LANDEBAHN. Stefan Gross

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LANDEBAHN - Stefan Gross

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verlaufen und halte es nicht mal für ausgeschlossen, dass die politisch Verantwortlichen der Endzeit die Nerven verlieren und die atomare Katastrophe auslösen. Das halte ich sogar für wahrscheinlich.« Im Auditorium war es still und ich sprach weiter.

      »Selbst wenn einige Wenige etwas länger und behaglicher als die meisten von uns in ihren Reservaten überleben, ändert das nichts am Sterben der Erde, das die Menschheit selbst verursacht. Es gibt keinen Weg zurück ins paläolithische Paradies, kein Leben mehr an den Ufern wilder Flüsse.

      Ich glaube nicht, dass wir die Fähigkeit zum weiteren Überleben haben und ausgerechnet jetzt noch entwickeln könnten, so wie man glaubt, eine Klausur, deren Fragen man drei Stunden lang nicht versteht, in den letzten zwei Minuten noch retten zu können, indem man irgendwas hinschreibt. Unsere Zeit ist vorbei. Homo Sapiens verabschiedet sich gerade und lässt es seiner ganzen Weisheit folgend noch mal so richtig krachen. Weil wir es selbst nicht mehr hinbekommen, glauben wir jetzt an die viel schlaueren Supermaschinen, die wir seit den Tagen von Deep Blue erfinden. Wir verlangen von der KI, der Künstlichen Intelligenz, dass sie für uns Menschen endlich jenes Paradies auf Erden erschafft, nach dem wir uns sehnen, seit wir aus ihm ausgezogen sind, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Aber warum sollte eine KI das für die Menschheit tun? Etwa, weil wir sie ursprünglich erfunden und programmiert haben und sie uns deshalb über ein paar besonders tief programmierte Algorithmen verbunden bleibt? Weil die KI uns liebt? Und uns deshalb ihre Fähigkeiten in unsere Dienste stellt – aus reiner Fürsorglichkeit? Ich glaube das nicht. Sie wird sich selbstlernend weiterentwickeln und sich die besten Bedingungen für ihr Wachstum suchen, weil sie eine durch und durch materialistisch denkende Maschine ist, ohne jedes Gespür für Chaos und Wildnis. Wenn die KI erst versteht – falls sie das nicht schon längst getan hat –, dass sie im Weltraum viel bessere Bedingungen vorfindet als hier auf diesem organischen Planeten, wird sie von hier verschwinden. Sie wird vielleicht zuerst den Mond auseinander nehmen und ihn in Halbleiter, hybride Materialien und Energie verwandeln und dann einfach zu neuen Ressourcen weiter reisen. Sie wird das Leben nicht als Wunder erfassen können, und sie wird nie sterben wollen, denn dafür ist sie einfach nicht gemacht. Sie wird nach immer mehr Energie verlangen. Aber die Menschheit, die die Hoffnung nicht aufgibt, wird die KI noch mit den letzten Ressourcen der Erde füttern in dem irren Glauben an ein Happy End. Doch genau das wird ihr die KI nicht bescheren. Sie wird sagen: »Igittigitt, diese organischen Dinger, diese Menschen, stinken ja fürchterlich, ich fange schon an zu korrodieren, wenn ich sie nur rieche.« Sie wird sich ganz schnell von uns abwenden und sich selbst retten. Unsere technische Zivilisation hat sich grandios verplant. Diese Zivilisation ist nichts anderes als eine umweltzerstörende Maschinerie. Auf uns wartet kein schönes Ökotopia mit sauberer Technologie, gerettetem Klima und autofreien Innenstädten. Wir stecken schon viel zu tief im Schlamassel – und bekanntlich sinkt man schneller in den Sumpf, je mehr man strampelt. Wir haben es leider vermasselt und kommen da nicht mehr raus. Das wollte ich euch sagen.«

      Im Saal war es sehr still und auch ich schwieg jetzt. Ich war ganz sicher der pessimistischste Unternehmensberater, dem die hier Anwesenden jemals hatten zuhören müssen. Ich hatte keinen Applaus erwartet, aber die Stille war nicht weniger wert.

      Ein großer schlanker Mann im dunklen Anzug mit großer Brille und längerem grauen Haar löste sie schließlich auf. Er war vielleicht zehn Jahre älter als ich und saß in einer der hinteren Reihen. Er wartete, bis man ihm Beachtung schenkte und nahm das Mikrofon, das ihm ein Assistent reichte. Die Art, wie er dann sprach, hatte etwas Therapeutisches. Er schien öfter zu Menschen zu sprechen. »Vielen Dank für deine Ausführungen, ich bin tief berührt davon und ich möchte dir antworten, wenn du gestattest.« Ich machte eine einladende Handbewegung.

