Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan
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Paule holte Atem und setze zur Antwort an, aber Ulli fiel ihm ins Wort: „Also kennen Sie niemanden, mit dem Wilhelm Tieck in letzter Zeit Streit hatte oder der ihn einfach nicht mochte?“
Der Lagerist dachte kurz nach, dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Wenn ich jetzt so überlege, dann fällt mir zu Willi eigentlich überhaupt nichts ein, was mit Mögen oder Nichtmögen zu tun hat. Ich könnte Ihnen noch nicht einmal sagen, ob ich ihn mochte oder nicht. Er kam, machte seine Arbeit und ging wieder. Ab und zu hatte er seine Tour, dann ging ich ihm lieber aus dem Weg.“
„Was meinen Sie mit ,hatte seine Tour‘?“, mischte sich Paule ein.
„Na ja“, Andreas Kreiter suchte nach Worten, „Willi war dann nicht aggressiv oder so. Er war auch nicht wortkarger als sonst, er hat ohnehin nie viel geredet. Aber man hatte den Eindruck, als brodele etwas unter der Oberfläche, das er auf keinen Fall herauslassen wollte. Er lief dann eiliger als sonst an mir vorbei. Hat vermieden, mich anzusprechen. Also“, Andreas Kreiter suchte nach Worten, „wenn ich mit meiner Frau abends Streit habe, und der Streit am nächsten Morgen noch irgendwie im Raum hängt und jeder so tut, als wäre nichts, dann ist das genauso. Verstehen Sie?“
Paule schüttelte den Kopf. „Nein.“
Er trug dem Lageristen die Bemerkung über Menschen ohne Computer immer noch nach.
Andreas Kreiter zuckte mit den Schultern. „Auf jeden Fall kenne ich niemanden, mit dem Willi in letzter Zeit Streit hatte. Aber schauen Sie sich ruhig um“, der Lagerist zeigte auf den Schreibtisch und die Aktenschränke. „Die Sekretärin vom Winkler meinte, Sie dürfen alles anschauen, solange Sie nichts mitnehmen.“
Unter den aufmerksamen Blicken von Andreas Kreiter untersuchten Paule und Ulli Tiecks Schreibtisch. Dann fragten sie nach dem Weg zum Personalbüro, in dem sie sich mit Jürgen Faas treffen wollten. Andreas Kreiter deutete auf die gegenüberliegende Seite des Hofes. „Jürgen hat mir schon Bescheid gesagt, dass Sie ihn sprechen wollen. Gestern hat er mir erzählt, wie er Willi gefunden hat. War kein schöner Anblick. In der Zeitung stand, er sei schon am Donnerstag ermordet worden. Aber Sie haben doch nicht den Jürgen in Verdacht? “
Ulli schüttelte den Kopf. „Wir wollen ihm nur noch ein paar Fragen stellen.“
„Ich habe selten einen Arbeitsplatz gesehen, der so wenig Rückschlüsse auf den Menschen zulässt, der da gearbeitet hat“, meinte Paule auf dem Weg über den Hof.
„Meinst du, da hat jemand aufgeräumt, bevor wir kamen?“ fragte Ulli.
Paule überlegte kurz: „Andreas Kreiter macht auf mich nicht den Eindruck, als wolle er etwas verbergen. Wahrscheinlich hatte Wilhelm Tieck keine privaten Dinge an seinem Arbeitsplatz.“
Jürgen Faas erwartete die beiden Kommissare bereits in einem kleinen Besprechungszimmer neben der Personalabteilung. Kaffee, Mineralwasser und Gebäck standen auf dem Tisch bereit. Paule begann sofort, Kaffee auszuschenken.
„Haben Sie schon eine Spur?“ Die erneute Befragung schien Jürgen Faas nicht zu beunruhigen. Er hatte sich bereits am Kaffee und dem Gebäck bedient und war sichtlich erfreut über die unverhoffte Pause.
„Sie haben ausgesagt, Sie hätten das Haus von Wilhelm Tieck am Sonntag zum ersten Mal betreten.“ Paule stellte seine Kaffeetasse ab und sah Jürgen Faas an.
