Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse
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Was konnte er tun, um sein Schiff zu beschützen? Auf das Eis in der Buchteinfahrt besaß er keinen Einfluss. Eine kleine Landzunge ragte in den Fluss hinein. War diese doch zuvor ihre einzige Hilfe gewesen, die Bucht überhaupt zu erreichen. Jetzt staute sich genau dort das Eis in gewaltigen Blöcken, türmte sich auf, brach auseinander, schob sich aufeinander und die Landzunge trennte die Blöcke. Der größere Teil wälzte sich zurück in den Moenus. Ein Drittel der Masse aber drängte in die kleine Bucht. Wie konnte er diese Eisflut aufhalten?
Einen vorsichtigen Versuch, sich auf das Eis zu wagen, gab er schnell auf. Konnten sie die Liburne auf das Land ziehen? Würde dann aber nicht das Eis auch dorthin gedrückt, sollte es dennoch möglich sein…
Boiuvario spürte die Unruhe der herumlaufenden und fluchenden Männer. Sie lenkte ihn ab. Sein Blick schweifte über die kleine Bucht, seine Liburne am äußersten Ende, dass sich auftürmende Eis und dessen Bewegung zur Liburne hin. Dann schwenkte sein Blick zum Buchteingang. Er musterte die Breite und die Form des Eingangs und sah die Dunkelheit des Waldes, der alles Licht der Fackeln schluckte, hörte das Tosen brechenden Eises, das Zerbersten, das Knallen und Platzen und dann wusste er, wo die Lösung lag.
Ein Schrei von ihm und die Männer stürzten auf ihn zu. Schnell waren zwei Trupps gebildet, die sich mit Äxten bewaffneten und zu beiden Ufern der Buchteinfahrt bewegten. Von dort hämmerten sie gegen die Stämme der dort stehenden Bäume und fällten Baum für Baum so, dass alle Bäume, wenn sie brachen, ihre Wipfel in die Buchteinfahrt warfen. Schwitzende, schimpfende und zum Teil verzweifelt handelnde Männer mühten sich mit eisernem Willen. Weil sie die geschlagenen Bäume, mit deren letzten Teilen, noch immer verbunden mit dem Stamm beließen, türmte sich in der Einfahrt zur Bucht ein solches Gewirr von Baumwipfeln, Ästen und Zweigen auf, die zum Bollwerk für das Eis wurden. Der Strom des Eises, der einen Teil in die Bucht schieben wollte, verlangsamte sich, hielt gegen Morgen dann gänzlich an und kehrte sich letztlich um. Kaum eine neue Scholle driftete in die Bucht, Das Gewirr der Bäume verhinderte jede weitere Gefährdung.
Müde und abgekämpft sammelten sich die Männer am Feuer. Boiuvario war zur Landzunge gelaufen und machte sich ein Bild von der abgewendeten Gefahr. Die Stämme der gefällten Bäume verhinderten eine weitere Bedrohung. Er hatte sich nicht geirrt. Sie würden, wenn diese Gefahr vorbei war, die Ausfahrt wieder freilegen müssen. Noch aber sah Boiuvario kein Ende der Eismassen.
Drei weitere Tage gingen verloren und der Trierarch sah voraus, dass ein Befahren des Moenus in der Schneeschmelze ebenso gefährlich war, wie unter driftendem Eis. Auch wenn ihn die Verzögerung ärgerte, war er nicht gewillt seine Liburne zu gefährden. Erst als das Eis aufgab, wagte er das Verlassen der Bucht und die Fortsetzung der Fahrt.
Nach dem Eis kam, so wie er es erwartet hatte, das Wasser der Schneeschmelze. Wogende, brodelnde Fluten, die alles fortrissen, was nicht fest stand oder einfach in der Nähe des Wassers wuchs. Ganze Bäume, mit dem Wurzelwerk voran, begegneten ihnen und Boiuvario stieß jedes mal einen Seufzer aus, waren sie an einer erneuten Gefahr vorbeigeschrammt.
Mitgerissenes Strauchwerk, Zweige, Äste und ganze Bäume verdichteten sich zuweilen im Wasser und trieben als geschlossenes, gefährliches Hindernis mit der Strömung. Oft gelang ein Ausweichen erst im letzten Augenblick. Nachts zu fahren, war unmöglich. Dank der Götter gab es genügend kleinere Buchten, in denen die Liburne zur Nacht sicher war. Am letzten Tag, kurz vor ihrem Ziel, brachen erste Ruder. Dann krachte es am Rumpf der Liburne und ein Baum, mit mächtigem Wurzelwerk, verklemmte sich.
