"ERKENNE DICH SELBST" - HEGELS THEORIE DER PERSÖNLICHKEIT. Peter Schöber

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setze der Begriff selber seiner Entwicklung dadurch eine Grenze, dass er sich eine Wirklichkeit gibt, die ihm völlig entspricht. 41 Schon am Lebendigen sei diese Selbstbegrenzung des Begriffs sichtbar. So schließe der Keim der Pflanze - dieser sinnlich vorhandene Begriff - seine Entfaltung mit einer ihm entsprechenden Wirklichkeit, also mit der Hervorbringung des (neuen) Samens ab. Das gleiche gelte vom Geist; auch seine Entwicklung habe ihr Ziel erreicht, wenn sein Begriff sich vollkommen verwirklicht hat, oder, was dasselbe sei, wenn der Geist zum vollkommenen Bewusstseins seines Begriffs gekommen ist.42 Dieser Vorgang, in dem sich der Anfang mit dem Ende zu einem Eins zusammenziehe, diese Verwirklichung des Begriffs, in der dieser zu sich selber komme, erscheine aber im Geiste in einer Gestalt, die noch vollendeter sei als beim bloß Lebendigen. Denn während beim Lebendigen (z. B. einer Pflanze, d. Verf.) der hervorgebrachte Samen nicht derselbe sei mit dem, von dem er hervorgebracht worden ist, sei in dem sich selbst erkennenden Geist das, was er hervorbringt, ein und dasselbe mit dem Hervorbringenden.43

      Nur wenn man den Geist in dem Prozess der Selbstverwirklichung seines Begriffs betrachtet, würde man ihn in seiner Wahrheit erkennen; denn Wahrheit heiße eben Übereinstimmung des Begriffs mit seiner Wirklichkeit. In seiner Unmittelbarkeit (z. B. bei einem Kleinkind, d. Verf.) sei der Geist noch nicht wahr, habe seinen Begriff noch nicht gegenständlich gemacht, habe das in ihm auf unmittelbare Weise Vorhandene noch nicht zu einem von ihm Gesetzten umgestaltet, seine Wirklichkeit noch nicht zu einer seinem Begriff gemäßen umgebildet. Die ganze Entwicklung des Geistes bestünde in nichts anderem als darin, sich zu seiner Wahrheit zu erheben, und die so genannten Seelenkräfte hätten keinen anderen Sinn als den, die Stufen dieser Erhebung zu sein. Dadurch, dass der Geist sich selbst unterscheidet (oder sich differenziert, d. Verf.), sich selbst umgestaltet und seine Unterschiede zur Einheit seines Begriffs zurückführt, sei er ein Wahres, ein Lebendiges, Organisches und Systematisches.44 Nur indem die Wissenschaft vom Geist diese seine Natur erkennt, sei sie ebenfalls wahr, lebendig, organisch und systematisch. Dies seien Prädikate, die weder der rationalen noch der empirischen Psychologie zuerkannt werden könnten, weil jene, also die rationale Psychologie, den Geist zu einem von seiner Verwirklichung abgeschiedenen, toten Wesen mache und diese, also die empirische Psychologie, den lebendigen Geist dadurch abtöte, dass sie ihn auseinander reißt in eine Mannigfaltigkeit selbständiger Kräfte, die nicht vom Begriff hervorgebracht und zusammengehalten werden.

       “Animalischer Magnetismus“ 45

      Hegel zufolge sei es der Gedanke des “tierischen Magnetismus“ gewesen, der dazu beigetragen habe, die unwahre, endliche, bloß verständige Auffassung des Geistes zu verdrängen. Diese Wirkung habe jener wunderbare Zustand 46 besonders auf die Betrachtung der natürlichen Seite des Geistes gehabt.47 Könnte der Verstand die sonstigen Zustände und natürlichen Bestimmungen des Geistes und seine bewussten Tätigkeiten wenigstens äußerlich 48 auffassen und könnte er den in ihm selbst wie auch den äußeren Zusammenhang von Ursache und Wirkung - den so genannten natürlichen Gang der Dinge - fassen, so zeige er sich dagegen unfähig, an die Erscheinungen des tierischen Magnetismus auch nur zu glauben, weil in denselben das nach seiner Auffassung feste Gebundensein des Geistes an Ort und Zeit sowie an den Zusammenhang von Ursache und Wirkung seinen Sinn verliere. Obwohl es nun, wie Hegel fortfährt, sehr töricht wäre, in den Erscheinungen des tierischen Magnetismus eine Erhebung des Geistes sogar über seine begreifende Vernunft zu sehen und von diesem Zustande über das Ewige höhere Erkenntnisse als jene zu erwarten, die die Philosophie bietet, und obwohl der magnetische Zustand (die Hypnose, d. Verf.) vielmehr für eine Krankheit gehalten werden müsste, in der der Geistes selbst unter das gewöhnliche Bewusstsein herabsinke und er in jenem Zustand sein Denken, das sich sonst in bestimmten Unterscheidungen zu bewegen pflege, aufgebe, sich der Natur gegenüberzustellen, so sei doch nichtsdestoweniger die in den Erscheinungen jenes Magnetismus sichtbare Loslösung des Geistes von den Schranken des Raums und der Zeit sowie von allen endlichen Zusammenhängen etwas, was mit der Philosophie verwandt sei. Mit aller Brutalität einer ausgemachten Tatsache trotze jene Loslösung des Geistes nämlich dem Skeptizismus des Verstandes und mache deshalb das Fortschreiten von der gewöhnlichen Psychologie zum begreifenden Erkennen der spekulativen Philosophie notwendig, für die allein der tierische Magnetismus kein unbegreifliches Wunder sei.

