Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan
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„Es stand nur ein weiterer Stuhl im Wohnzimmer. Die Art der Tat deutet ebenfalls auf einen Einzeltäter. Ich denke, wir sollten zunächst von einem Einzeltäter ausgehen. Und ja“, Ulli nahm die Anregung von Walter auf, „wir gehen zurzeit davon aus, dass Wilhelm Tieck seinen Mörder hineingelassen hat. Einen Schlüssel von der Haustür haben, laut Aussage der Schwester, nur sie und das Opfer. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass es ein älteres Haus mit einer gewöhnlichen Haustür ist. Früher lebten dort die Eltern des Opfers mit dem Opfer und seiner Schwester. Es ist also gut möglich, dass noch mehr Schlüssel existieren.“
„Könnte die Schwester etwas mit dem Mord zu tun haben?“, fragte Kai.
Ulli schüttelte den Kopf.
„Ich glaube nicht. Sie schien ehrlich betroffen vom Tod ihres Bruders.“
„Konnte sie etwas zu einem möglichen Motiv sagen?“, fragte Kai weiter.
Ulli schüttelte wieder den Kopf.
„Der Tote lebte sehr zurückgezogen. Hatte kaum Kontakte zu anderen. Kein Verein, kein Freundeskreis. Er arbeitete seit mehr als zehn Jahren als Lagerist bei Schrauben Ziegler im Haferweg, keine fünfzehn Minuten von seinem Wohnhaus entfernt. Ein Arbeitskollege, Klaus Faas, hat den Toten gemeinsam mit der Schwester gefunden. Die beiden Kollegen waren verabredet. Als Wilhelm ihn versetzte und sich auch zwei Tage später noch nicht bei ihm gemeldet hatte, hat er die Schwester angerufen, und sie sind zum Haus gefahren. Die Schwester hat einen Schlüssel. Aussagen habt ihr im Computer. Wir müssen noch die übrigen Arbeitskollegen befragen. Aus den gegenwärtigen Lebensumständen scheint sich kein Motiv zu ergeben. Interessant ist der Hinweis auf einen Mordfall, der sich auf den Tag genau letzten Donnerstag vor zehn Jahren ereignete.“
Ulli schaute in die Runde. „Einige Kollegen werden sich noch daran erinnern. Unser Opfer wurde damals als mutmaßlicher Täter festgenommen, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Am Donnerstag hat die Hamburger Aktuelle in einem Artikel zum zehnten Jahrestag des Mordes an Karin Kömen an den Fall erinnert. Walter ist mit den Ermittlungen vertraut.“
Walter gab Dirk ein Zeichen. Auf der Wand erschien das Foto einer jungen, blonden Frau. Sie war zeitlos in Jeans und Hemdbluse gekleidet und lachte in die Kamera.
„Das ist Karin Kömen“, begann Walter, „sie wurde in der Nacht des 22. August 2003 überfallen, misshandelt und vergewaltigt.“
Auf der Wand erschien ein Foto vom Tatort.
„Spaziergänger fanden ihre Leiche am Morgen des 23. August im Ziegelteich unweit des Hauses, in dem sie gemeinsam mit ihren Eltern wohnte. Karin Kömen war im Ziegelteich ertrunken. Vermutlich, als sie versuchte, vor ihrem Peiniger davonzukriechen. Die Rechtsmedizin stellte damals fest, dass darüber hinaus vermutlich auch ihre schweren Kopfverletzungen innerhalb weniger Stunden zum Tod geführt hätten. Nur eine direkte ärztliche Versorgung hätte das Opfer eventuell retten können. Karin Kömen hatte gemeinsam mit ihrem Freund, Bruno Dörfer, in einer Diskothek in der Innenstadt gefeiert, wo es gegen dreiundzwanzig Uhr zu einem Streit zwischen den beiden kam. Sie verließ die Diskothek alleine, um, wie ihr Freund vermutete, mit der S-Bahn nach Hause zu fahren. Die beiden S-Bahn-Stationen liegen unweit der Diskothek bzw. der Wohnung, weshalb der Freund, der in der Diskothek blieb, sich keine weiteren Gedanken über ihren Nachhauseweg machte. Als Karin Kömen gefunden wurde und die Polizei bei den Eltern vorsprach, wurde sie noch nicht vermisst. Die Eltern nahmen an, sie habe die Nacht bei ihrem Freund verbracht. Der Freund hatte übrigens für die vermutete Tatzeit ein Alibi, da er mit seiner Clique nach der Diskothek noch eine private Party besuchte und dort übernachtete. Er machte sich später große Vorwürfe, dass er Karin Kömen nicht daran gehindert hatte, alleine nach Hause zu fahren. Wilhelm Tieck, unser heutiges Mordopfer, rückte schon früh ins Visier der Ermittler. Als Lagerist bei Schrauben Ziegler kannte er Karin Kömen, die eine Ausbildung als Industriekauffrau gemacht hatte und seit ihrem Abschluss dort arbeitete. Zeugen sagten aus, Wilhelm Tieck habe schon lange ein Auge auf die junge Frau geworfen. Zu Beginn schien sein Interesse Karin Kömen zu schmeicheln. Sie ließ sich von Wilhelm