte Biene hat ja nur Augen für unseren Sami. Das merkt ein Blinder mit dem Krückstock.
Ausgezogen kann sich Christa allerdings durchaus sehen lassen.
Lange hübsche Beine und einen ansprechenden Busen. Jedenfalls hat sie mehr hinter der Bluse, als ich anfangs vermutete. Das kommt nur daher, weil sie keinen BH trägt.
Im Badeanzug an richtiger Stelle, zwei süße, knack-feste Mädchen-Hügel. Nachher, beim Rumalbern im Wasser, ergibt sich hoffentlich die Gelegenheit von unabsichtlichen Berührungen. Um Gotteswillen, sie darf das nicht mitkriegen. Sie ist der Typ, der Ärger macht.
„Wer kommt mit auf den Zehner?“
Was habe ich da gehört? Zehner! Ja, weiß denn der Sami überhaupt, was er da quatscht?
Das Freibad ist rappelvoll. Wer oben auf dem Zehnerturm kneift, einen Rückzieher macht, hat ausgeschissen für den Rest seines Lebens.
Wir jüngeren Rottlinger kennen uns doch nahezu alle persönlich, durch unseren ewigen Dienst in der Hitlerjugend.
Sami, dieser Knallkopp, rennt los und zerrt Anita hinter sich her.
Und was macht Christa?
Christa umklammert so entschieden, so fest meine Hand, dass ich gar nicht anders kann. Ich lass mich tatsächlich widerwillig von ihr auf diesen vermaledeiten Sprungturm ziehen; sogar auf die oberste Plattform.
Mensch, aber ich will doch überhaupt nicht springen. Und beileibe nicht vom Zehner.
Schon der Sprung vom Fünfer erfordert eine Menge Mut. Diesen Mut habe ich erst ganze dreimal in meinem Leben aufgebracht.
Ich Idiot, weshalb folge ich überhaupt dieser Meute? Gruppenzwang. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Nun stehe ich auf der höchsten Bühne des Rottlinger Sprungturmes. Zehn Meter über dem Wasser. Mein Kopf ist nahezu 12 Meter darüber
Rottlingen vor mir. Die Bader und die ganz vielen Herumlieger auf ihren Badetüchern zu meinen Füssen. Viele schauen zu uns auf den Zehner.
Ein leichter Chlorgeruch wabert über dem ganzen Freibad. Von unter dringt das Gebrummel von Hunderten von Menschen an mein Ohr. Und diese Luft ist prallvoll gefüllt mit hohem Kindergekreische; dieser Mischung aus Angst und Übermut.
Dort hinten die Albani Kirche, das Rathaus und zur Rechten der Schwarzenberg-Park mit dem Hauptfriedhof. Aber das alles interessiert mich jetzt nicht die Bohne.
Vielleicht wird man sich ganz bald um einen Liegeplatz auf dem Friedhof kümmern müssen, weil ich vor lauter Herzklopfen auf der Stelle sterbe.
Keiner kann sich vorstellen, wie unendlich hoch sich zehn Meter strecken, sobald man sie herunterspringen muss. Allein der Blick auf das ferne Wasser unter mir ist eine Qual. Das Freibad erscheint von hier oben klein.
Himmel, was macht jetzt der Sami?
Der wird doch wohl nicht?
Da, ein kurzer, schneller Anlauf und schon fliegt er, leicht zappelnd, vom Turm. Dem Wasser entgegen. Eine Fontäne zischt, ein- zwei- drei-vier-fünf Sekunden und der Kopf Samis taucht aus dem Wasser auf. Sprung überstanden; beendet.
Ich höre, wie einige Menschen dort unten in die Hände klatschen, das gilt dem Sami, oh, dieser Glückspilz.
Verdammter Mist, die Anita tut’s ihm gleich, Nase zu halten, kurzer Anlauf und zappelnder Absprung vom Turm. Klatsch!
Jetzt wird’s für mich aber allerhöchste Zeit, dass ich von hier oben eine Fliege mache.
Mich kriegen keine zehn Pferde zum Springen.
Aber was denn nun, wieder dieser verdammte Klammergriff.
Christa, Hilfe, was machst du mit mir? Ich hasse das!