Wanderfieber. Christian Zimmermann

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Wanderfieber - Christian Zimmermann

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sich der holprige Pfad schon nach der nächsten Kurve in eine gut befahrbare Strasse. Nun geht es stetig bergwärts. Allmählich kann ich eine sagenhafte Weitsicht geniessen. Mein Blick schweift über ein ausgedehntes Getreidefeld, dessen Ähren sich heftig im Wind neigen und biegen. Als gelber Farbkontrast leuchten mir auch herrlich duftende Rapsfelder entgegen. In der Ferne schmiegen sich hübsche Dörfer zwischen die grünen und gelben Flächen. Schwitzend und keuchend erreiche ich die Anhöhe. Hier steht das obligate Jesuskreuz und daneben lädt eine rustikale Sitzbank zum Verweilen ein. Der Kopf von Jesus ist leicht auf meine Seite geneigt und ich fühle mich ein wenig unter Beobachtung. Nach zehn Minuten ist Schluss mit Aussicht geniessen. Eine weitere stürmische Regenfront stürzt auf mich herein. Mit offenem Regenschirm kauere ich mich hinter Molly auf den Boden, mache mich möglichst klein und lasse die Sintflut über mich ergehen. Schon nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei und die Sonne scheint mir wieder ins Gesicht. Im leichten Laufschritt geht es ruckzuck nach Fützen. Verschenkte Höhenmeter, denke ich nur. Ich schaute mir das Höhenprofil für heute genau an und deshalb weiss ich, dass mich einige heftige Steigungen erwarten. Ein kurzes Stück führt der Weg relativ flach den Schienen der berühmten «Sauschwänzlebahn» entlang. Ohne Ankündigung biegt der Fahrradweg plötzlich in die Hauptstrasse ein. Ja Scheisse, muss das wirklich sein und das erst noch im dichten Feierabendverkehr. Und es wird steil, sehr steil. Ein Schild verspricht bis zu 15 Steigungsprozente! Ich muss höllisch auf den Verkehr aufpassen. Die Leuchtweste und auch der Regenschirm, den ich zur besseren Sichtbarkeit hisse, bewähren sich. Ich laufe, respektive krieche natürlich auf der linken Seite der Strasse: «Links gehen – Gefahr sehen», das lernte und verinnerlichte ich mir als Dreikäsehoch. Ich kann aber beruhigt feststellen, dass die Autofahrer grosse Rücksicht nehmen und ich möchte ihnen an dieser Stelle ein Kränzchen winden. Nach einer halben Stunde und 100 Höhenmetern habe ich die Nase voll. Ich biege in einen Feldweg ab, der am Waldrand entlangführt. Hier muss ich einen geeigneten Platz finden! Und es passt tatsächlich. Ich stelle gerade meine Behausung auf, als ein Allradfahrzeug in den Weg einbiegt. Es ist der Wagen des Wildhüters. Er kurbelt die Scheibe herunter und grüsst mich durchs Dickicht. Ich begebe mich neben sein Auto und erwidere den Gruss. «Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, wenn Sie in unserem Wald campieren, solange Sie den Platz sauber hinterlassen. Wir haben aber die Jagd erst vor wenigen Tagen eröffnet und Ihr Zelt steht jetzt sozusagen im Kugelfang eines Hochsitzes – das ist sehr gefährlich!» Er zeigt mir den Ansitz, von wo die Jäger vor allem Wildschweine ins Visier nehmen. Ich schlucke drei Mal leer und schaue den netten Jäger fragend und ein wenig verzweifelt an. Der Mann mit dem grünen Hut schmunzelt und erlaubt mir, mein Zelt stehen zu lassen. Auf dem Rücksitz des Autos wedelt der Jagdhund wie zur Bestätigung freudig mit seinem Schwanz. Der Wildhüter zückt kurzerhand sein Smartphone und über die WhatsApp-Gruppe der Jäger sperrt er für diese Nacht den besagten Hochsitz. «Befestigen Sie aber zur Sicherheit Ihre Leuchtweste am Baum vor Ihrem Camp», rät er mir, was ich natürlich postwendend mache!

       Hugo

       Tag 6: Freitag, 10. Mai 2019, 27 km (156 km)

      Glücklicherweise störten keine Gewehrschüsse meine Nachtruhe. Völlig entspannt stehe ich im Halbdunkeln auf. Ich trödle ein wenig herum, weil ich weiss, was mir blühen wird.

      Vor der Glotze verfolge ich manchmal das Radrennen «Tour de France», vor allem die Bergetappen. Absolut eindrücklich, wie die Radler über die Alpen und Pyrenäen kraxeln, ob mit oder ohne Doping. Meine persönliche «Alpe d'Huez» erwartet mich nach dem Einbiegen in die Hauptstrasse und das garantiert ohne verbotene Substanzen, falls die Extraportion Porridge nicht in diese Kategorie fällt. So früh am Morgen von null auf hundert zu beschleunigen, ist einfach unmenschlich. Im Schneckentempo keuche ich die steilen Rampen hinauf. Der Verkehr ist auch heute kein Problem. Die Steigungen sind in einer knappen Stunde erledigt und auf der Abfahrt nach Blumberg kann ich mich erholen. Eigentlich wollte ich von hier direkt nach Immendingen an die Donau, aber leider gibt es auf dieser Strecke keinen Fahrradweg. Die Hauptstrasse ist wirklich stark befahren und auch der Schwerverkehr nimmt offensichtlich diese Route. Deshalb marschiere ich zuerst mal weiter Richtung Donaueschingen, was einem Umweg von 15 km entspricht. Aber was sind das schon für mickrige Zusatzkilometer im Vergleich zur restlichen Strecke. Sicherheit geht vor!

