Wanderfieber. Christian Zimmermann
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Spaghetti bolognese umsonst
Tag 11: Mittwoch, 15. Mai 2019, 38 km (310 km)
Ein älteres Ehepaar mit Fahrrädern, das ich gestern kurz vor Feierabend bei der steilen Rampe traf, ist sehr überrascht, als es mich erblickt. «Was, Sie sind auch schon hier, das gibts doch nicht!» Ich muss lachen und nehme die beiden auf die Schippe. «Ich habe offensichtlich weniger lang wie Sie geschlafen und mein Frühstück war auch nicht derart reichhaltig wie in Ihrem Hotel.» Sie müssen mir schmunzelnd beipflichten und so machen sie sich von dannen.
Die Altstadt von Munderkingen wirkt wegen einer Baustelle nicht gerade einladend. Ich kaufe mir im Vorbeigehen in einer Bäckerei eine Zimtschnecke und spaziere kauend weiter. Beim Bäcker konnte ich mich nach dem nächsten Supermarkt erkundigen. «Einfach dem Radweg folgen und nach etwa einem Kilometer, ausgangs der Stadt, haben Sie eine grosse Auswahl.» Die Angaben der Verkäuferin stimmen haargenau und ich kann die Proviantsäcke wieder auffüllen. Zusätzlich zu meinem Vorrat leiste ich mir einen lecker aussehenden Fertigsalat mit Käse und Croûtons – den werde ich am Mittag, zusammen mit einem belegten Brot, verspeisen.
Trotz hartnäckigem und kaltem Gegenwind komme ich flott voran. Die Blessuren an den Füssen stören mich nicht allzu sehr, respektive, ich ignoriere sie gekonnt. Meine beiden Fersen sind noch immer lädiert und darum pflege ich sie intensiv. Nach dem Aufstehen versuchte ich ein weiteres Mal, die beiden wunden Stellen zu tapen. Schon vor der Abreise besorgte ich mir diese supermodernen, extrateuren orthopädischen Pflaster. Sehr fachmännisch klebte ich diese auf die Abschürfungen. Ich weiss beim besten Willen nicht, wie das andere Leute bewerkstelligen. Bei mir begeben sich diese Dinger spätestens nach einer Viertelstunde auf Wanderschaft und nach einer Stunde kleben diese verdammten Pflaster irgendwo an meinen Füssen, auf alle Fälle nicht dort, wo sie hingehören. Ich hinke bis zur Mittagspause in den Trekkingschuhen und wechsle dann auf die Sandalen, um den Füssen eine Abwechslung zu gönnen.
Ehingen präsentiert sich als recht hübsche Kreisstadt. Im Zentrum wird sogar ein kostenloses WLAN angeboten, das aber bei mir mal wieder nicht funktioniert. Ich überquere die Strasse und stehe vor der grossen Stadthalle. Hier funktioniert das Internet plötzlich tadellos. Zur Stadthalle gehört auch das Restaurant zur Linde und die Tür zur Wirtschaft steht sperrangelweit offen. Ich gucke neugierig in die Gaststube und frage den Wirt, ob ich mit meinem Einkaufswagen reinkommen darf. «Ja klar, selbstverständlich, komm nur – was bist denn du für einer?» Axel, der Wirt, seine Ehefrau Beate und die drei letzten Gäste bestaunen mich sprachlos. Sie schütteln alle ihren Kopf und bewundern den Einkaufswagen. Die Fragen prasseln nur so auf mich ein. Brav wie gewohnt gebe ich gerne Auskunft. Die Wirtsleute haben diesen Betrieb erst vor kurzem gepachtet. Hier im Parterre bieten sie seit neustem einen einfachen Mittagstisch für Schüler und Arbeiter an. Axel meint treffend, wer derart viel wandert, sollte auch genügend essen. Spontan lädt er mich zu einem kostenlosen Teller Pasta bolognese ein – Widerspruch zwecklos. Auf diese Weise komme ich unverhofft zu einem zusätzlichen Mittagessen. Mampfend sage ich zu Axel: «Diese schmackhaften Teigwaren geben mir Energie für mindestens 10 km.» 20 Minuten später schliessen die grosszügigen Wirtsleute die Gaststube, um im ersten Stock, wo sich das gediegene à la carte Restaurant befindet, die Vorbereitungen für das Abendgeschäft zu treffen.
Relaxt spaziere ich in den Nachmittag. Nach weiteren 13 km bin ich müde genug, um Feierabend zu machen. In Ersingen am Badesee finde ich einen kostenlosen Campingplatz und lasse mich nieder.