Jürgen Faas nickte. „Genau. Wir waren eigentlich gar nicht wirklich befreundet. Ich meine, Willi hat nie etwas von sich erzählt. Er war HSV-Fan, und wir sind ab und zu zusammen zu den Auswärtsspielen gefahren. Willis Auto war fast immer kaputt, und ich habe ihn mitgenommen. “
Paule hakte nach: „Warum haben Sie ihn mitgenommen? Wenn er doch jemand war, mit dem man gar nicht so richtig befreundet war.“
Jürgen Faas lächelte verlegen: „Na ja. Lagerist bei Schrauben Ziegler ist ein guter Job, anständig bezahlt und körperlich nicht besonders anstrengend. Kein Schichtdienst. Und der Kreiter ist doch auch schon vierundsechzig. Er geht nächstes Jahr in Pension, und ich dachte, da wäre dann ein guter Job für mich frei. Ich habe drei Jahre Ausbildung in dem Beruf, und ich kenne mich aus in der Firma. Meine Frau meinte, Willi könnte vielleicht ein gutes Wort für mich bei der Personalchefin einlegen. Er versteht sich doch mit keinem richtig. Vielleicht hätte es ihm gefallen, wenn er dann mit mir zusammenarbeiten würde, mit jemandem, den er kennt, anstatt sich an jemand Neues zu gewöhnen.“
Jürgen Faas stellte seine Kaffeetasse ab, zog ein Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche und schaute sich suchend um. „Ich habe ihn bestimmt nicht ausgenutzt oder so. Es war für ihn echt von Vorteil, wenn ich ihn zu den Spielen mitgenommen habe.“
Paule beugte sich nach vorne und schaute Jürgen Faas herausfordernd an: „Und Ihre Frau meinte nicht, Sie könnten vielleicht Wilhelm Tieck im Job beerben? Oder Sie sollten einmal nachschauen, ob im Hause Tieck etwas zu holen sei?“
Es dauerte einige Sekunden, bis Jürgen Faas die Bedeutung dieser Frage verstanden hatte. Empört lehnte er sich nach vorne und funkelte Paule wütend an. „Nein! Wollt ihr mir etwas anhängen? Soll ich jetzt als Sündenbock herhalten. Das ist ja wie im Film. Muss ich mir jetzt einen Anwalt nehmen?“
Ulli lenkte ein. „Wir wollen Ihnen nichts anhängen. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass Sie im ersten Stock des Hauses waren. Und wir fragen uns, was Sie da getan haben und warum Sie uns das verheimlichen.“
Jürgen Fass schwieg überrascht. Er klopfte mit dem Zeigefinger eine Zigarette aus der Packung und betrachtete sie nachdenklich. Dann lachte er erleichtert: „Die Spielsachen! Aber das ist schon Wochen her! Stimmt. Da war ich oben im ersten Stock. Links die Treppe hoch. Das hatte ich wirklich vergessen. Ich hatte Willi von unseren Kleinen erzählt, wie sie alles kaputt machen und dass ich mir von meinem Gehalt nicht leisten könne, den Kindern immer wieder neue Sachen zu kaufen. Ich habe zwei Jungen. Sie sind letzten Monat fünf Jahre alt geworden. Zwillinge. Gehen ganz schön ins Geld. Willi meinte, bei ihm zuhause sei jede Menge alter Kinderkram. Den könnte ich gerne mitnehmen. Als Gegenleistung, weil ich immer den Chauffeur zu den Spielen mache.“
Jürgen Faas sah Ulli offen in die Augen: „Frau Kommissarin, das müssen Sie mir jetzt glauben. Damals war ich ein einziges Mal bei Willi im Haus. Und auch nur die Treppe hoch in den ersten Stock. Ich habe drei Kartons mit Kinderkram mitgenommen, mehr nicht.“
„Und Ihre Frau kann uns das bestätigen?“
„Und ob. Sie wird sich bestimmt daran erinnern. Wir hatten einen heftigen Streit, als ich mit dem alten Krempel ankam. Sie hat mich tatsächlich gezwungen, das Zeug sofort weiter zur Deponie zu fahren.“
„Erinnern Sie sich noch, wo Sie am Donnerstagabend waren? “
„Das können Sie auch meine Frau fragen. Was meinen Sie denn, wo ich unter der Woche nach Feierabend noch großartig hingehe? Ein bisschen Kicken mit den beiden Jungs auf dem Bolzplatz, Werkeln in der Wohnung, Abendessen, Bier vor der Glotze und dann beizeiten in die Koje. Wir fangen morgens um sechs Uhr an, da dreht ihr euch noch einmal gemütlich im Bett um.“
„Er wirkte nervös. Glaubst du ihm, dass er das mit den Kindersachen vergessen hatte?“ fragte Ulli, während Paule den Wagen startete.
„Als wir ihn das letzte Mal befragten, stand er ziemlich unter Schock, Der Anblick des toten Tieck, der Gestank in der Wohnung, da kann man so etwas schon mal vergessen.