Wanderfieber. Christian Zimmermann

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Wanderfieber - Christian Zimmermann

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und -hose. Als Erstes montiere ich draussen an Mrs. Molly den Regenschirm. Auf diese Weise befindet sich ihr Laderaum zum grössten Teil am Trockenen und ich kann Sack um Sack einladen. Als Letztes steht nur noch das leere Zelt auf der Wiese. Ich rolle das triefend nasse Teil zusammen und verstaue es in einem passenden und wasserfesten Beutel an Mollys Aussenseite. Beim Marschieren schützt mich der Schirm ganz gut. Hinten tropft mir das Wasser einfach auf den Rücken, doch die Jacke sollte eigentlich dicht sein. Der Fahrradweg folgt auf einer separaten Spur der Hauptstrasse. Vor Böttstein führt die Route in langen Bögen ziemlich steil ins Dorf. Ich komme schon das erste Mal ins Keuchen und nass werde ich eher vom Schwitzen als vom Regen. Im Dorfladen von Böttstein decke ich mich, sozusagen im Vorbeigehen, mit einem Brot ein. Der Weg führt zurück an die Aare und deshalb werde ich im weiteren Verlauf mit abrupten Steigungen verschont. In Kleindöttingen steht ein Schild, das ein Restaurant namens «Oase» anpreist. Entschlossen biege ich ab, um mich in der Gaststube aufzuwärmen. Beim Öffnen der Tür schlägt mir ein intensiver Pferdegeruch entgegen. Das Lokal ist mit einer breiten Glasfront von einer Reithalle abgetrennt. Der «Farmers Place» bietet neben dem Restaurant auch Reit- und Pferdetraining an. Ein B&B rundet das Angebot ab. Ich schäle mich aus den feuchten Klamotten und mache es mir in einer Ecke bequem. Ich komme mit Monika, der Chefin, ins Gespräch. Erst letztes Jahr habe sie dieses Business übernommen. Bei Kaffee und einem Buttergipfel wärme ich mich an diesem behaglichen Ort auf. Der lokale Fernsehsender «Tele M1» ruft mich an und fragt, wo ich mich gerade aufhalte. Wir vereinbaren, dass mich ein Videojournalist des Senders um die Mittagszeit direkt am Zoll in Koblenz für ein Interview treffen kann. Ich packe also zügig zusammen, denn bis an die Grenze habe ich einen stündigen Fussmarsch vor mir.

      In Koblenz bemerke ich ein Auto der Grenzwache, das vor einem Geldinstitut parkt. Ein Mann in Uniform besorgt sich am Automaten offenbar Nachschub an Bargeld. Er steigt gerade zu seinem Kollegen in den Wagen ein, als ich auf dem Bürgersteig mit meinem Gefährt vorbeirolle. Die zwei schauen sich fragend an, wechseln einige Worte, klettern gemeinsam aus ihrem Dienstfahrzeug und schlendern auf mich zu. «Guten Tag, können Sie uns ihren Ausweis zeigen?» Ich habe es beinahe vermutet, dass ich mit meiner ungewöhnlichen Optik hier nicht ungeschoren davonkomme! Auf die Beamten wirke ich wohl wie ein skurriler Obdachloser mit einem futuristischen Gefährt – und das obendrein in ihrem Revier! Selbstverständlich kann ich mich ausweisen. Während der Grauhaarige die Identitätskarte einscannt, plaudere ich mit dem Jüngeren. Als ich erzähle, was ich vorhabe, ist das Eis bei den sympathischen Grenzwächtern schnell gebrochen. Nach der Kontrolle des Ausweises, die übrigens ohne Beanstandung über die Bühne geht, kann ich die zwei Herren sogar für ein Selfie überreden.

      Um die Ecke befindet sich der Schweizer Zoll und so warte ich im Trockenen auf den Fernsehmann von «Tele M1» aus Aarau. Kurze Zeit später trifft Christof Gerber ein. 90 Minuten investieren wir in das «shooting». Zuerst werde ich interviewt, dann schiebe ich Mrs. Molly durchs Quartier, bevor wir filmend die Grenze nach Deutschland überqueren. Aus allen möglichen Positionen filmt Christof. Mrs. Molly fühlt sich offensichtlich geschmeichelt, sie fährt auffällig elegant durch die Gegend. Der Regen scheint ihr überhaupt nichts auszumachen. Mit dem Filmer fühle ich aber mit, denn er steht mit seiner Kamera im strömenden Regen und ich selbst kann mich meistens unter meinem breiten Regenschirm verstecken. Andauernd muss er seine Linse trocknen, damit er qualitativ gute Videosequenzen in den Kasten bringt. Nach getaner Arbeit verabschieden wir uns mit einem kräftigen Händedruck.

