LANDEBAHN. Stefan Gross

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LANDEBAHN - Stefan Gross

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Dabei schloss sie nie die Tür ab. Der Schlüssel war auch gar nicht mehr da, er musste irgendwo im Haus in einer Schublade liegen, vermutlich in der Küche. Wenn sie drinnen war, oder ich sie drinnen vermutete, klopfte ich stets an und trat vorsichtig ein, vergewisserte mich, dass ich sie nicht störte. Das Bad war ihr Hoheitsgebiet und hier hatte sie auch gerne Sex mit mir. Alice betätigte die Spülung und das gurgelnde Wasser zog die Melodie aus meinem Kopf mit in die Tiefe. Sie stand auf und kam mit kleinen Schritten zu mir. Tapp, Tapp, Tapp. Sie roch nach Sex, nach vor dem Sex. Ich betrachtete ihre Lust und mein Herz ging wieder Bum, Bum, Bum. Ich bot ihr den ausgestreckten Arm, sie berührte meine Fingerkuppen mit den ihren, alle fünf, ohne auch nach nur einer suchen zu müssen und ließ sich, ganz Ballerina, heranziehen und in Position drehen, doch ich drückte meinen Steifen nur seitlich an ihren Po. Alice wich nicht aus, unternahm aber auch nichts, um ihn in sich aufzunehmen, worauf ich ein wenig gehofft hatte. Aber wir hatten uns an diesem frühen Freitagnachmittag, dem letzten Tag, an dem ich vor der Abreise nach Indien zuhause war, ein längeres Liebesspiel vorgenommen. Schließlich wollten wir ein Kind zeugen und Alice war der Ansicht, das Bad und eine schnelle Nummer seien dafür weder der richtige Ort noch die angemessene Art, sich für so ein Vorhaben zu lieben. Sie wollte dafür mit mir ins Bett.

      Das Thema Kind beherrschte seit einigen Wochen unseren Sex. Zwar verhüteten wir weiterhin mittels Achtsamkeit und waren gut trainiert darin, unser Liebesspiel vom Zeugungsakt zu trennen. Aber das Vorhaben, ein Kind zu zeugen, wurde immer präsenter. Wir sprachen darüber, vor dem Sex, währenddessen und hinterher. Ich beteuerte stets meinen Kinderwunsch, auch wenn ich ihn nicht vollzog. Alice hatte Geduld mit mir, sprach noch nicht aus, dass sie an meinem Bekenntnis zweifelte, aber sie und ihre Bedürfnisse hatten sich in letzter Zeit geändert. Für eine schnelle, raffinierte Nummer war sie nicht mehr so oft zu haben. Sie nahm die Sache irgendwie ernster.

      Und heute galt unser Versprechen. Es wäre wohl nicht dazu gekommen, wenn ich nicht schon morgen nach Indien fliegen müsste. Der Gedanke, vor meiner Abreise ein Kind zu zeugen, war uns gestern Abend gekommen. Ohne die bevorstehende Trennung hätten wir unsere Dauerdiskussion übers Familiengründen, über das Glück des Machens, die Überwindung von Ängsten, die Verfolgung von Vorhaben auch dieser Art wohl wie üblich kontroverser und aufschiebender geführt, unsere beruflichen Zwänge mit Wein besänftigt und uns auf die Seite der Souveränen geträumt, die es wagten, Kinder in diese hoffnungslose Welt zu setzen und zu behaupten, sie sei ein guter Ort, jedenfalls dort, wo ihn die Guten bevölkerten. Mein tiefer Zweifel am guten Verlauf der nahen Zukunft war Alice natürlich bekannt. Aber sie teilte ihn nicht, nicht auf meine verzweifelte Art. Sie meinte, dass die Welt immer schon ein unsicherer Ort gewesen sei. Als Biologin wusste sie natürlich noch viel besser Bescheid über den Zustand der Erde und ihr derzeitiges Sterben, hielt mir aber entgegen, dass man nie wissen könne, wie es dann wirklich komme. Sie malte mir ein Weltbild in den Himmel, in dem es nur so wimmelte von ausgestorbener Flora und Fauna und völlig neuen Kreaturen, die aus untergangenen Welten wieder neu hervorgingen, von sinkenden Meeren und mächtigen Gletschern, tropischen Warmzeiten und Kleinstlebewesen, die angeblich kosmische Musik von sich gaben, wenn man ihre Schwingungen in hörbare Frequenzen modulierte. Alice war keineswegs unerschütterlich. Das Artensterben ließ sie oft stundenlang heulen, der Stau rund um München machte sie oft fix und fertig, aber sie hatte eine bessere Gravitation als ich. Ihre intimste, innigste Motivation, mit der sie ihren Lebensentwurf wagte, drehte sich um die Freude am Wagnis selbst, es war gewissermaßen eine Freude an der Pirouette. »Schlittschuhlaufen ist schwierig, deswegen macht es ja so viel Spaß, aber Pirouetten drehen ist noch viel schwieriger und deshalb noch viel geiler. Wenn du es nie probierst, nun ja, wie willst du dann wissen, wie geil es ist.« Wir waren uns tatsächlich zuerst beim Schlittschuhlaufen begegnet, an einem Novembertag vorletztes Jahr, als ich, wie sie später behauptete, als Geisterfahrer unterwegs gewesen sei und direkt in ihren Armen landete, am Eingang zur Bahn, wo sie rein und ich raus wollte. Sie war in Begleitung eines attraktiven Mannes gewesen, bei dem es sich, wie sich später herausstellte, um ihren Bruder Ferdi handelte, und wohl deshalb führte das zu keiner weiteren Annäherung, trotz eines ersten deutlichen Aufflackerns bei mir, aber nicht bei ihr, wie sie immer noch behauptete, was ich ihr nie abkaufen werde.

