Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan
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„Was hältst du davon?“ Ulli hatte die Ordner auf den Rücksitz des Mercedes gelegt. Nun waren sie auf dem Weg zu Schrauben Ziegler.
Paule deutete auf die Ordner hinter sich. „Zehn Jahre den Mörder der Tochter vor der Nase, und auf legalem Wege nichts erreicht. Was er da jahrelang gemacht hat, hat etwas von Besessenheit. Und dann ein Mord zum Jahrestag. Macht Sinn.“
„Andererseits“, ergänzte Ulli die Ausführungen ihres Kollegen, „sagt seine Frau, er sei zur Tatzeit zuhause gewesen.“
„Wenn ich seine Frau wäre, hätte ich keine Skrupel, ihm ein falsches Alibi zu geben. Moralisch absolut okay. Erinnere dich an das Alibi, das Wilhelms Tiecks Schwester ihrem Bruder damals gegeben hat.“
„Aber ist Heinz Kömen ein Mensch, der sich eine Waffe besorgt und dann kaltblütig einem Menschen in die Stirn schießt?“ gab Ulli zu bedenken.
„Er ist zumindest ein Mensch, der Wilhelm Tieck seine Beweggründe ausführlich darlegen würde, bevor er ihn erschießt. Der Stuhl würde ins Bild passen.“
Ulli schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Frau einen Mord decken würde.“
Paule überlegte: „Vielleicht hat Heinz Kömen einen anderen Weg gefunden. Für Geld kann man fast alles kaufen. Vielleicht hat er nach zehn Jahren eingesehen, dass er mit legalen Mitteln nicht weiterkommt.“
„Aber wie kommt ein Mann wie Heinz Kömen an einen Auftragskiller?“
Kurz nach siebzehn Uhr hielt Paule vor dem langgezogenen Firmengebäude der Schraubengroßhandlung. Er wandte sich Ulli zu: „Vielleicht finden wir hier ein anderes Motiv. Was kann uns die Expertin für deutsche Geschichte über diese Firma erzählen? Irgendwelche politischen Leichen im Keller? Profiteure der Judenenteignung?“
Paule grinste Ulli an.
Die Kommissarin schüttelte den Kopf. „Ich habe den Namen noch nie gehört.“
„Okay, dann werde ich dir das Wichtigste über Schrauben Ziegler erzählen: Das Unternehmen ist aus einem Handel für Schiffsartikel hervorgegangen und arbeitet seit mehr als hundert Jahren erfolgreich in der Herstellung und im Vertrieb von Schrauben und anderen Verbindungselementen. Beliefert das gesamte europäische Ausland. Hat sich kontinuierlich vom kleinen Handwerkerbetrieb zu einem internationalen Konzern entwickelt. Expandiert derzeit auf den asiatischen Markt.“
Ulli schaute Paule verblüfft an. „Woher hast du das denn so schnell?“
„Google weiß alles.“
„Du warst im Internet?“
Ulli war sprachlos. Paule und das Internet waren sich ihres Wissens bisher noch nie begegnet.
„So ähnlich“, grinste Paule. „Ich habe Emma gebeten, mir noch schnell die Eckdaten der Firma aus dem Internet zu besorgen. Du siehst, ich gehe schon mit der Zeit, nur eben auf meine Art.“
Werner Winkler, der Geschäftsführer des Unternehmens, hatte diesen Posten erst vor zwei Jahren übernommen und wusste daher nichts über den Fall Karin Kömen. Er hatte die Personalakte von Wilhelm Tieck bereits angefordert, als die Kommissare erschienen.
