Lichtfisch. Arthur Witten
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16: 07: 43
Kaum bin ich die Treppe aus dem fünften Stock runter und auf der Straße, klingelt das Telefon.
»Hi Hanna, was gibt’s?«
»Hi Martin. Zwei Sachen: erstens ist der Geburtstagsgig jetzt fix, die haben gerade zurückgerufen.«
»Das war der sechzigste, oder? Hm.«
Motivation klingt anders, sorry.
»Hey, komm schon. Der letzte war blöd, ich weiß, aber müssen ja nicht alle gleich ablaufen. Das Geburtstagskind hat uns schon mal gehört und will uns unbedingt haben. Also bitte Klappe halten, nett lächeln und den Termin auf die Homepage setzen.«
»Ja, schon gut.«
Der letzte Geburtstagsgig war ebenfalls ein sechzigster, und da war den Gästen das Gitarrestimmen schon zu laut, außerdem standen wir strategisch ungünstig zwischen der Feier und dem Buffet. Wenn Blicke töten könnten …
»Der zweite Punkt: die Probe heute abend. Meine Schwiegermama ist krank und muss das Bett hüten, und Andi ist ja nicht da. Ich hab also niemanden für Laura. Wenn es okay ist für dich, nehme ich halt das Babyfon in den Keller, normalerweise schläft sie ja durch.”
»Ja, einverstanden. Ansonsten kann sie gerne mitsingen oder ein bisschen den Shaker schwingen.«
»Ja, klar, du Spinner.«
Hanna kann einen so nett beschimpfen, dass man ihr nicht böse sein kann.
»Schreib mich aber bitte an, nicht klingeln, sonst …«
»Schon klar.«
»Also dann, bis heute abend!«
»Bis denne!«
19: 08: 11
Nach dem Abendessen wird es langsam Zeit, die Sachen für die Probe zusammenzupacken. Ich stöpsle die Gitarre aus, packe sie ein und wickle die Kabel zusammen. Die kommen mit dem restlichen Equipment in die Sporttasche und – halt, der Ordner mit den Songs! Beim Gig läuft alles auswendig, aber so schnell wie früher wollen die Songs und die Texte nicht mehr in den Kopf.
Ich öffne die Schranktür und hole den Ordner. Mein Blick bleibt an der unscheinbaren Schachtel mit den CDs hängen. Die CDs, ja. Eigentlich könnte ich sie entsorgen.
Ich hole eine aus der Schachtel. Vorne prangt das Konterfei von Jill und meiner Wenigkeit. ›Jilly Jones – Acoustic Songs‹ steht darunter. Der Bandname ›Jilly Jones‹ ist Jills Idee gewesen. Sie hieß tatsächlich Jill, Jill Kirchberger. Weil es cooler klingt, wurde daraus Jill Churchhill. Mich hat sie auch anglisiert, Martin Jone – bitte, Martin wer? Also flugs Marty Jones daraus gemacht. Aus ›Jill ‘n’ Jones‹ wurde dann ›Jilly Jones‹, weil ›Jilly‹ nach ›Chili‹ klingt und die Red Hot Chili Peppers ganz groß waren. So groß wie die waren wir nicht, aber es hat sich rumgesprochen, dass wir zwei keine schlechte Mucke machen, es kamen Gigs und noch mehr Gigs, und dann haben die ersten gefragt, ob es nicht eine CD von uns gibt. ›Nee, leider nicht‹, war dann die Antwort. Irgendwann haben wir gedacht, dass das mit der CD doch gar keine so schlechte Idee wäre, und sind ins Studio, das ein Kumpel von uns betrieben hat.
Vor drei Jahren haben wir dann auf Hannas Geburtstag gespielt. Hanna und Andi waren gerade zusammengekommen, und er wollte ihr eine richtig schöne Geburtstagsparty bieten, mit Band und allem. War ein schöner Gig, so einer, an den man sich immer wieder gerne erinnert. Dabei war es nicht mal ein runder Geburtstag – 27 oder 28.
Hanna hat dann zu späterer Stunde auch ein paar Songs mitgeträllert, Alanis Morisette, Melissa Etheridge, und mir dann erzählt, dass sie als Teenager auch in einer Band gesungen hat, und irgendwie würde ihr das schon manchmal abgehen.