Nur das schnelle Handeln seiner Segelaffen bewahrte sie vor einer Katastrophe. Mit Äxten die verhakten Wurzeln durchtrennend, löste sich der Baum und trieb fort. Die Liburne erreichte, mit letzter Anstrengung, die Mündung der Salu. Kurz dahinter lag ein See, den zu befahren Vorsicht angeraten schien. Der Fluss war weit über die Ufer getreten.
Boiuvario steuerte die Liburne selbst und orientierte sich an Buschwerk und Bäumen, um in der Fahrrinne des sonstigen Flusses verbleibend, nicht irgendwo auf Grund zu laufen.
Der Fluss hatte den Uferstreifen zwischen der Lagerbefestigung und dem ursprünglichem Verlauf der Salu zu einer einzigen Wasserfläche vereint, so dass Boiuvario seine Liburne bis zum Lagertor steuerte. Das Entladen stellte sich als schwierig heraus und so gab der Trierarch es auf. Irgendwann würde das Wasser zurückgehen und wenn sie Glück hatten, dann wieder die Laufstege vorfinden oder eben neue errichten müssen. Es war ihm gleich, wenn nur seine Liburne unbeschadet überstand…
Weil die Salu ein zu gefährliches und unberechenbares Gewässer war, wich er auf die Sania aus. Zwischen mehreren Bäumen am Ufer vertäut, hoffte er auf das Überstehen jeder Flut dieses Flusses. Durch ständige Bewachung gesichert, umging er an diesem Platz tatsächlich jedweder Bedrohung. Boiuvario sollte mit seiner Vermutung, der größeren Gefahr auf der Salu, recht behalten.
Als er nach ihrer Ankunft glaubte, alles Erforderliche getan zu haben, ging er zu Wilgard. Eine stürmische Begrüßung erwartete ihn und er konnte an seinem Weib erkennen, dass sie über seine Rückkehr hocherfreut war. Was er selbst sah, war ein enormer Bauch am Weib. Wilgard war füllig geworden. Ihr Bewunderung zollend, küsste er sie zärtlich, streichelte ihren Bauch und ließ sich zu einer Bemerkung verleiten, die ihm gespielte Wut einbrachte.
„Schatz, als ich dir einst eine Distel schenkte, wollte ich aber nicht, dass du mir in einem einzigen Falle der Geburt eine ganze Mannschaft gebärst… Ich wollte das Stück für Stück …“ Weiter kam er nicht. Die Backpfeife saß.
„Schuft, der du biii…“ Danach blieb ihr die Luft weg, weil sein Kuss ihren Mund verschloss.
Als er sie los ließ, hob sie erneut ihre Hand. Doch er fing den Arm ab.
„Lass ab vom Zorn und sage mir lieber, wie dir die Bälger zu schaffen machen… Das kann doch unmöglich nur ein Kind sein… Ich nehme sie alle, wie sie kommen, nur bitte las das Schlagen… Du könntest dich überanstrengen…“ Boiuvario lachte vor Glück.
Erst jetzt wich die Anspannung von ihm. Er war müde, aber glücklich. Ihm blieb Zeit, sich seinem Weib zu widmen. Der Fluss würde ihn vorerst zum Bleiben zwingen. Doch bevor er sich der Erholung hingab, hatte er noch eine Pflicht zu erfüllen. Also machte er sich auf den Weg.
Gaidemar hieß ihn willkommen, reichte einen Becher Met und wartete auf kommende Ereignisse. Ihr Verhältnis war nicht immer gut. Es gehörte zum Handel dazu, dass man stritt, egal ob es um die Ware oder den Preis ging. Boiuvario und Gaidemar waren stur, unnahbar, hinterlistig, übervorteilend und weil es beim Handeln so zuging, fanden sie in anderer Art auch nicht zusammen.
„Was treibt Gerwin?“ ließ sich Gaidemar, das Schweigen des Anderen unterbrechend, vernehmen.
„Zieht in Eis und Schnee durch die Alpen… Kennst du sowieso nicht!“ gab der Trierarch Auskunft.
„Ist das wirklich so schlimm? Ich hörte von den Bergen…“ Gaidemar wirkte verwirrt.
„Aber gesehen hast du sie noch nicht?“ blaffte ihn Boiuvario an.
Gaidemar schüttelte sein Haupt.
„Warst du schon einmal in der Gegend aus der ich