Wanderfieber. Christian Zimmermann

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Wanderfieber - Christian Zimmermann

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Fachwerkhäuser säumen die Gassen. Die ersten Ladenbesitzer öffnen ihre Lokale und platzieren draussen Ständer mit Waren für den Verkauf. Ausserhalb der Stadt verweile ich auf einer Parkbank. Ein Jogger rennt neben mir vorbei, bleibt stehen und spricht mich neugierig an. Wie schon viele Male in der Vergangenheit, erläutere ich dem Interessierten meinen Trip. Staunend lauscht er meinen Worten. Er findet die Idee, zu Fuss nach Moskau zu marschieren, ziemlich cool und faszinierend. Er wohnt im Nachbarort Sigmaringendorf und so beschliessen wir, die 3 km bis dorthin gemeinsam unter die Füsse zu nehmen. Ich möchte selbstverständlich auch mehr über meine temporäre Begleitung erfahren. Andreas erzählt unumwunden, dass er im Moment intensiv auf Arbeitssuche sei. Er komme aus einem Burnout und taste sich behutsam in ein normales Leben zurück. Er habe über 25 Jahre als Biologielaborant in der Pharmazie gearbeitet. Ausschliesslich Tierversuche musste er durchführen und irgendwann hielt er diese grausame Arbeit nicht mehr aus. Längere Zeit verdrängte er dieses Problem, bis es irgendwann nicht mehr ging. Er zähle 56 Lenze und es sei schwierig, sich in diesem Alter neu zu orientieren. Er macht auf mich einen überaus positiven und motivierten Eindruck. In seinem Dorf trennen sich unsere Pfade. Wir wünschen uns gegenseitig viel Kraft und Energie für unsere derart unterschiedlichen Wege.

      Schnell bin ich in Scheer. Um nach Blochingen zu gelangen, solle ich direkt über die schwach befahrene Hauptstrasse wandern, hatte mir Reinhard gestern als Tipp mit auf den Weg gegeben. Mit dieser Routenwahl könne ich ein paar Kilometer einsparen. Irgendwie verpasse ich aber die richtige Abzweigung. Es geht steil den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Ein Dorf kommt in Sicht und ich erwarte das Ortsschild von Blochingen. Da steht aber Heudorf auf der Tafel. Der Wegweiser an der Kreuzung zeigt für meinen Zielort in eine völlig andere Richtung. Ich fluche leise, biege ab und folge dem Verlauf der Strasse. Diese vier zusätzlichen Kilometer überstehe ich auch noch. Nach einer Dreiviertelstunde treffe ich in der richtigen Ortschaft ein. Wie von meinem Gastgeber beschrieben, entdecke ich neben der Kirche das alte Haus mit dem roten Holzfachwerk. Reinhard werkelt vor seinem Haus herum und begrüsst mich freudig. «Was, du bist schon da, ich habe nicht geglaubt, dass du es so zügig schaffst!» Er erklärt mir, dass sein Sohn David bei seiner Mutter wohne und deshalb hätten wir sturmfreie Bude. Das Gebäude ist über 200-jährig und im Innern seines Hauses dominieren massive alte Balken. Die Deckenhöhe ist eher niedrig, aber deswegen einfach besonders wohnlich. Reinhard erinnert mich mit seinen wilden Haaren und dem buschigen Bart eher an einen urigen Goldsucher aus Alaska als an einen pensionierten Schwaben. Der 67-Jährige brüht Tee auf und wir quatschen am Küchentisch eine ganze Weile. Später zeigt er mir das Zimmer, wo ich mich niederlassen kann. «Wenn du was brauchst, findest du mich im Garten – fühle dich wie zuhause.» Ich fühle mich tatsächlich wie zuhause und genehmige mir eine heisse Dusche. Ein paar Kleidungsstücke wasche ich von Hand aus und hänge sie draussen an der Sonne auf die Wäschespinne. Ich verbringe zwei Stunden vor dem Computer, um meine, bis dato fabrizierten Fotos und Videos auf einer externen Festplatte abzusichern. Wenn Reinhard eine Pause von seiner Arbeit benötigt, kommt er herein und erzählt immer wieder aus seinem Leben. Sein Vater habe ihn seinerzeit gezwungen, die Bundeswehr zu absolvieren und so liess er diese zwei Jahre in Uniform über sich ergehen. Anschliessend studierte er und liess sich zum Lehrer ausbilden. Nur per Zufall fand er dieses alte Haus vor 40 Jahren und erwarb es für ein Butterbrot. Jahre später heiratete er ein Mädchen aus dem Dorf, das gerade mal halb so alt wie er war. Seine Doris brachte als 17-Jährige den gemeinsamen Sohn David zur Welt. Dieser benötige intensive Betreuung, da er mit einem Gendefekt auf die Welt kam. Seit einiger Zeit leben er und seine Frau getrennt. Man sieht es der Wohnung an, dass Reinhard allein haust, es herrscht, sagen wir mal, eine gemütliche Unordnung. Beim leckeren Abendessen geniesst er es sichtlich, wieder einmal Gesellschaft zu haben und er kommt aus dem Erzählen nicht heraus. Er ist wirklich nicht zu bremsen und schweift gerne und ausführlich vom Thema ab, um dann eine Viertelstunde später zum eigentlichen Punkt zurückzukehren. Reinhards grösste Leidenschaft ist das Kajakfahren. Ganze 16 Stück lagert er in einem seiner vielen Schuppen! Ich wette, er kennt praktisch jeden Fluss in Europa und viele davon befuhr er schon persönlich. Mit leuchtenden Augen schwärmt er von der Freiheit auf dem Wasser. Diese Woche will er unbedingt mal wieder auf den Rhein paddeln gehen, der habe im Moment den perfekten Pegelstand. Die Zeit vergeht im Nu und da die Literflasche Riesling auch schon leer ist, beschliessen wir, zu Bett zu gehen.

