LANDEBAHN. Stefan Gross
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Die Amsel schwieg jetzt bedeutungsvoll. Ich fühlte mich von ihr ermahnt und ging duschen. Danach ging es mir besser.
Ich hatte jetzt gut vierundzwanzig Stunden Zeit bis zu meinem Flug. Meinen Koffer hatte ich am Morgen schon gepackt und das bestellte Bargeld bei der Bank abgeholt. Zweitausend US-Dollar, tausendfünfhundert Euro und hundertfünfzigtausend Rupien. Das waren rund fünftausend Euro in bar für drei Wochen. Wohl genug, falls es irgendwelche Probleme mit den Kreditkarten geben sollte.
Es war noch immer heiß, über dreißig Grad. Ich ging zur Tür und hatte Mühe, meine leichten Wanderschuhe zu finden. Ich hatte sie ewig nicht mehr angehabt und fand sie schließlich unter unendlich vielen anderen Schuhen.
Ich nahm meinen Schlüssel vom Brett, ging nach draußen, zog die Tür hinter mir zu, vergaß aber abzuschließen. Ich ging zu meinem roten BMW 3er-Cabrio an der Straße und entriegelte das Schloss. Das Dach war noch runtergefahren, aber ich schloss den Wagen trotzdem auch dann ab, damit ich nicht nachlässig wurde und irgendwann den Schlüssel stecken ließ. Alices jüngster Bruder Felix hatte mir den Wagen besorgt. Felix war Mechatroniker und erst Anfang zwanzig. Aber er hatte schon eine gut laufende eigene Werkstatt, die er sich auf dem Familienhof eingerichtet hatte. Ein paar mietfreie Schuppen waren wirklich ein großartiges Startkapital. Er machte gute Geschäfte mit Oldtimern, die er für seine zahlungsfreudige Kundschaft herausputzte und auf Wunsch frisierte. Das sprach sich rum. Felix hatte das Cabrio einem verarmten Fotografen abgekauft. Ein Schmuckstück, Baujahr 1989 mit beigen Ledersitzen einem CD-Player mit robusten Knöpfen und kernig klingenden Boxen. Schließlich war das ein Auto aus den Achtzigern.
Ich hatte ihm sechstausend Euro dafür gezahlt, kurz vor unserer Hochzeit. Mehr durfte ich ihm nicht geben. Der gute Preis war sein Hochzeitsgeschenk an uns und er hatte uns damit chauffiert. Er liebte seine große Schwester und ich hatte immer das Gefühl, wenn ich den Wagen auch nur anschaute, von ihm den Auftrag erhalten zu haben, seine große Schwester zu beschützen. Ich stieg ein und fuhr los.
Wald
Hinter Deggendorf nahm ich die Landstraßen bis zum Bayerischen Wald. Ich kannte mich noch sehr gut aus, obwohl ich lange nicht mehr hier gewesen war. Als die im Abendlicht orange leuchtende Felswand hinter der Kurve auftauchte, bog ich in den nächstbesten Feldweg ein, um mir das Schauspiel anzusehen.
Als ich vor fast zwanzig Jahren von Berlin nach München gezogen war, hatte ich den Sommer hier in der Gegend verbracht und mit meinem unverwüstlichen Peugeot 205 so ziemlich jede existierende Straße ausgekundschaftet, was nicht besonders schwer war. Abseits des Hypes um Bayern, der sich mit weltläufig daher kommender Folklore damals überall aufdrängte, entdeckte ich hier im Osten eine Welt aus Wäldern, Bergen, Tälern, Feldern, Dörfern, Städtchen, Hügeln, Höfen, Kruzifixen, Kapellen, Festen, Kirchen, Himmeln, Gewittern, Nebeln, Regen, Stille, Weite, Licht und Schatten, Stimmen von Tieren, Landmaschinen und nur wenigen Flugzeugen, die mich sofort in den Bann zog.
Die Wucht dieser Natur vitalisierte meine von den Berliner Stadtlandschaften betäubten Sinne so gründlich, dass ich süchtig wurde nach Sauerstoff und Grün. Ich wanderte durch die endlosen Wälder, begegnete so wenigen Menschen wie nie zuvor in meinem Leben und fühlte mich leicht und frei. Ich trank ohne zu zögern das Wasser aus den kleinen Bächen und Quellen, die ich aufspürte und verlor vorübergehend jeden Hunger. Wenn das Wetter es zuließ, schlief ich unter freiem Himmel in meiner Hängematte. Ich rauchte hin und wieder ein bisschen Gras aus meinen Berliner Beständen und überließ mich meiner gesteigerten Wahrnehmung. Anfangs schreckte ich noch hoch, wenn Holz knackte und Tiere raschelten, doch das legte sich bald, obwohl meine Sinne immer schärfer und klarer wurden. Und bald kam es mir vor, als sei dieses Leben mein eigentliches, mein für mich vorgesehenes. Ich war in jenem Sommer high, mit und ohne Gras. Ich vertrug es ja ohnehin nur in sehr kleinen Dosen, ein paar Krümel reichten mir meistens. Meine zehn Kilo Übergewicht schmolzen dahin wie hartnäckiger Schnee in der Frühlingssonne. Dieser Sommer war die glücklichste Zeit meines Lebens gewesen.
