Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan
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Paule grinste. Oskar war für seinen fragwürdigen Humor und die flapsigen Sprüche während der Leichenöffnung bekannt. Ulli hatte sich daran gewöhnt. Eigentlich mochte sie die unprofessionelle Sprache des Rechtsmediziners. Sie brachte etwas Menschliches in den ansonsten routinierten, technisierten Ablauf einer Leichenöffnung.
Oskar zeigte auf das kreisrunde Loch in der Stirn des Opfers: „Ich vermute, das war die Todesursache. Kontaktschuss. Die Stanzmarke deutet auf einen Schalldämpfer hin. Glatter Durchschuss. Kleine, sternförmige Austrittswunde am Hinterkopf. Habe ich gestern schon im Bild festgehalten.“
Er nickte zu dem Ordner in Ullis Hand. „Die Kollegen haben übrigens das Projektil und die Patronenhülse sicherstellen können.“ „Weißt du, wann genau es passiert ist?“ Paule war vom Stuhl aufgestanden und an den Obduktionstisch getreten.
Oskar zuckte mit den Schultern. „Ich bleibe dabei: Angesichts der gelösten Leichenstarre und des Status‘ der Verwesung irgendwann zwischen Donnerstagabend und Freitagabend. Wir haben die Pizza zur entomologischen Untersuchung geschickt. Ihr wisst schon, die Sache mit den Entwicklungsstadien der Fliegenlarven. Es wäre hilfreich, wenn ihr herausfinden könntet, wann die Pizza geliefert wurde. Anscheinend kam der Tote nicht mehr dazu, sie anzuschneiden.“
Paule schnaubte genervt: „Und warum dann der Tanz mit den Fliegenlarven? Wenn wir wissen, wann die Pizza geliefert wurde, sind wir genauso weit. Einfache, solide Ermittlungsarbeit anstatt diesem CSI-Quatsch.“
Oskar grinste breit, er kannte Paules Abneigung gegen alle neuen Ermittlungsmethoden. „Du sagst es. Aber wir können es und deshalb tun wir es. Macht später Eindruck bei der Gerichtsverhandlung. Und jetzt“, Oskar griff zur Knochensäge, „bitte zurücktreten.“
Ulli wusste, was jetzt kam. Sie kannte den Standardsatz des Rechtsmediziners von den anderen Obduktionen.
„Machen wir den Kerl einmal auf.“
Oskar begleitete die beiden Kommissare nach draußen. Er zündete sich eine Zigarette an.
„Eigentlich rauche ich kaum noch. Aber manchmal hilft es.“
Er deutete in Richtung Obduktionssaal. „Ich kann nicht behaupten, dass mir der Tod dieses Kerls da drinnen besonders nahe geht.“ Erstaunt schaute Ulli den Rechtsmediziner an. Es war das erste Mal, dass sich Oskar zu einem negativen Urteil über ein Opfer hinreißen ließ. Er lehnte an der Wand und inhalierte den Zigarettenrauch.
„Da drin lag sie. Ich glaube, sogar im gleichen Raum. Das ist jetzt zehn Jahre her. Auch wenn man bedenkt, dass ich damals vielleicht noch etwas empfindlicher war als heute, war es ein Anblick, den ich nie vergessen werde.“
Der Mediziner warf den Rest der Zigarette auf den Boden und trat ihn aus. „Sie hätte überleben können, wenn das Schwein nicht einfach weggerannt wäre. Hat sie einfach liegen lassen. Die Frau war bewusstlos und ist irgendwann aufgewacht. Sie hat versucht, wegzukriechen. Vielleicht wäre sie an den Verletzungen gestorben, die er ihr zugefügt hatte, vielleicht aber auch nicht. Die Todesursache war aber letztlich Ertrinken. Sie hätte überleben können, wenn sie einfach nur in die andere Richtung gekrochen wäre.“
Oskar deutete auf Ulli. „Genau da, wo du jetzt stehst, standen damals die Eltern. Fassungslos. Ich hatte die Mutter an die frische Luft begleitet. Der Vater fragte mich aus. Jedes verdammte Detail wollte er von mir wissen. Im Gerichtssaal habe ich sie dann wiedergesehen. Ich konnte nichts dafür, aber ich schämte mich, als der Kerl, der jetzt da drinnen liegt, freigesprochen wurde. Wir konnten es ihm einfach nicht beweisen. Damals nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass er einmal bei mir auf dem Tisch liegen würde. Lange genug gedauert hat es ja.“
Während Paule zustimmend nickte, schüttelte Ulli den Kopf.