       20 Steigungsprozente

       Tag 10: Dienstag, 14. Mai 2019, 33 km (272 km)

      Um 7 Uhr streichen wir gemeinsam unsere Stullen. Ich bevorzuge Butter und Honig, Reinhard belegt seine Scheiben grosszügig mit Wurst und Käse. Eine halbe Stunde später schaut seine Frau Doris herein. In ihrem Schlepptau befindet sich Sohn David, der in eine Behindertenwerkstatt zur Arbeit geht. Glücklicherweise muss auch Doris ihrem Job nachgehen, denn das Klima zwischen den Eheleuten ist, schlicht gesagt, ein wenig unterkühlt. Reinhard lässt sich nichts anmerken und kurz darauf beendigen wir unser Morgenmahl. Ich packe meine Siebensachen zusammen. Aus dem Nichts kommt Reinhard mit der Idee, wir könnten doch morgen auf der Donau eine gemeinsame, eintägige Kajaktour starten. Ja, das wäre schon was, aber ich bin im Moment vom Wanderfieber gepackt und möchte weitermarschieren. Er ist sichtlich enttäuscht. Ich fülle die Wasserflaschen auf und schon bin ich abfahrbereit. Zum Abschied knipst mein sympathischer Gastgeber einige Fotos von Mrs. Molly und mir. Er will dem lokalen Zeitungsblatt einen bebilderten Artikel über uns liefern.

      Wie gestern zeigt sich auch heute das Wetter von seiner besten Seite. Kühl ist es noch immer und unten auf der Ebene bläst mir ein sehr unangenehmer Wind ins Gesicht. Der Weg führt durch riesige landwirtschaftliche Flächen. Raps, Weizen und Wiesen wechseln sich ab. Ein prächtiger Feldhase sitzt auf der Fahrbahn, der beim Näherkommen mit weiten Sprüngen panikartig das Weite sucht.

      Um die Mittagszeit trudle ich in Riedlingen ein. Die Besiedelung der Stadt geht auf einen Besitz von Ludwig des Frommen aus dem Jahr 835 zurück. Riedlingen ist eine der wenigen Orte der Region, die früher trotz ihrer geografisch günstigen Lage von Plünderungen und Kriegswirren weitgehend verschont geblieben ist. Aus diesem Grund treffe ich auf eine sehr gepflegte und intakte Altstadt. Viele aufwändig restaurierte Fachwerkhäuser säumen die Gassen. Hier treffe ich auch die Gruppe Französinnen, die gemeinsam mit dem Fahrrad auf einer Tour sind. Sie überholten mich vor der Stadt und grüssten mich lauthals mit einem fröhlichen «bonjour». Dieses Jahr seien sie schon zum 16. Mal auf einer einwöchigen Radeltour. Nur für Mädchen sei diese Woche, erzählt die charmante Anführerin mit ihrem französischen Akzent. Die Ehemänner müssten zuhause selbstständig zurechtkommen, was mittlerweile ganz gut klappe. «Mädchen», denke ich schmunzelnd – die meisten der Gruppenmitglieder sind nach meiner vorsichtigen Einschätzung schon längst im Pensionsalter. Für das obligate Gruppenfoto posieren Molly und ich sehr gerne.

      Heute verläuft der grösste Teil der Route flach und asphaltiert. Auf den Wiesen suchen sich eine Handvoll Störche und Fischreiher ihr Futter. Ein Bussarden-Paar schwebt durch die Luft und hält nach Beute Ausschau. Unzählige Schwalben schwirren über das Wasser der Donau, um sich mit Insekten den Bauch vollzuschlagen.

      In Zwiefaltendorf fliesst der Fluss Zwiefalter Ach in die Donau. Hier gäbe es eine lokale Bierbrauerei, die aber leider geschlossen ist. Gleich um die Ecke geht es nach Datthausen. Dieses Dorf ist etwas höhergelegen. Das Schild am Anfang der Steigung lässt das Blut in meinen Adern gefrieren: 20 Steigungsprozente werden da, ohne Vorwarnung, angekündigt! Das ist jetzt wirklich steil. Es sind zwar nur 100 Meter oder so, aber ich muss viermal stehenbleiben um durchschnaufen zu können. Zum Anhalten stelle ich Molly quer zur Fahrtrichtung in die Strasse, damit sie sich nicht selbstständig macht. Eine Bremse könnte ich jetzt sehr gut gebrauchen. Das anschliessende Anfahren ist enorm mühsam. Mit vorgebeugtem Körper und ausgestreckten Armen muss ich vollen Schub geben und mit ganzer Kraft drücken, damit ich in Schwung komme. Viel steiler darf es nicht mehr werden! Drei Kilometer hinter Datthausen finde ich einen makellosen Platz im Wald. Aus Erfahrung lernt man und deshalb habe ich mich seriös vergewissert, damit ich nicht wieder in der Nähe eines Jägerhochsitzes, respektive in dessen Kugelfang, übernachte.

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