Lichtfisch. Arthur Witten

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Lichtfisch - Arthur Witten

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sie euch, weil ihr den Stoff nicht nachgeholt habt.«

      »Sonst noch was?« Sie lacht.

      »Und du? Stimmlich fit?«

      »Klar, und selbst?«

      »Passt.”

      Ich packe meine Gitarre aus. Hanna hat die Mikrofonstative schon vorbereitet und ihr eigenes Mikro schon angestöpselt. Ich schließe meins an, richte das Effektgerät ein und stimme die Gitarre.

      »Okay, ich bin soweit. Womit fangen wir an?«

       Martin Jone, 2018-10-26

      14: 32: 10

      Kurz nach halb drei. Ich stehe vor Haris Haus. Am Freitag treffen wir uns recht regelmäßig nach der Arbeit, aber heute muss Hari wohl länger ran. Ich gehe über die Straßenseite und betrachte die Sandsteinfassade von seinem Haus. Nach dem Unfall seiner Eltern haben er und seine Schwester das Haus geerbt. Hari hatte sowieso gerade den Job gewechselt, und seine Schwester gleichzeitig mit den Eltern den Mann verloren. Also haben sie sich die Elternwohnung unter dem Dach geteilt. Hari arbeitet hauptsächlich von zu Hause aus und übernimmt ein paar Hausmeisterjobs, die immer wieder mal anfallen. Ulla arbeitet halbtags in einem Büro.

      Die Haustüre geht auf, Hari kommt raus.

      »Hallo Jonesy, sorry, ist ein bisschen später geworden. Die Kundenhotline ist am Freitag sowieso nur bis 12 geschaltet, aber der Kunde hatte einen Sondertermin, ging nicht anders. Hab ihm per Fernwartung geholfen, seine Trainingseinheiten in unser Programm einzupflegen.«

      »Kein Problem, ich war auch ein bisschen später dran als sonst.«

      Wir gehen Richtung Altstadt.

      »Schon was zu Mittag gegessen?«

      »Nö, hatte ja den Telefontermin. Du?«

      »Auch nicht. Heute hat mich die Kantine nicht überzeugt. – Pizza?«

      »Immer.«

      Wir gehen weiter Richtung Pizzeria. Es riecht nach Herbst und feuchtem Laub, eine Andeutung von Nebel hängt in der Luft. In den Auslagen der Bäckerei liegen Lebkuchen, es duftet nach frischem Brot.

      »Sind spät dran mit ihren Lebkuchen, im Supermarkt liegen die schon seit vier, fünf Wochen«, frotzle ich.

      »Wenn es im August nicht so warm wäre, würden sie die da schon verkaufen, aber da schmilzt vermutlich der Schokoüberzug.«

      »Das wäre echt eine Marktlücke! Wer will an Weihnachten schon Lebkuchen? Aber im Sommer nach der Grillparty noch einen Lebkuchen, dazu Glühwein auf Eis, das ist die Geschäftsidee!«

      »Wieso Grillparty? Gegrillt wird im Winter, im Sommer kann das ja jeder.«

      »Auch wieder wahr.«

      »Apropos Geschäftsidee – was macht dein Projekt?«, fragt Hari.

      Mein Projekt. Wir waren vor einiger Zeit in einer neu eröffneten Kneipe, in der im Hintergrund ganz schreckliche Meditationsmusik lief. Alles instrumental, viel Hall, Panflöte und ab und an Vogelgezwitscher – ich habe jeden Moment damit gerechnet, dass die Bedienung jedem Gast eine Yogamatte in die Hand drückt und eine geführte Reise ins Selbst anbietet: ›Wir haben Finde-dich-selbst-Wochen, jede Meditation für die Hälfte, das erste Räucherstäbchen gibt’s gratis. Jungs, seid ihr dabei?‹

      Nix gegen Yoga und Meditation, aber alles zu seiner Zeit. Jedenfalls haben Hari und ich das ein Bier lang über uns ergehen lassen und dann die Kneipe gewechselt. Ich hatte dann den Einfall, so eine meditative Dauerberieselung doch irgendwie synthetisch zu erzeugen. Ein paar Akkordfolgen einspeichern, zufällig abrufen, ein paar passende Töne als Melodie, Lautstärkeregler dran, fertig.