       Weitere Bemerkungen zur Methode

      Betrachtet man die konkrete Natur des Geistes, so stoße man, wie Hegel nach diesem Zusatz fortfährt, auf die eigentümliche Schwierigkeit, dass die besonderen Stufen und Bestimmungen in der Entwicklung seines Begriffs nicht auch als besondere Existenzen zurück- und seinen tieferen Gestaltungen gegenüber bleiben, wie dies in der äußeren Natur der Fall sei.49 Die Bestimmungen und Stufen des Geistes dagegen seien wesentlich nur als Momente, Zustände und Bestimmungen an den höheren Entwicklungsstufen. Es geschehe dadurch, dass an einer niedrigeren, abstrakteren Bestimmung das Höhere sich schon empirisch vorhanden zeigt. So sei z. B. in der Empfindung alles höhere Geistige (z. B. das Recht) als Inhalt oder Bestimmtheit vorhanden. Oberflächlich gesehen, könne daher in der Empfindung, die nur eine abstrakte Form sei, jener Inhalt, so das Religiöse, Sittliche usw., wesentlich seine Stelle und sogar seine Wurzel haben, so dass es notwendig erscheine, die Bestimmungen des Inhalts als besondere Arten der Empfindung zu betrachten.50 Aber zugleich werde es nötig, indem niedrigere Stufen betrachtet werden, um sie in ihrer empirischen Existenz vorzuführen, an höhere zu erinnern, an denen sie nur als Formen vorhanden sind. Auf diese Weise würde ein Inhalt vorweggenommen werden, der sich erst später in der Entwicklung zeigt, z. B. im Fall des natürlichen Erwachens: das Bewusstsein, oder bei der Verrücktheit: der Verstand. Hegel verweist hier also auf einen Aspekt seiner Methode, nach der er den subjektiven Geist eines Individuums begrifflich zu entfalten versucht.

      15Ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 3. Teil., a. a. O., S. 9 f. Dazu auch: E. Metzke, demzufolge die Enzyklopädie Hegels der erste wirkliche, voll durchgeführte Abschluss von Hegels philosophischem Gesamtsystem sei. Ders., Hegels Vorreden, a. a. O., S. 233.

      16 Ebenda. Zur Frage der erläuternden Zusätze siehe H. Drüe, Philosophie des Geistes (§§ 377-577), in: Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830), H. Drüe u. a., a. a. O., S. 207.

      17 Diese entfaltet er im 1. Teil seiner „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“, in: Hegel, Werke, Bd. 8, Frankfurt a. M. 1970. Die Entfaltung der logischen Idee setzt er mit der Entfaltung der Idee der Natur und schließlich der des Geistes fort. Die logische Idee ist ein System von allgemeinen Kategorien und logischen Formen, die die Geschichte der Menschheit hervorgebracht, von der Philosophie gedacht und überliefert wurden und die Hegel aufnimmt und in einem System miteinander kombiniert, und zwar auf dem Weg des reinen „dialektischen“ Denkens. Die Kategorien haben ihr Dasein, teils in der natürlichen, teils in der wissenschaftlichen oder teils in der philosophischen Sprache. Es sind die Denkkategorien, „die das Wirkliche schlechthin konstituieren; sie sind dieses Wirkliche selbst, abstrahiert von seinem Inhalte, wie er in Natur- und Geisteswelt sich ausbreitet.“ Richard Kroner, Von Kant bis Hegel, 3. Aufl., 2. Bd., Tübingen 1977, S. 417. Neben seinem philosophischen System gibt es für Hegel nicht noch die „eigentliche Welt“, vielmehr ist es die Welt in ihrer Substanz. In der Philosophie ist es nach Hegel von jeher um nichts anderes gegangen als um die „denkende Erkenntnis der Idee“ (ders.). Alles was verdient, sich „Philosophie“ zu nennen, habe stets das Bewusstsein einer absoluten Einheit dessen zugrunde gelegen, was dem Verstand nur in seiner Trennung gelten würde. Ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1. Teil., ebenda, S. 369. Die Idee ist für Hegel nicht der Einfall eines einzelnen Philosophen, schon „gar nicht irgendeine wirklichkeitsferne Gedankenkonstruktion, sondern der „gediegene Gehalt“ der konkreten Erfahrung und Wirklichkeit, „insofern er gedacht wird“. E. Metzke, Hegels Vorreden, a. a. O., S. 239. Nach K. Marx ist für Hegel „der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet.“ Ders., Das Kapital, 1. Bd., Nachw.

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