Dann kam die Sache mit Jill. Jill war immer furchtbar nervös, ein Nervenbündel bis kurz vorm Erbrechen – bis der erste Song vorbei war. Dann war alles Zucker. Um die Nervosität in den Griff zu bekommen, hat sie es mit Alkohol probiert. Das ging am Anfang – so blöd das auch klingt – gar nicht so schlecht, aber recht bald hat sie die Kontrolle verloren und härtere Sachen in sich reingeschüttet.
Ich habe dann mit den Veranstaltern gesprochen, aber man kann auf einer Party ja nicht den ganzen Alkohol wegsperren. Außerdem hat Jill sowieso vorgesorgt und sich im Supermarkt eine Pulle Sprit gekauft. Die war dann nach dem Gig leer – und Jill voll. Als sie irgendwann schon vor dem ersten Song so betrunken war, dass sie sich nicht mehr gerade auf dem Barhocker halten konnte, habe ich die Handbremse gezogen.
Nach einem guten halben Jahr ohne Band ist mir Hanna wieder eingefallen. Sie war gleich begeistert und hat gemeint, dass sie das gerne mal probieren würde. Und nach der ersten Probe war klar, dass das optimal passt. Den Bandnamen konnten und wollten wir nicht weiterführen. Der aktuelle Name ›2u 2weit‹ kommt von Hanna. Sieht witzig aus, finde ich – und ist selbsterklärend. Wobei ein Gast schon mal an den Bühnenrand gewackelt kam und eine Visitenkarte von uns wollte.
Er ist schwankend stehengeblieben, die glasigen Augen auf die Visitenkarte gerichtet.
»Wass heißt denn Zzwei-u Zwei-weiiit?« Ja, was soll man darauf sagen?
Ich packe die CD wieder ein und schiebe die Schachtel zurück an ihren Platz.
Der Ordner kommt ebenfalls in die Sporttasche, Gitarre auf den Rücken, Haustürschlüssel. Nix vergessen? Nö.
Hanna wohnt ein bisschen außerhalb, daher fahre ich mit dem Auto. Es geht schon ein Bus bis knapp vor ihr Haus, aber der fährt tagsüber stündlich, nach sechs im Zwei-Stunden-Takt und nach halb elf gar nicht mehr.
20: 03: 51
Ich parke vor Hannas Haus und lade meine Sachen aus.
Hanna und Andi haben kurz nach dem Tod von Andis Vater sein Elternhaus renoviert und sind dort eingezogen. Seine Mutter lebt jetzt im ersten Stock, Hanna, Andi und die Kleine sind im Erdgeschoss. Im Keller hatte Andis Vater eine Hobbywerkstatt, aber Andi hat zwei linke Hände. Jetzt ist da drin ein Pseudo-Partyraum: unser Proberaum. Unsere kleine Anlage steht da drin, ideal für Geburtstage und mittelgroße Feiern.
›Bin da.‹
Kaum ist die Nachricht abgeschickt, öffnet Hanna schon die Tür.
»Grüß dich, Martin. Komm rein. Darf ich dir was abnehmen?«
»Hi Hanna. Danke, schaff ich schon. Was macht die Kleine, geht’s euch gut?«
»Ja, Laurie schläft.«
»Andis Mama ist krank?«
»Ja, die kriegt fast keinen Ton mehr raus, Fieber, Halsweh, Husten.«
»Geht wieder was um. Und Andi sitzt ja quasi an der Quelle.« Andi ist wie Hanna Lehrer an der Realschule hier in der Stadt. Die beiden haben sich auch dort kennengelernt. Und wenn irgendwo eine Grippewelle oder Magen-Darm im Anmarsch ist, sitzt man in der Schule und im Kindergarten an vorderster Front.
»Toi, toi, toi – Andi ist noch fit. Aber du glaubst nicht, was man da abkriegt. Die Eltern sind ja oft so unvernünftig, die schicken ihre Kind mit 40 Grad Fieber immer noch zur Schule. Könnten ja was Wichtiges