      Hari ist sofort darauf eingestiegen.

      ›Das Teil kannst du an sämtliche Wellness-Tempel verticken. Aber du musst dem Benutzer schon irgendwelche Regelmöglichkeiten geben – stimmungsabhängig, weißt du? Stylisch und bunt.‹

      ›Stylisch und bunt? Grün für Wald und Wiese, Blau für Meeresrauschen und Walgesänge, Rot für Zu-lange-in-der-Sonne oder was?‹

      ›Da gibt es sicher esoterische Zuordnungen: I Ging, Goethes Farbenlehre, die vier Elemente, was weiß ich. Aber nur on/off ist zuwenig.‹

      Wir haben uns dann in der nächsten Kneipe richtig in das Projekt reingesteigert. Es gibt nämlich tatsächlich eine Fünf-Elemente-Lehre im Daoismus, und die Ideen dahinter lassen sich mit ein bisschen Phantasie problemlos klanglich umsetzen. Also noch einen Regler drauf, der stufenlos zwischen den Elementen wechselt: ›Vijaya, heute bin ich total auf Wasser eingestellt, aber ein bisschen Metall darf mit dabei sein!‹ Dann noch mit farbigen LEDs beleuchten und -

      »Erde an Jonesy, bist du noch da?«

      »Oh, sorry, ja, ich war gerade in Gedanken – das Projekt? Naja, die musikalische Ausgestaltung ist gar nicht mal so einfach. Ich habe zwar tatsächlich den Schaltplan zu einem echten Zufallsgenerator gefunden, damit das Kästchen ja auch auf alles Umbewusste reagieren und die Energien der Leute um sich herum transformieren kann! Also keine digital erzeugten Pseudo-Zufallszahlen – nein, mein Herr! Echter, analoger, realer Zufall! Gegen Aufpreis spaxe ich noch einen Energiestein deiner Wahl neben die Platine!«

      Ich grinse Hari an, er grinst zurück.

      »Aber so richtig überzeugend klingt das noch nicht. Wenn die Akkordfolgen festgelegt werden und ich zufällig eine auswähle, klingt’s ziemlich schnell ziemlich langweilig.«

      »Langweilig? Meditationsmusik? Och nööööö.« Hari gibt sich gespielt empört.

      »Quatschkopf – es soll meditativ sein, aber nicht fad. Der andere Ansatz war, einfach per Zufall Akkorde aus einer Tabelle auszuwählen, und das klingt nicht mehr langweilig, sondern eher …«

      »Furchtbar?«

      »Genau.«

      Wir lachen beide.

      »Also brauche ich einen Ansatz dazwischen, aber dazu hatte ich noch keine Zeit. Momentan bin ich mit 2u 2weit wieder gut unterwegs, und kurz vor Weihnachten pendle ich gefühlt zwischen Arbeit und Bühne, mit einem kurzen Zwischenstopp daheim im Bett.«

      »Habt ihr wieder so viele Auftritte?«

      »Im Oktober jetzt nicht mehr, im November drei, und im Dezember fünf – nein, sechs. Ein Geburtstag kam auch noch rein.”

      »Du müsstest ein Kästchen bauen, dass euch ersetzt, dann hättest du frei.«

      »Gibt’s schon, nennt sich CD-Player. Oder Laptop, Handy, was auch immer.«

      Ich muss an den letzten Geburtstagsgig denken. Der war eine Katastrophe.

      »Bei manchen Gigs frage ich mich echt, warum sie uns engagiert haben. Entweder sind wir zu laut, oder stehen irgendwo im Weg, und wenn wir dann mal Pause machen, nachdem die Gäste das Buffet fast leergefuttert haben, und die Reste einsammeln, beschweren sich die Leute, dass die Band ja wohl nur dafür bezahlt wird, dazusitzen und zu essen.«

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