      Die Schweiz lasse ich hinter mir und der weitere Marsch führt mich gegen Nordosten. Nach dem Grenzübertritt biege ich gleich rechts ab und kann dadurch die Stadt Waldshut links liegen lassen. Zu meiner Erleichterung finde ich auch hier ein gut ausgeschildertes Netz an Fahrradwegen vor. Ich werde nun ein gutes Stück dem Flüsschen Wutach folgen. Der Regen wird immer heftiger. Der Feldweg besteht aus mehr Pfützen als Kies. Die Füsse geben seit kurzem ein schmatzendes Geräusch von sich und der Oberkörper fühlt sich klamm und feucht an. Allmählich habe ich die Schnauze voll. Eine volle Stunde überlege ich hin und her, ob ich mir ein Hotelzimmer leisten soll. In meinem Kopf herrscht ein regelrechtes Tauziehen zwischen dem Möchtegern-Abenteurer und dem kranken Wandersmann. Am vierten Tag bereits eine luxuriöse Unterkunft beziehen, das geht doch nicht, muckt der Macho in mir auf. Das kommt doch einer Kapitulation gleich! Jeder intelligente Mensch würde sich für diese Nacht ein trockenes und warmes Plätzchen suchen, erwidert aber der fiebrige Spaziergänger. Ich ringe mit mir, aber irgendwann wäscht der kalte Dauerregen alle Gegenargumente weg.

      Vor Lauchringen treffe ich eine ältere Dame, die trotz des trüben Wetters mit ihrem Hund Gassi geht. Ich frage sie, ob es im Dorf eine Herberge gäbe. «Ja, sogar zwei, nämlich das Gasthaus Adler und das Gartenhotel Feldeck, dieses Etablissement ist aber schon ein bisschen teurer», sagt sie und mustert mich skeptisch von oben bis unten. Der Adler ist bis 17 Uhr geschlossen und deshalb schaue ich bei der zweiten Option vorbei. Ich parke Molly vor dem Eingang und erkundige mich an der Rezeption. Sie hätten noch ein Zimmer für 65 Euro, meint der Chef. Der Preis ist schon ein wenig höher als bei der Konkurrenz, aber ich will einfach nur aus den nassen Klamotten raus! «Ich buche das Logie aber nur unter einer Bedingung», sage ich zum Patron. Verwundert schaut er mich an. «Mrs. Molly, the shopping trolley, muss mit auf das Zimmer!» Jetzt guckt er mich noch verwirrter an. Als ich ihm aber draussen meine Dame vorstelle, lacht er schallend. Und so bekomme ich für das Geld nicht nur ein Einzelzimmer, sondern ein ansprechendes und geräumiges Doppelzimmer. Mein klatschnasses Wägelchen passt sogar in den Aufzug und wir rauschen in den ersten Stock. Knapp kommen wir durch den engen Gang. Die Zimmernummer ist die 17. Nur schnell raus aus den feuchten Kleidern und ab unter die heisse Dusche! Jeden freien Platz im Raum belege ich mit den muffigen Sachen, damit sie bis morgen trocken sind. Die Schuhe hänge ich an den Handtuchtrockner im Bad und drehe die Temperatur auf das Maximum. Bevor ich meinen müden Körper in die Gaststube verfrachte, widme ich mich der allabendlichen Fusspflege. Seit dem zweiten Tag bilden sich regelmässig Blasen an beiden Fusssohlen. Ich steche diese prallen Dinger jeweils auf, presse die Flüssigkeit hinaus und desinfiziere grosszügig. Auch die Fersen sind aufgescheuert und bluten leicht. Mit Spezialcreme salbe ich die geschundenen Füsse reichlich ein und schlüpfe in frische Socken. Nach dieser wichtigen Arbeit gönne ich mir eine Etage tiefer ein feines Gulasch mit Gemüse und hausgemachten Spätzle.

       In der Schusslinie

       Tag 5: Donnerstag, 9. Mai 2019, 30 km (129 km)

      Ich bediene mich herzhaft am Frühstücksbuffet. Es hat aufgehört zu regen und ich bin um 7: 30 Uhr wieder auf der Piste. Die ersten 17 km bis Stühlingen gibt es beinahe umsonst. Der durchgehend asphaltierte Weg führt wunderbar der Wutach entlang. Ich komme mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch, das für einige Minuten in dieselbe Richtung spaziert. Ausführlich muss ich ihnen über mein Vorhaben berichten. Als sich unsere Wege trennen, meint die Dame: «Jeden Donnerstag besuche ich mit einer Frauengruppe die Kirche, um für eine Stunde gemeinsam zu Beten. Ich werde also speziell für Sie und Ihre Reise zum Herrgott beten, damit alles klappt und Sie gesund nach Hause kommen.» Ich bin gerührt und ziemlich sprachlos und bedanke mich bei ihr.

      Dem Wetter kann ich heute noch nicht trauen. Immer wieder fällt aus den grauen Wolken Regen und zwingt mich, den Schirm aufzuspannen. Wenn ich den Körper ganz nahe an mein Wägelchen presse und es mit angewinkelten Armen vorwärtsbewege, komme ich sogar ohne Regenschutz aus. So kann ich auf die ungeliebten Klamotten verzichten. In Grimmelshofen geht es das erste Mal richtig steil aufwärts. Das schmale Strässchen führt am letzten Haus des Dorfs vorbei und nach 200 Metern geht der Asphalt in einen wüsten Schotterweg über. Das kann doch nicht wahr sein! Ich lasse Molly stehen, kehre zum letzten Wohnhaus zurück und klingle an der Tür. Über die Gegensprechanlage meldet sich eine freundliche Stimme. «Guten Tag, ist das wirklich der Fahrradweg Richtung Fützen?» Die blecherne Stimme antwortet: «Ja, da sind Sie richtig, die Schotterpiste geht aber nach 200 Metern wieder in einen guten Weg über. Sie können aber auch ins Dorf, um die Kirche herum und auf diese Weise kommen Sie bequem und auf ausschliesslich geteerter Strasse nach Fützen.» Ich bedanke mich für

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