      Kurz vor Weihnachten waren wir uns dann in München auf dem Weihnachtsmarkt wieder über den Weg gelaufen. Dieses Mal war ich in Begleitung meiner damaligen Freundin Susanne. Das hatte nichts zu sagen, unsere Beziehung war nur noch lau und sie war eine der vielen Freundinnen, für die ich nichts weiter als ein natürliches Bedürfnis empfand. Alice war die erste Frau, in die ich mich als erwachsener Mann wirklich verliebte. Ein Gefühl, das ich glaubte, verloren zu haben, damals in Berlin, als ich sechzehn war und die Geschichte mit Annie und Sabine passiert war.

      Zu unserem dritten Zusammentreffen, das Alice als ihre Stunde Null ansah, kam es dann in der Brauerei ihres Bruders Ferdi. Die besondere Qualität seines Bieres und der Charme seiner Schankwirtschaft hatten sich rumgesprochen. Auch Richard hatte davon gehört und mich gebeten, mir das anzuschauen, als Location für die Weihnachtsfeier, die er dort nachholen wollte. Weil sich die vielen neuen Kollegen vor Weihnachten auf keinen Termin einigen konnten, fand man seinen Vorschlag genial, das Fest Mitte Januar nachzuholen und anstelle eines sentimentalen Jahresrückblicks ein bisschen angeheitert Visionsarbeit für das bevorstehende Jahr zu machen. Da ihr Bruder beim Skifahren war, half Alice an dem Tag aus. Viel war in dieser Woche vor dem Dreikönigstag eh nicht los. Wer normalerweise zum Biertrinken und Spezialitäten essen hierherkam, war jetzt auf den Skiern oder am Strand. Der Hammerhof lag in der Nähe von Mainburg. Als ich knirschend mit meinem Audi A3 in die gekieste Auffahrt rollte, stand Alice mit einem Eimer Wasser in der Hand im Hof. Sie trug grobe weite Jeans, von der Sorte, wie sie Leute zum Arbeiten auf dem Land tragen, einen üppigen Pullover aus übermütig bunter Wolle und grüne Gummistiefel. Natürlich erkannten wir uns sofort wieder. Was für eine Überraschung. Na sowas. Toller Zufall. Es funkte mächtig zwischen uns. Das Schicksal schien mit Macht zu sprechen. Unsere Hände berührten sich gleich mit magnetischer Präzision. Wir nahmen uns sogar kurz in den Arm wie alte Schulfreunde, die sich voneinander hatten abschreiben lassen. Alice zeigte mir die Gaststube, die Brauerei und dann den ganzen Hof und stellte mich ihren Eltern vor, die mit dem Füttern des Viehs beschäftigt waren. Wache, kraftvolle Leute um die Sechzig, die nicht viele Worte über sich machten. Ab da waren wir praktisch zusammen und hatten noch am gleichen Abend Sex, den erhabenen Sex zweier Menschen, die Ehrfurcht voreinander haben. Auch sie hatte ein paar Tage frei und kam mit mir nach München. Wir hatten den Sex, der uns davon überzeugte, dass wir mit etwas Glück und Übung unser ganzes Leben miteinander verbringen konnten, ohne in der Einöde einer normalen Ehe zu sterben. Wir sprachen praktisch sofort übers Heiraten. Am Frauentag, dem 8. März (Alice mochte diesen Tag lieber als Valentinstag), schenkte ich ihr einen zierlichen goldenen Ring mit einem kleinen Smaragd, ein Geschenk an ihre Augen. Sie liebte ihn vom ersten Moment an, legte ihn gar nicht mehr aus der Hand, probierte ihn auf verschiedenen Fingern und steckte ihn schließlich auf ihren linken Zeigefinger. Keinesfalls wollte sie ihn ändern lassen, weil er am Ringfinger zu locker saß. Es war ja nicht so einfach mit solchen Geschenken. Natürlich konnte man immer ändern lassen oder umtauschen, aber so etwas war doch eine ziemliche Enttäuschung für alle. Ich hatte sie mit diesem Schmuckstück zum Leuchten gebracht und war trotzdem im Verlauf des Abends sehr aufgeregt. Mein nervöses Gerede passte überhaupt nicht zu der bedeutungsvollen Stimmung, die sich allein schon aus diesem Geschenk ergab und zur festlichen Atmosphäre des Dinners in unserem Lieblingsrestaurant in Giesing.

      Die Situation verlangte also nach einem echten, förmlichen Antrag: »Ich liebe dich. Ich will mein Leben mit dir verbringen. Willst du meine Frau sein?« Und sie hatte »Ja« gesagt, eine ganze Reihe von Jas und zweifellos genug für eine Ehe. Der Abend verlief sehr zärtlich und berührend. Jeder Bissen des Hirschragouts und jeder Schluck des Burgunders waren ein Sakrament. Ab da schliefen wir bis zu unserer Eheschließung nicht mehr miteinander. Alice hatte mich von einer rund dreimonatigen Enthaltsamkeit, einem ‚Sex-Fasten‘ bis zu unserer Hochzeitsnacht, überzeugt. Die Abmachung war halb Spaß, aber auch halb Ernst, eine Art Wette, auf die ich mich beim Trinken der zweiten Flasche Burgunder bereitwillig einließ. Und tatsächlich rauschten die drei Monate wie ein beglückendes Projekt voller Durchschlagskraft vorbei. Meine Lust auf Sex verschwand, als müsse sie sich vom Stress jahrelanger

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