Unsere Zukunft nach Corona. Thies Claussen
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Viele Fragen, viele Spekulationen, viele Ängste drängen sich auf. Nicht nur Arbeitsmarktforscher wissen, dass die Arbeit ständigen Veränderungen unterliegt. Viele von uns haben selbst erlebt, wie der Einsatz von Computern in den letzten zehn und zwanzig Jahren die Arbeit zum Teil drastisch verändert hat. Mit der Digitalisierung und der sogenannten Industrie 4.0, der Vernetzung der Produktion, stehen schon die nächsten Veränderungen an.39
Geht uns die Arbeit in Zukunft aus?
Einen Blick in die Zukunft wirft das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Dessen langjähriger Direktor, Prof. Joachim Möller, ist optimistisch, dass uns die Arbeit in Zukunft nicht ausgeht.40 Zwar werden auch künftig Arbeitsplätze im Zuge der fortschreitenden Rationalisierung, vor allem in der Produktion, wegfallen. Trotzdem werden nach Auffassung Möllers durch neu entstehende Bedürfnisse eher mehr neue Arbeitsplätze geschaffen werden als durch Rationalisierung wegfallen.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht von folgenden Entwicklungen unserer Arbeitswelt aus:41
• Beschäftigte müssen künftig mehr wissen und können. Viele der heute noch üblichen Routinearbeiten werden wegfallen. Die neuen Arbeitsplätze werden anspruchsvoller und erfordern deshalb eine bessere Ausbildung. Gefragt ist künftig vor allem Problemlösungskompetenz.
• Stark verändern wird sich die Industriearbeit. Der Mensch wird dabei keineswegs vom Roboter verdrängt, sondern wird mit ihm künftig eng zusammenarbeiten. Hochintelligente Produktionsautomaten werden nicht nur schmutzige und belastende Arbeiten übernehmen, sondern ganz wesentlich dazu beitragen, Produktionsfortschritte zu ermöglichen.
• Vor allem im Versand, aber auch in anderen Dienstleistungsbranchen wird es auch künftig Chancen für weniger gut ausgebildete Menschen geben.
• Zwar hält die Bundesregierung in ihrem „Grünbuch Arbeiten 4.0“ eine Arbeitslosenquote von rund drei Prozent im Jahr 2030 für realistisch. Die IAB-Arbeitsmarktforscher sind allerdings vorsichtiger. Um dieses Fernziel erreichen zu können, seien weitere Anstrengungen in der Bildung und für den Arbeitsmarkt wichtig.
• Die Arbeit wird flexibler: Arbeit am Wochenende, am späten Abend oder in der Nacht wird künftig verbreiteter sein als heute. Die stärkere weltweite Vernetzung der Firmen und eine Produktion, die rasch auf kurzfristige Nachfrage reagieren muss, werden die Betriebe stärker unter Druck setzen.
• Die besten Jobchancen haben künftig Techniker. Qualifizierte Mitarbeiter in technischen Berufen werden nach einer IAB-Modellrechnung im Jahr 2030 bundesweit fehlen. Manche Kaufleute, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler werden dagegen im Jahr 2030 Probleme bei der Jobsuche haben.
• Fachkräfte werden auch künftig gesucht sein. Unternehmen müssen ihnen daher nicht nur attraktive Arbeitsbedingungen bieten, sondern sich auch auf individuelle Arbeitszeitwünsche einstellen. Familienzeit, Sabbatjahr, Zeit für Fortbildung werden nach Einschätzung der Arbeitsmarktforscher in Unternehmen selbstverständlich sein müssen, wenn sie im Wettbewerb um die Köpfe nicht das Nachsehen haben wollen.
Krise der Erwerbsgesellschaft?
Viele Skeptiker sprechen bei der Debatte über die Arbeit der Zukunft immer wieder vom „Ende der Arbeit“: Globalisierung, Digitalisierung, „Industrie 4.0“ und „Künstliche Intelligenz“ würden massenweise Arbeit vernichten und zu einer gewaltigen Krise der Erwerbsgesellschaft führen. 42
Die Verlagerung der Wertschöpfung aus Fabriken in den raumlosen Orbit virtueller Netzwerke und der Ersatz menschlicher Arbeit durch selbstregulierte, mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Automaten würden den Strukturwandel unserer Arbeitswelt weiter beschleunigen. Wer mithalten kann, würde profitieren, die anderen würden zurückbleiben.
