"ERKENNE DICH SELBST" - HEGELS THEORIE DER PERSÖNLICHKEIT. Peter Schöber

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des Wortlauts und durchdenkende Anstrengung eines zweifelsfrei vorhandenen Sinnes sich zu versichern. Sondern in vielen Partien ist der Sinn selbst ungewiß, und keine hermeneutische Kunst hat ihn bis heute fraglos etabliert; ohnehin gibt es keine Hegel Philologie, keine zureichende Textkritik.“ Ders., Skoteinos oder Wie zu lesen sei, in: Ders., Drei Studien zu Hegel, Frankfurt a. M. 1963, S. 107.

      7Dazu auch die Erläuterung zu einigen Grundbegriffen der Philosophie Hegels im Anhang.

      8Als neuere Beiträge seien Hermann Drüe: Die Philosophie des Geistes, in: Ders. u. a., Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830), Frankfurt a. M. 2000, S. 206 ff. und Alan M. Olson, HEGEL and the Spirit, Princeton 1992 genannt.

      9Charles Taylor bringt das Problem, vor dem der Verfasser steht, auf den Punkt: „Das Unternehmen kann leicht auf zwei verschiedene Weisen schiefgehen: Entweder konzipiert man die Darstellung so, dass sie am Ende einen außerordentlich klaren, vernünftigen und verständigen Eindruck hinterlässt - aber um den Preis einer Entstellung oder „Zurechtrückung“ Hegels; oder man beschließt, sich getreu an den Text zu halten - aber dabei unverständlich zu bleiben, so dass sich der Leser schließlich mit Erleichterung an das Hegel-Original wenden wird, um den Kommentar zu verstehen“. Ders., Hegel, Vorwort, Frankfurt a. M. 1978 (übersetzt v. Gerhard Fehn).

      10Es handelt sich um die Erste Abteilung der „Philosophie des Geistes“, den „subjektiven Geist“, aus der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830)“, Dritter Teil, Die Philosophie des Geistes, mit den mündlichen Zusätzen, G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd. 10, Frankfurt a. M. 1970.

      11„Meine Hauptthese ist, daß Hegel sich dabei als ein Philosoph erweist, der klar die Errungenschaften und Grenzen des modernen Zeitalters sieht.“ S. Avineri, Hegels Theorie des modernen Staates, a. a. O., S. 10. Und an anderer Stelle steht: „In diesem Sinne (Avineri verweist zuvor auf Kant, Montesquieu, Herder und Rousseau) kann Hegel als der erste große politische Philosoph der modernen Gesellschaft angesehen werden.“ Ebenda.

      12„In diese einsame, theologische Arbeit drangen neue Ideen. Sie stammten nicht aus den Hörsälen der Universität: die großen Vorgänge draußen in der Welt kamen unaufhaltsam auch in die klösterliche Stille des Stifts, und sie weckten in den begabtesten Schülern eine Bewegung, die sie innig verband und einen gemeinsamen Enthusiasmus für den heranbrechenden neuen Tag des Geistes hervorrief.“ Wilhelm Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, 5. Aufl., Stuttgart 1974, S. 11., in: Ders., Gesammelte Schriften, IV. Bd.

      13Ders., Phänomenologie des Geistes, in: Hegel Werke, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1970, S. 35.

      14E. Metzke, Hegels Vorreden, Phänomenologie, a. a. O., S. 167.

      2. Hegels Einleitung in die Philosophie des Geistes

       Selbsterkenntnis

      Den Geist zu erkennen, das ist, Hegel zufolge, die konkreteste und darum die höchste und schwerste Aufgabe.15 “Erkenne dich selbst“, dieses absolute Gebot fordere weder an sich noch dort, wo es ausgesprochen wurde, nur sich selbst zu erkennen, bezogen auf die besonderen Fähigkeiten, den Charakter, die Neigungen und die Schwächen, sondern das zu erkennen, was am Menschen wahrhaft, was das Wahrhafte an und für sich ist, - das Wesen als Geist. Ebenso wenig habe die Philosophie des Geistes die Bedeutung der Menschenkenntnis, die bemüht sei, die Besonderheiten, Leidenschaften, Schwächen, des Einzelnen zu erforschen. Dies sei eine Kenntnis, die nur Sinn unter der Voraussetzung habe, dass das Allgemeine des Menschen und damit des Geistes erkannt ist; soweit sie sich mit den zufälligen, unbedeutenden, unwahren Existenzen im geistigen Leben beschäftigt, dringe sie nicht zum Substanziellen, dem Geist selbst, vor.