Tieck öfter nach Hause fahren. Die Torstraße liegt nur ein paar Gehminuten von Karins Elternhaus entfernt. Karin Kömens Verhältnis zu Wilhelm Tieck war auch Ursache des Streites zwischen ihr und ihrem Freund. Bruno Dörfer hatte mehrmals verlangt, Karin müsse die unangemessenen Avancen des mehr als zwanzig Jahre älteren Wilhelm Tieck entschiedener zurückweisen. Wilhelm Tiecks Wagen wurde zu dem Zeitpunkt, als Karin Kömen die Diskothek verließ, mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Nähe gesehen. Zeugen sahen die junge Frau in einen grauen Kombi steigen. Die Polizei vermutete später, Wilhelm Tieck habe das Opfer zufällig auf der Straße getroffen und ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren. Im Wagen hat man Haare und Faserspuren von der Kleidung der jungen Frau gefunden. Die Polizei konnte jedoch nie zweifelsfrei beweisen, dass es Wilhelm Tiecks grauer Kombi war, in den das Opfer in der Mordnacht eingestiegen war. Als gesichert anzunehmen war, dass Wilhelm Tiecks Wagen am späten Abend des 22. August nicht vor seinem Haus stand. Die Nachbarn waren sich sicher, dass er nicht zu Hause war. Wilhelm Tieck wurde bereits am Abend des 23. August zu dem Fall befragt. Da er sehr verunsichert wirkte und sich weigerte, irgendwelche Angaben zu seiner Person beziehungsweise einem eventuellen Alibi zu machen, wurde er in U-Haft genommen. Alle Indizien sprachen für ihn als Täter. Später wurden allerdings die Spuren im Wageninnern damit erklärt, dass er das Opfer öfter nach Hause gefahren hatte. Nachdem er mit einem Anwalt gesprochen hatte, gab Wilhelm Tieck seine Zuneigung zu Karin Kömen offen zu. Der Anwalt erklärte bei der Verhandlung, der Tod der jungen Frau habe den Tatverdächtigen sehr mitgenommen. Dies erkläre sein eigenartiges Verhalten bei der ersten Befragung durch die Ermittler. Wo sich Wilhelm Tieck tatsächlich zum Tatzeitpunkt aufgehalten hat, konnte auch in der Verhandlung nicht mit letzter Gewissheit aufgeklärt werden. Seine Schwester und sein Schwager sagten aus, der Verdächtige habe sie am Abend des 22. August besucht. Man habe zusammen Fernsehen geschaut und sich unterhalten. Es sei schon lange dunkel gewesen, als Wilhelm Tieck ihr Haus verließ. Nachbarn hatten weder Wilhelm Tieck noch dessen grauen Kombi an diesem Abend in der Straße der Burgers gesehen. Wilhelm Tieck gab an, er habe in einer Seitenstraße geparkt. Einen schlüssigen Grund dafür konnte er nicht nennen. Nach dem Besuch bei seiner Schwester sei er direkt nach Hause gefahren. Der Weg vom der Großen Bahnstraße in die Torstraße führt am Ziegelteich vorbei. Der Verdächtige sagte aus, er wisse noch nicht einmal, ob der diesen Weg gefahren sei. Er gab zu, erhebliche Mengen Alkohol getrunken zu haben. Aus diesem Grund sei er unaufmerksam und sehr müde gewesen. Er sei auch gleich zu Bett gegangen. Vor Gericht sagten die Schwester und der Schwager unter Eid aus, sie seien sicher, es wäre weit nach Mitternacht gewesen, als Wilhelm Tieck nach Hause gefahren sei. Man habe sich verplaudert, aber eine genaue Zeit konnten sie nicht angeben. Zu einem Geständnis des Angeklagten kam es nicht. Die Beweise reichten für einen Schuldspruch nicht aus, schließlich wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Für ihn sprach, dass er bisher noch nie durch Gewalt gegen Frauen auffällig geworden war. In dubio pro reo. Lieber einen fälschlich Freigesprochenen laufen lassen, als einen zu Unrecht Verurteilten leiden lassen. Ein weiterer Verdächtiger wurde nie gefunden. Wir waren damals alle überzeugt, dass Wilhelm Tieck der Täter war. Der Fall Karin Kömen ist bis heute nicht aufgeklärt.“
Als Walter seinen Vortrag beendet hatte, herrschte angespannte Stille. Ulli schaute in die Runde. „Mit den heutigen Mitteln der Rechtsmedizin wäre es ein Leichtes, Wilhelm Tieck den Mord nachzuweisen“, meldete sich Paule zu Wort, „man hatte damals DNA, vermutlich vom Täter, am Opfer sichergestellt.“
„Richtig“, Dirk drückte auf eine Taste seines Notebooks und ein Artikel der Hamburger Aktuellen erschien auf der Leinwand.
„‚Frauenmörder seit zehn Jahren auf freiem Fuß!‘ Das war im Wesentlichen auch das Thema des Artikels, der letzten Donnerstag anlässlich des zehnten Jahrestages des Todes von Karin Kömen erschienen ist. Die Hamburger Aktuelle wirft die Frage auf, wieso nicht schon damals eine DNA-Analyse durchgeführt wurde.