      Ausserhalb des Dörfchens Behla treffe ich einen alten Mann. Mitten in der Prärie steht wieder eines dieser zahllosen Kreuze am Strassenrand. Der besagte Herr mäht mit seiner altersschwachen Maschine die etwa 20 Quadratmeter Rasen rund um das Jesuskreuz. Als ich auf seiner Höhe anhalte, schaltet er den Motor aus und begrüsst mich. Er habe mich schon von weitem gesehen und habe sich gewundert, was dieser Typ mit seinem Einkaufswagen in dieser Gegend zu suchen habe. Der rüstige Rentner stellt sich als Hugo Meister aus Behla vor. Wir schütteln uns die Hände. Zuerst muss ich ihm meine Geschichte erzählen. Das dauert vielleicht drei Minuten. Dann ist Hugo dran! «Wissen Sie, meine Frau betreut eigentlich die Kreuze in unserer Gemeinde, aber jetzt hat sie mich beauftragt mit dem Mäher eine Runde zu drehen. Am Wochenende steigt im Nachbardorf ein traditionelles Scheunenfest und da fahren viele Leute hier entlang und deshalb muss alles picobello sein! Ja, und meiner lieben Frau sollte ich natürlich diesen Wunsch nicht ausschlagen», murmelt er schelmisch. Er erzählt mir, dass er sein Leben lang für die Post arbeitete, aber wegen des kärglichen Lohns musste er was nebenher verdienen. Seit 1965 betätige er sich deshalb als Taxifahrer und an den Wochenenden chauffiere er immer die Nachtschwärmer nach Hause. Er sei 1997 pensioniert worden und besitze neben seinem eigenen Haus noch eine Ferienwohnung, die er vermiete. Ah ja, auf einem Bauernhof mit drei Brüdern sei er aufgewachsen, die seien aber alle schon tot. Wenn Hugo 1997 ins Pensionsalter kam, muss er jetzt um die 85 Jahre alt sein, was ich ihm aber nicht ansehe. Es tut mir leid, seinen Redefluss zu unterbrechen. Mit einem Augenzwinkern bringe ich ihm bei, dass ich nicht im Winter in Russland ankommen möchte und deswegen sollte ich mich schleunigst auf die Socken machen. Wir schütteln uns ein weiteres Mal die Hände. Hugo bugsiert seinen Rasenmäher in die Heckschaufel seines Traktors. Gewissenhaft fährt er zum nächsten Kreuz, um den Auftrag seiner Frau zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen.

      In Sumpfohren bemerke ich tatsächlich das eine oder andere Schild, das für das morgige Scheunenfest wirbt. Ziemlich flach verläuft die Route nach Neudingen. In dieser Ortschaft treffe ich auf die Donau, die sich hier als bescheidenes Flüsschen präsentiert. Auf den saftigen Wiesen tummeln sich zahlreiche Störche. Auf der Futtersuche stolzieren sie mit ihren langen Beinen graziös durchs Gras.

      Unerwarteterweise schaffe ich es bis nach Immendingen. Ein bisschen ausserhalb des Dorfs befindet sich eine kleine Touristenattraktion, nämlich die Donauversickerung. Der Fluss verschwindet genau an dieser Stelle bei Niedrigwasser urplötzlich im Untergrund, um einige Kilometer später wiederaufzutauchen. Ein hübsches Restaurant bietet hier alles, was das Herz begehrt. Überraschenderweise darf ich auf der grünen Wiese für fünf Euro mein Zelt aufstellen. Ich bin der einzige Gast und es herrscht aus diesem Grund kein Andrang unter der Dusche.

       Schwäbische Zeitung

       Tag 7: Samstag, 11. Mai 2019, 33 km (189 km)

      Glücklicherweise kontrolliere ich nach dem obligaten Haferbrei meine Mails. Um hohe, internationale Roaminggebühren zu umgehen, besorgte ich mir ein schwarzes Kästchen von «Netgear». Dazu kaufte ich mir zwei SIM-Karten mit je 12 Gigabyte Datenvolumen, die für ganz Europa gültig sind. Auf diese Weise habe ich das eigene, echt kostengünstige WLAN dabei. Beim Lesen meiner E-Mails erfahre ich, dass der Termin mit der Schwäbischen Zeitung tatsächlich steht. In gut zwei Stunden werde ich demnach in Tuttlingen erwartet. Da muss ich mich aber echt sputen, um die 11 km zu bewältigen und pünktlich einzutreffen.

      Ich wandere gerade am Schwimmbad von Tuttlingen vorbei, als ich hinter mir eine bekannte Stimme vernehme. Michael verbringt sehr viel Zeit auf seinem Velo. Dieses Wochenende eröffnet er seine Fahrradsaison und kam deshalb auf die gloriose Idee, mich zu besuchen. In seinen Ferien sitzt er meistens im Sattel und bereiste mit seinem Drahtesel schon weite Teile Europas. Wir standen vor meiner Abreise im regelmässigen Kontakt, aber

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