Ich kramte mein Fernglas, ein kleines leichtes Swarovski, vom Rücksitz und visierte den Schiefen Zahn an. Ich nannte ihn so, offiziell hatte er gar keinen Namen. Dazu war er wohl zu klein und unbedeutend, obwohl seine Erscheinung sehr imposant war. Er sah noch so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Manchmal kam es zu größeren Abbrüchen bei solch exponierten Felsen, manche brachen über die Jahre einfach zusammen, aber der Schiefe Zahn stand unversehrt da, wie damals. Von hier sah er aus, als würde er freistehen, aber er war mit einem sehr soliden Nacken mit dem Massiv fest verbunden. Er war an die dreißig Meter hoch und oben zu einem Plateau abgeflacht, auf dem ein paar unverwüstliche Bäume es geschafft hatten, Wurzeln zu schlagen. Sie müssten inzwischen zu zähen, trotzigen Pflanzen herangewachsen sein. Ich konnte es kaum erwarten, dorthin zurück zu kehren.
Ich spürte mein Fieber. Es war jetzt am Glimmen, eigentlich schon am Brennen und das kam auch von dem Streit mit Alice, der mir in den Knochen steckte. Ich wollte dennoch die Nacht dort oben verbringen. Die Nächte hier draußen hatten mich auch damals geheilt. Ich hatte auch damals Fieber gehabt, mitten im Sommer, so wie jetzt, und es war über Nacht verschwunden. Alles würde sich fügen, alles würde sich gut entwickeln, alles war gut. Alice war bei ihrer Familie, ich würde morgen im Flieger sitzen und mich in der Business-Class bedienen lassen. Ich trank eine der drei Wasserflaschen leer, die ich mitgenommen hatte und nahm zwei Ibuprofen. Doch plötzlich zweifelte ich, ob ich wirklich zum Schiefen Zahn fahren oder nicht doch besser umkehren sollte. Und ich hätte jetzt gerne ein bisschen Gras geraucht. Es war ewig her, dass ich was geraucht hatte.
Berlin und Mirko kamen mir in den Sinn. Als ich mit dreizehn anfing mitzukiffen, haute es mich jedes Mal von den Füßen. »Hey Alter, das ist wohl nichts für dich. Probier besser was anderes«, sagte Mirko, mein Kumpel mit dem Händchen fürs Dealen, als sie mir die Beine hatten hochlegen müssen, damit ich nicht ohnmächtig wurde. »Hey Alter, nimm mal was Lustiges«, sagte Mirko beim nächsten Mal. Angeblich war das Ecstasy. Das sei total smooth, hatte Mirko mit der Miene des Apothekers hinzugefügt. Aber das war alles andere als smooth, doch das Herzrasen, die Panikattacken und üblen Phantasien, die ich dann erlebte, waren reine Hysterie, der perfekte Placebo-Effekt, wie sich herausstellte. Mirko hatte sich schlapp gelacht. »Hey Alter, wie es dich schon beim Kiffen umhaut, glaubst du, ich kann mir ‘ne Leiche leisten? Das war Zucker, Mann. Hast du’s gut, Mann. Gehst schon ab auf Zucker! Nimm besser gar nix, Mann!«
Ich fand das gar nicht lustig und prügelte mich mit Mirko, nicht wirklich, eher so wie Wrestling. Wir spielten oft Wrestling. »Pass auf, Mirko, wenn du mein Freund sein willst«, forderte ich ihn heraus – und Mirko wollte mein Freund sein – »dann besorg mir mal gutes Gras. Ich bau mir dann lieber selbst was.«»Ist ja schon gut Mann, geht klar, Mann. Du bist mein Freund, Mann.«
Ich rauchte nun meistens alleine (mit Mirko nur aus quasi geschäftlicher Verpflichtung) und tüftelte an der richtigen Dosis. Dabei begriff ich schnell, dass ich nur ganz wenig davon brauchte. Das leichte High ließ mich Liebe für die Bedürfnisse eines Korkenziehers nach einem Korken empfinden, so sanft waren meine Trips. Sie beseelten die Dinge, zerlegten sie aber nicht in surreale Bestandteile. Im Gegenteil. Ich erwachte in dieser Zeit auf sanftem Gras. Mein Sex erwachte, alles erwachte. Mein Selbstwertgefühl, meine Intelligenz, meine Ausstrahlung. Ich entdeckte Zusammenhänge zwischen den Dingen und meine Verbindung mit diesen Dingen, wie ich sie wahrnahm, mit und ohne Dope. Mit war mir meistens lieber, wenn auch nicht immer. Manchmal war es sehr cool, ein paar Tage lang völlig clean zu sein, aber meistens war es andersrum besser. Es war eine Kunst, die andere Frequenz, auf die es mich brachte, mit dem richtigen Material und der richtigen Dosis zu erreichen. Ich fing an, mich wissenschaftlich mit Cannabis zu beschäftigen. Die beste Art, damit zu experimentieren, war, es selbst anzubauen, nicht zuletzt auch, um von Mirko nicht länger abhängig zu sein. Er war mein Freund und deshalb war es schlecht, wenn er mein Dealer war. Aber das Beste war, dass Sabine