Angst vor einem Obdachlosen
Tag 12: Donnerstag, 16. Mai 2019, 20 km (330 km)
Es wird einfach nicht wärmer. Zum Frühstück sitze ich wie jeden Morgen in Vollmontur auf dem Campingstuhl. Vollmontur heisst: Unten lange Hosen mit Socken, oben T-Shirt, darüber einen dünnen, langärmligen Pullover, eine Softshelljacke und als letzte Schicht die kuschlige Daunenjacke. Zuoberst thront die warme Wollmütze auf dem Kopf. So schlürfe ich relativ entspannt den Kaffee. Als Tagesziel ist das nur 20 km entfernte Ulm gesetzt. Zum Marschieren verstaue ich die Daunenjacke, mit ihr würde ich zu heftig schwitzen. Kurz vor meinem Ziel treffe ich einen Schweizer Fahrradfahrer. «Hallo Christian, dich habe ich doch letzte Woche im Schweizer Fernsehen gesehen.» Ich gucke ziemlich verdutzt aus der Wäsche, weil mich dieser unbekannte Mann mit meinem Namen anspricht! Peter ist erst vor einigen Tagen in der Region Zürich gestartet und plant eine mehrwöchige Tour. «Ich sagte zu meiner Frau, was ist das für ein Spinner und nun stehst du in Fleisch und Blut vor mir!»
Schon um 11 Uhr treffe ich in der mittelalterlichen Stadt Ulm ein, die sich am linken Donauufer ausbreitet. Auf der gegenüberliegenden Seite soll es einen bescheidenen Stellplatz für Zelte geben, entnehme ich dem Donauradführer. Die Skyline von Ulm mit Münster und Fischerviertel spiegelt sich wunderbar im Wasser. Von weitem kann ich an der Stelle, wo der Campingplatz stehen sollte, nichts dergleichen erkennen. Deshalb wende ich mich an eine ältere Dame, die gerade mit ihrem Velo gemächlich vorbeifährt. «Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo ich den Campingplatz finde?» Mein Gegenüber fällt vor Schreck beinahe von ihrem Gefährt, schüttelt heftig ihren Kopf, fuchtelt mit einem Arm wild durch die Luft und tritt wie verrückt in die Pedale! Panikartig flüchtet sie vor mir. Verwundert und mit offenem Mund schaue ich ihr hinterher. Sie wollte sich offensichtlich nicht von einem Obdachlosen anquatschen lassen, das könnte ja gefährlich werden! Das nächste Opfer derselben Frage, ein jüngeres Paar, lässt sich von meiner Aufmachung nicht beeindrucken und gibt mir bereitwillig Auskunft. Ich müsse nur die Fussgängerbrücke überqueren und der Platz befände sich dort drüben beim städtischen Ruderclub.
Nach dem Camp-Aufbau schlendere ich Richtung Innenstadt, die nur einen halben Kilometer entfernt liegt. Die Wertsachen schleppe ich im Fotorucksack mit, den Rest vertraue ich Mrs. Mollys Bauch an. Meine Lady habe ich mit dem Stahlseil fest an einen Baum gekettet. Mit dieser Methode ist es auch nicht mehr möglich, den Deckel zu öffnen. Spazieren ohne meinen Einkaufswagen fühlt sich ziemlich komisch an. Ich komme mir ein bisschen nackt vor und ich habe das Gefühl das Wandern ohne Gehhilfe verlernt zu haben.
Im Fischerviertel, wo früher auch das Gerbereigewerbe angesiedelt war, bewundere ich viele windschiefe Fachwerkhäuser. Laut dem «Guinness-Buch der Rekorde» steht auch das krummste Hotel der Welt hier. Die Herberge trägt den fantasievollen Namen «Hotel Schiefes Haus». Das blumengeschmückte und liebevoll renovierte Gebäude scheint wirklich fast einzustürzen, doch das hält die Hotelgäste nicht davon ab, hier zu übernachten. Sie sind bereit, saftige Preise für dieses schräge Erlebnis zu bezahlen. Ein hübscher Bach fliesst mitten durch die Idylle, was für das Gewerbe damals natürlich sehr praktisch war. Überall laden urige Gasthäuser zu Speis und Trank ein. 100 Meter weiter steht das Wahrzeichen von Ulm – das Münster. Dieses Gotteshaus darf übrigens den Titel «höchster Kirchturm der Welt» tragen. Leider sind Teile des Turms eingerüstet und im Innern wird fleissig restauriert. Auch die restliche Altstadt ist sehenswert. Viele Touristen und Einheimische flanieren durch die Gassen und erfreuen sich an den wenigen Sonnenstrahlen. Am Abend kapere ich die «Gaststuben im Zunfthaus der Schiffleute». Die riesigen, dunklen Balken könnten sicherlich manche Geschichte über dieses Etablissement erzählen. Ich mache es mir auf der Galerie gemütlich, auf diese Weise geniesse ich einen tollen Überblick über die Gaststube unter mir. Mit einem grossen Hellen starte ich den Abend. Schon nach kurzer Zeit wird mir der bestellte Sauerbraten mit schmackhaften Spätzle und Schwäbischem Sand serviert. Dieser «Sand» entpuppt sich als in viel Butter geröstete Semmelbrösel, der himmlisch schmeckt.
Grenzüberschreitung
Tag 13: Freitag, 17. Mai 2019, 34 km (364 km)
Um 6: 15 Uhr bin ich bereits auf der Piste. Die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch den grauen Nebel und tauchen das Münster mit der Altstadt auf der gegenüberliegenden