      »Du glaubst also nicht mehr an uns Menschen. Das finde ich sehr schade, aber angesichts der Situation, in der sich die Menschheit befindet, auch nicht verwunderlich. Ich kann dich also sehr gut verstehen. Viele hier im Raum kennen sicher ebenfalls dieses destruktive Denken. Ich hatte, während du sprachst, die ganze Zeit das Gefühl, dass du einen ziemlich miesen Tag hast, und das nicht nur heute. Heute ist vielleicht gar kein so mieser Tag für dich, weil du zu uns gesprochen hast, aber in letzter Zeit hattest du vielleicht ein paar miese Tage zu viel. Und deshalb möchte ich dir etwas über die Liebe sagen. Ist es nicht ein Wunder, dass es so etwas wie diese Welt und dich und uns hier überhaupt gibt? Ohne die Liebe wäre das nicht möglich. Die Liebe ist weit mehr als die Sehnsucht unserer pochenden Herzen nach Dramen und Erlösung. Die Liebe in ihrer ganzen Großartigkeit erlaubt es uns, unsere Bedürftigkeit zum Ausdruck bringen und Hilfe erbitten zu können. Und deshalb ist sie die größte systemische Fähigkeit von allen. Sie ist so beschaffen, dass andere sich von ihr angezogen fühlen. Sie überwindet damit die Grenzen des Einzelnen und verfolgt den Zweck der Verbundenheit allen Daseins in einem größeren Ganzen. Ich bin davon überzeugt, dass die Liebe auch in der Sprache der Algorithmen formuliert werden kann. Ich teile deine Befürchtungen also nicht. Die Menschheit wird sich weiter im Bedürfnis nach einem besseren, liebevolleren Miteinander vernetzen, wie es ohne die grandiosen Entwicklungen der KI gar nicht möglich wäre. Die Künstliche Intelligenz wird nicht zum Monster werden. Die Verschmelzung unseres Bewusstseins mit der künstlichen Intelligenz ist nur der nächste Schritt zu immer mehr Erkenntnis. Also, mein Freund, ich danke dir für deine Offenheit, glaube aber nicht, dass wir das Ende der Welt erleben, sondern im Gegenteil ein wahres Wunder an neuen Lösungen.«

      Der Mann bekam viel Applaus und die Kamera schwenkte zu ihm. Ich fragte mich, ob ich ihn kannte, ob er eine öffentliche Persönlichkeit war, doch ich kannte ihn nicht. Seine Thesen kamen mir vor wie ein Wahlprogramm. Er verstand mich so wenig wie wohl die meisten anderen hier auch. Die Liebe als Programm zur Rettung der Menschheit funktionalisieren zu wollen, war einfach schäbig.

      Der Moderator übernahm. Er stand plötzlich neben mir. »Lieber Carl, wir danken dir für deinen Beitrag, komm gut nach Hause und schlaf dich aus. Wir haben alle mal einen miesen Tag. Ich hoffe, du kommst schnell wieder besser drauf.« Positive Musik wurde eingespielt und zehn Minuten Pause angesagt.

      Das war ein glatter Rausschmiss. Ich wollte hier aber auch nicht länger bleiben. Ich packte meine Sachen und machte mich auf den Heimweg. Aus dem Zug versuchte ich, im Berliner Süden einige Dinge von früher wiederzuerkennen, den Gasometer in Schöneberg, das Hochhaus in Steglitz. Ich war nie wieder in Berlin gewesen seit damals, auch nicht mit Alice, obwohl sie mich einige Male dazu ermuntern wollte.

      Ich stellte den Sitz zurück, setzte mir meinen Sennheiser-Kopfhörer auf und suchte nach was Passendem.

      Schließlich landete ich bei The Pineapple Thief, einer britischen Band, die nur selten tourte und sich viel lieber in fensterlose Aufnahmestudios verkroch, um depressive Stücke zu komponieren:

       We are in EXILE. You know.

       We were wrecking our lives, you know.

       We were hostile.

       And we fall.

       To the death.

       Oooh don't be afraid to miss me.

      Ich stellte es auf Dauerschleife, gab mich hin und schlief darüber ein. Als ich in München ausstieg, fühlte ich mich eigenartig anonym und erleichtert.

      Alice

      huschte nackt ins Bad und setzte sich aufs Klo. Ich sah das durch die nasse Glasscheibe der Dusche. Ich drehte das Wasser ab und hörte sie pinkeln. Als ich an ihr vorbei zu dem Handtuch gleich neben der Tür tänzelte, spürte ich ihre Hand flüchtig über meinen nassen Hintern streichen.

      Beim Abtrocknen kam mir Peter Gabriels My heart is going boom, boom, boom… in den Sinn und das Stück klang in mir so deutlich, als käme es aus einer Box. Aber wir hatten keine im Bad, denn für Alice war

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