Ohne Risiken ist der durch die Digitalisierung beschleunigte Strukturwandel unserer Arbeitswelt sicher nicht. Deswegen ist aktuell auch wieder eine Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen entstanden. Dafür sprechen sich Joe Kaeser von Siemens, Timotheus Höttges von der Deutschen Telekom, Götz Werner von der Drogeriekette dm oder der Tesla-Chef Elon Musk aus. Dadurch sollten künftig soziale Spannungen vermieden werden, da sonst – wie sich Joe Kaeser in der Presse geäußert hat43 – absehbar „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“.
Neue Jobs in neuen Berufen
Aber: Jeder Technologieschub erzeugte bisher - und dies ist auch künftig anzunehmen - eine gesteigerte Nachfrage und ganz neue Bedürfnisse. Diese Auffassung vertreten wie bereits erwähnt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit und eine Reihe weiterer Experten. Selbst automatisierte Fabriken erzeugen Bedarf nicht nur nach hohem Service und technischer Expertise, sondern auch nach einfacherem Service im Bereich Wartung und Betreuung. Auch der Dienstleistungssektor bietet noch zahlreiche, zum Teil neue Möglichkeiten.
Matthias Horx vom Zukunftsinstitut geht davon aus, dass freigesetzte Beschäftigte neue Jobs in Berufen finden, von denen man gestern noch nichts ahnte.44 Ein Beispiel von Horx: Künftig würden uns „Humanagenten“ dabei helfen, unser Leben zu bewältigen: In Zukunft leisten wir uns einen persönlichen Gesundheitscoach, einen Wohlstandsguide, einen Bildungsberater, einen Mobilitätsagenten oder einen Wissensnavigator.
Allein damit lassen sich die strukturellen Probleme der künftigen Arbeitswelt jedoch nicht lösen. Ganz entscheidend wird es vielmehr auf die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, auf Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen und auf die Erschließung neuer Märkte ankommen. Für die Zukunft der Arbeit ist es besonders wichtig, die Chancen neuer Wachstumsmärkte konsequent zu nutzen. Zu den Wachstumsmärkten gehören insbesondere.45
• Wachstumsmarkt Materialtechnologien: innovative Verbundwerkstoffe, Nanotechnologie, generell: ressourcenschonende Produkte,
• Wachstumsmarkt Informations- und Kommunikationstechnologien: Digitalisierung,
• Wachstumsmarkt Mobilität: Produkte und Prozesse im gesamten Spektrum von Personen- und Güterverkehr,
• Wachstumsmarkt Energie: gesamtes Spektrum der Energiegewinnung und Energieeffizienz,
• Wachstumsmarkt Bildung: z.B. lebenslanges Lernen, mediales Lernen,
• Wachstumsmarkt Freizeit und Tourismus, Erlebniskonsum, Kultur und Medien,
• Wachstumsmarkt Gesundheit und Krankheit: Wellness-/Kuranlagen, Pflege, Diagnostik.
Studie „2050: Die Zukunft der Arbeit“
Die Bertelsmann-Stiftung hat in einer im März 2016 vorgelegten Studie „2050: Die Zukunft der Arbeit“46 eine Befragung von 298 internationalen Experten und darauf aufbauend eine Auswertung von über 1000 Kommentaren vorgenommen. Dabei stehen zwei zentrale Fragen im Vordergrund: Welche Zukunft wollen wir? Und wie können wir entsprechend handeln?
Das Ziel ist nicht die sicher eintreffende Prognose, sondern es gilt, neue Optionen für das heutige Handeln zu identifizieren. Die Bertelsmann-Studie kommt zu folgenden zentralen Aussagen:47
• Wir wissen nicht genau, was kommt, aber wir können es gestalten. Die Unsicherheit über den Verlauf der zukünftigen Entwicklung ist hoch – weil er von politischen