„Du verurteilst jemanden, der freigesprochen wurde.“
Oskar bückte sich nach der Zigarettenkippe und hob sie auf. „Nicht schuldig aus Mangel an Beweisen. Du wirst niemanden im Präsidium finden, der an seine Unschuld glaubte“, Oskar warf Paule einen kurzen Blick zu, „aber egal. Du hast natürlich recht: Jetzt ist er ein Mordopfer wie jedes andere, und es ist unsere Aufgabe, seinen Mörder zu finden.“
***
Ulli hatte die Präsidiumssitzung erst für dreizehn Uhr angesetzt. Oskar hatte versprochen, bis dahin den vollständigen Obduktionsbericht vorzulegen.
Als Ulli und Paule das Präsidium betraten, kam ihnen Kai entgegen. „Wir haben den Pizzadienst ausfindig machen können. Auf dem Handy des Opfers war die Nummer gespeichert. Sie wussten sogar noch, wen sie am Donnerstagabend in die Torstraße geschickt hatten. Gut sortiert, der Laden. Er heißt Stefan Hoff, Student. Ordentlich angemeldet als Mini-Jobber. Wohnhaft in Wilhelmsburg. Er wird gleich hier sein. Ich mache mich jetzt auf den Weg in die Torstraße, gestern habe ich nicht mit allen Nachbarn gesprochen. Bei dem schönen Wetter waren die meisten unterwegs. Ich frage auch nach Überwachungskameras und nach Autos, die dort normalerweise nichts verloren haben. Ist nicht direkt eine Durchgangsstraße. Emma geht mit Walter den alten Fall Kömen durch, Dirk stellt die Reaktionen auf den Artikel vom letzten Donnerstag zusammen. Wir sehen uns dann in der Sitzung.“
Wenigstens Kai schien den Fall genauso ernst zu nehmen wie jeden anderen Mordfall.
„Der war damals noch nicht in der Mannschaft“, kommentierte Paule, als hätte er Ullis Gedanken erraten.
Stefan Hoff fand sich wenige Minuten später im KK3, dem Kriminalkommissariat 3 des LKA, ein. „Ich habe mein Fahrrad direkt vor dem Eingang abgestellt. Ich vermute, bei euch kommt nichts weg“, sagte er und lehnte den Kaffee, den Ulli ihm anbot, ab. „Aus den Fernsehkrimis weiß ich, dass der Kaffee bei der Mordkommission grausig schmeckt“, meinte er grinsend. „Ihr Kollege sagte, ich könnte Ihnen helfen. Ich müsse als Zeuge bei einem Gewaltverbrechen aussagen“, fügte er ernster hinzu.
Ulli nickte und musterte den jungen Mann, der in verblichenen Jeans und blauem Polo-Shirt vor ihr saß und ihren Blick lässig erwiderte.
„Sind Sie damit einverstanden, dass ich unser Gespräch aufzeichne?“, fragte sie und legte das Smartphone auf den Tisch.
Stefan Hoff nickte. „Klar doch.“
„Mein Kollege berichtete mir, dass Sie am Donnerstagabend für den Pizza-Dienst Venezia eine Lieferung in die Torstraße 17 brachten“, begann Ulli.
Der Student nickte abermals. Ohne Zögern begann er zu erzählen:
„Ja, zu Tieck. Muss so gegen zwanzig Uhr gewesen sein. Die Nachrichten im Ersten fingen gerade an. Herr Tieck hatte seinen Fernsehapparat ziemlich laut gestellt. Ich konnte die Erkennungsmelodie der Nachrichten bis zur Tür hören.“
„Ist Ihnen etwas aufgefallen, als Sie die Pizza lieferten?“
Stefan Hoff zuckte mit den Schultern. „Der Mann bestellte öfter bei uns. Wir haben feste Liefergebiete, so dass ich meistens in die Torstraße liefere. Immer Pizza oder Nudeln. Mochte wohl keine Salate.“
„Kannten Sie Herrn Tieck näher? Hat er vielleicht einmal für mehr als eine Person bestellt?“, wollte Paule