„Da“, er reichte Ulli die Akte, „das sind die alten Unterlagen. Seit fünf Jahren ist alles digital. Und hier“, Herr Winkler drehte den Bildschirm des Computers so, dass die Kommissare ihn einsehen konnten, „ist die neue Akte von Herrn Tieck. Ich kann Ihnen das auch mailen. Also eventuell. Ich muss es erst mit dem Datenschutzbeauftragten abklären. Aber Mord steht über Datenschutz. Oder? Also auf jeden Fall“, der Geschäftsführer drehte den Bildschirm wieder zu sich, „hat Herr Tieck keinen besonderen Eintrag in der Personalakte. Was nichts heißen muss. Also ich meine, bis bei uns etwas in die Personalakte eingetragen wird, muss jemand schon auf seinen Vorgesetzen schießen oder so. “
Werner Winkler lachte unsicher. „Entschuldigung! Das war ein blöder Witz in dem Zusammenhang. Aber ich weiß tatsächlich nichts über Wilhelm Tieck. Ich kenne die Leute draußen nicht persönlich. Er war einer von zwei Lageristen. Ich habe eben noch in der Personalabteilung nachgefragt. Tieck war selten krank. Am Freitag fehlte er zum ersten Mal unentschuldigt bei der Arbeit. Er hatte eine Riesterrente abgeschlossen, Sie wissen schon, wo der Betrieb die Hälfte drauflegt. Bringt absolut nichts, wenn Sie mich fragen. Aber das ist wohl jetzt nicht das Thema. Na ja, also wenn ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen kann?“
Der Geschäftsführer schaute auf die Uhr. „Ich habe nämlich eigentlich seit zwanzig Minuten Feierabend. Meine Frau macht Schnitzel, die werden immer so trocken, wenn man sie warmhält.“
Ulli blätterte in der Personalakte. „Gibt es jemanden, der Wilhelm Tieck besser kannte? Ein Kollege vielleicht, der uns weiterhelfen könnte?“
Herr Winkler zuckte die Schultern. „Wie gesagt, ich habe keine Ahnung. Und die Mitarbeiterin der Personalabteilung ist schon weg. Aber ich habe hier ihre Telefonnummer. Am besten, Sie rufen morgen an und stellen telefonisch Ihre Fragen.“
Paule stand ungeduldig auf. „Können Sie uns wenigstens sagen, ob es hier einen Spind oder etwas Ähnliches gibt, in dem Herr Tieck persönliche Sachen aufbewahrt hat?“
„Keine Ahnung. Um so etwas kümmere ich mich nicht. Vielleicht weiß es der Hausmeister. Aber er geht auch um fünf, wenn nichts Besonderes anliegt. Seine Telefonnummer habe ich hier. Herr Graus. Mit G. Sie können auch Herrn Schmidt anrufen. Das ist unser zweiter Hausmeister. Der weiß das bestimmt auch. Wenn Sie jetzt bitte …“, Herr Winkler war vom Schreibtisch aufgestanden und zur Tür gegangen, „gleich morgen früh sage ich meiner Sekretärin, sie soll Ihnen eine vollständige Liste zukommen lassen. Mit allen Telefonnummern unserer Mitarbeiter. Wollen Sie die Liste mit Adressen? Ist auch kein Problem. Vorausgesetzt – der Datenschutz. Aber jetzt müssen wir wirklich zu einem Ende kommen.“
Der Geschäftsführer hatte die Tür seines Büros geöffnet und forderte mit einer Geste, als wolle er Hühner aus seinem Büro scheuchen, die Kommissare zum Gehen auf. „Man kann sie auch noch in Folie wickeln. Sie werden trotzdem trocken.“
„Bitte?“ Ulli schaute den ungeduldigen Mann verständnislos an.
„Er meint die Schnitzel“, raunte ihr Paule zu, als er sich an ihr vorbei in den Flur quetschte. „Schnitzel scheinen den Herrn Geschäftsführer weitaus mehr zu interessieren als seine Angestellten.“
„Das habe ich gehört“, kommentierte Werner Winkler Paules Bemerkung, „aber Sie haben keine Ahnung von den Aufgaben einer zeitgemäßen Geschäftsführung. Fragen Sie mich nach Umsatzzahlen oder Außenhandelsbilanzen. Das Personal ist Teil des Ressourcenmanagements, für das ich nicht zuständig bin. Unternehmen sind heute anders aufgebaut als zur Ihrer Zeit, als der Firmeninhaber noch mit den Arbeitern abends auf ein Bier in die Eckkneipe ging.“
Bevor Paule etwas entgegnen konnte, zog ihn Ulli mit sich den Flur hinunter dem Ausgang zu. „Wir finden selbst hinaus. Danke. Wir machen jetzt auch Feierabend.“
„Was bildet sich dieser Aktentaschenträger eigentlich ein! Die nennen einfache Personalplanung jetzt Ressourcenmanagement, pinnen sich ein paar Umsatzkurven an die Wand und meinen dann, den Handel neu zu erfinden. Auf Erfahrung und Persönlichkeit wird überhaupt keinen Wert mehr gelegt. Und jeder macht mit: Rationalisierung, Technisierung. Sie fühlen sich nackt ohne ihr Smartphone. Digitale Notiz-App. Und wenn der Strom ausfällt, wissen sie nicht mehr, wo sie gerade hinwollten