       Die Idee des Geistes

      Die Schwierigkeit, den Geist zu erkennen, besteht, wie Hegel in seinem Zusatz erläutert16, darin, dass wir es nicht mehr mit der vergleichsweise abstrakten und einfachen logischen Idee17, sondern mit der konkretesten und am weitesten entwickelten Form der Idee zu tun haben, zu der die Idee in der Verwirklichung ihrer selbst gelangt.18

      Auch der endliche oder der subjektive Geist, und nicht nur der absolute, müsse als eine Verwirklichung der Idee gefasst werden. Die Betrachtung des Geistes sei in Wahrheit nur dann philosophisch, wenn sie den Begriff des Geistes19 in seiner lebendigen Entwicklung und Verwirklichung erkennt, was eben heiße, wenn sie den Geist als ein Abbild der ewigen Idee begreift. Seinen Begriff zu erkennen gehöre zur Natur des Geistes. Die vom delphischen Apollo an die Griechen ergangene Aufforderung zur Selbsterkenntnis habe daher nicht den Sinn eines von einer fremden Macht äußerlich an den menschlichen Geist gerichteten Gebots, vielmehr sei der zur Selbsterkenntnis treibende Gott nichts anderes als das eigene absolute Gesetz des Geistes. Alles Tun des Geistes sei deshalb nur ein Erfassen seiner selbst, und der Zweck aller wahrhaften Wissenschaft sei nur der, dass der Geist in allem, was im Himmel und auf Erden ist, sich selbst erkennt. Ein durchaus Anderes sei für den Geist gar nicht vorhanden. Selbst der Orientale würde sich nicht ganz in dem Gegenstand seiner Anbetung verlieren, es seien aber die Griechen gewesen, die zuerst das, was sie sich als das Göttliche gegenüberstellten, ausdrücklich als Geist gefasst hätten. Doch seien sie weder in der Philosophie noch in der Religion zur Erkenntnis der absoluten Unendlichkeit des Geistes gelangt. Somit sei das Verhältnis des menschlichen Geistes zum Göttlichen bei den Griechen noch kein absolut freies. Erst das Christentum habe durch die Lehre von der Menschwerdung Gottes und von der Gegenwart des Heiligen Geistes in der gläubigen Gemeinde dem menschlichen Bewusstsein eine vollkommen freie Beziehung zum Unendlichen gegeben und dadurch die begreifende Erkenntnis des Geistes in der absoluten Unendlichkeit möglich gemacht.20

      Nur eine solche Erkenntnis verdiene fortan den Namen einer philosophischen Betrachtung. Die Selbsterkenntnis im Sinne einer Erforschung der eigenen Schwächen und Fehler des Individuums sei nur für den Einzelnen, aber nicht für die Philosophie, von Interesse und wichtig. Selbst für den Einzelnen sei sie von einem umso geringeren Wert, je weniger sie sich auf die Erkenntnis der allgemeinen intellektuellen und moralischen Natur des Menschen einlassen würde und je mehr sie von den Pflichten, dem wahrhaften Inhalt des Willens, absehe und das Individuum sich selbstgefällig in seinen ihm teuren Absonderlichkeiten ergehe. Dasselbe gelte von der so genannten Menschenkenntnis, die ebenso auf die Eigentümlichkeiten einzelner Geister gerichtet sei. Für das Leben sei diese Menschenkenntnis allerdings nützlich und nötig, besonders in schlechten politischen Zuständen, wo nicht das Recht und die Sittlichkeit, sondern Eigensinn, Laune und Willkür der Individuen herrschten. Für die Philosophie aber bleibe diese Menschenkenntnis in eben dem Maße gleichgültig, wie dieselbe sich nicht von der Betrachtung zufälliger Einzelheiten zur Auffassung großer menschlicher Charaktere zu erheben vermag, durch die die wahrhafte Natur des Menschen in nicht verkümmerter Reinheit zur Anschauung gebracht werde. Sogar nachteilig für die Wissenschaft werde jene Menschenkenntnis aber dann, wenn sie - wie in der so genannten pragmatischen Behandlung der Geschichte geschehen - den substanziellen Charakter weltgeschichtlicher Individuen verkennen und nicht einsehen würde, dass Großes nur durch große Charaktere vollbracht werden kann.

       Empirische und rationale Psychologie

      Die empirische Psychologie habe, wie Hegel nach diesem Zusatz fortfährt, den konkreten Geist zu ihrem Gegenstand, und seitdem mit dem Wiederaufleben der Wissenschaften Beobachtung und Erfahrung zur Grundlage der Erkenntnis des Konkreten gemacht worden seien, sei teils jenes Metaphysische (die “abstrakte Verstandesmetaphysik“, ders.21) aus dieser empirischen Wissenschaft ausgegrenzt worden, teils habe sich die empirische Wissenschaft an die “gewöhnliche Verstandesmetaphysik“ 22 (ders.) von Kräften, verschiedenen Tätigkeiten usw. gehalten und die

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