Wach da sein. Klaus Fahrendorf
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So ist dies eine Aufforderung, nicht uns und unseren Körper zu korrigieren. Sondern wir spüren nach, wir fühlen nach, wo sich Verspannung zeigt, sich unter Umständen als Fehlhaltung manifestiert, wo sich ein „falsches“ Bild von uns manifestiert oder wo und wie sich möglicherweise eine Lebenseinstellung und/oder Lebensführung ausgewirkt haben mag. Wir geben den betroffenen Körperregionen unsere liebevolle Aufmerksamkeit und Achtsamkeit (zurück). Immer und immer wieder. So üben wir die Aufrichtung unseres Körpers.
Und genauso üben wir aufrichtig (!) unsere innere Haltung. In liebevoller Aufrichtigkeit (!) zu uns selbst, in unserem unvollkommenen Menschsein im immerwährenden, im immer wieder neu in Gang zu setzenden Bemühen, „in vollkommener Annahme unserer selbst“, hin zu einer Wahrnehmung des sich in jedem Augenblick, mit jedem Wimpernschlag manifestierenden Friedens der Versöhnung mit uns selbst, mit all unseren Widersprüchen.
In vollkommener Reue und im vollkommenen Danken und im vollkommenen Bitten. Das zu ergründen, das zu realisieren, immer wieder neu gefordert von uns, ist ein Koan9. Ein Koan fürs Leben. Ein Lebenskoan.
Zurück zum Praktischen:
Worauf sitzen wir? Wir sitzen auf unseren Sitzhöckern. Das ist kein Sprachbild, sondern das ist die Anatomie unseres Knochenapparats. Wir können uns auf unseren abgerundeten Sitzhöckern bewegen. Wenn wir beispielsweise nur auf der Vorderkante eines Stuhls sitzen, sind wir da anders positioniert, als bequem zurück- und angelehnt.
Im Zazen sollten wir, egal ob auf dem Kissen, dem Bänkchen, Hocker oder Stuhl, „auf der Vorderkante“ sitzen und so unser Becken leicht nach vorne kippen, so dass wir unser Gewicht voll auf den Sitzhöckern ruhen lassen. Wie ein kleines Kind wölben wir so unsere Wirbelsäule auf der Höhe der Taille leicht nach vorne, und der Bauch darf und soll sich nach vorne wölben, während wir das Gesäß leicht nach hinten strecken. Das mag sich ungewohnt und komisch anfühlen. Lasst euch davon aber nicht irritieren. Es sieht euch keiner zu. Ihr müsst euch also nicht genieren. Je mehr ihr auf diese Weise die Wohltat einer solchen Aufrichtung spürt und durch die „Körperkorrektur“ immer wieder dahin zielende Impulse empfangt, umso mehr werdet ihr euch ganz natürlich in einer solchen Haltung zur Meditation setzen.
Katsuki Sekida, der sich sehr intensiv mit dem körperlichen Vollzug von Zazen befasst hat10, soll einmal eine Reihe von Grußkarten mit der Grußformel versandt haben: „Bauch vor – Gesäß zurück!“11
Ein guter Impuls! Und nimmt erst einmal auf diese Weise die Wirbelsäule die nach den Umständen relativ korrekte Haltung ein, ergibt sich von da aus das übrige ganz von allein.
Wenn ihr also korrigiert werdet, üblicherweise in der zweiten Sitzeinheit, spürt einfach den entsprechenden körperlichen Impulsen ohne Wollen und Anstrengung nach. Ihr müsst nichts machen. Ihr müsst euch nur in diesen Spürkontakt sanft hineinbegeben, also bereit zu sein, den Impuls wirken zu lassen. Das bedeutet keine Passivität, sondern ist höchste Aktivität, aber eine solche zum Lassen.
Danke!
9 Koan (jap.) ist im Zen eine Formulierung aus einem Sutra, häufiger indes die Schilderung einer Episode aus dem Leben alter Meister, sei es ihrer Aussagen in Lehrreden, sei es ihrer „Antworten“ auf Fragen ihrer Mönche oder ihrer Fragen, die sie an ihre Mönche oder einzelne Übende richteten. Ein Koan ist kein Rätsel. Es ist nicht mit dem Verstand zu „lösen“. Es fordert einen Sprung auf eine andere Ebene, auf der logisches, begriffliches Verstehen transzendiert wird.
10 Katsuki Sekida, Zen Training, 4. Auflage 2007.
11 Robert Aitken, Der Pfad des Zen, 2002, S. 35.
03
Ein Zafu12 unter dem leeren Himmel
Am Samstag hatten wir hier unter reger Beteiligung einen Zazenkai13. Ich habe ein Teisho zu einem Koan14 aus dem Shôyôroku gehalten (Fall 7: Yakusan besteigt das Podium)15. In dem Koan geht es darum, dass Yakusan, ein chinesischer Zen-Meister des 9. Jahrhunderts nach Christus schon längere Zeit nicht zu seiner Mönchsgemeinschaft gesprochen hatte. Auf eindringliches Bitten des Mönchs-ältesten erklärt er sich endlich dazu bereit. Alles versammelt sich erwartungsvoll. Yakusan nimmt seinen Platz ein. Und was macht er? Er bleibt lange Zeit, im Schweigen versunken, einfach sitzen. Schließlich erhebt er sich und geht wieder in seine Räume zurück. Der Mönchsälteste folgt ihm und hält ihm vor, dass er doch versprochen habe, zur Gemeinschaft zu sprechen. „Warum habt Ihr Ihnen kein Wort gewährt?“, so fragt er schließlich. Und Yakusan antwortet: „Für die Sutren gibt es Sutrenmeister und für die Sastren gibt es Sastrenmeister. Warum traust du dem alten Mönch nicht?“
Heute habe ich kein Dokusan16 gegeben wie sonst üblich. Ich habe mit Euch 1 ½ Stunden in Stille auf meinem Sitzkissen, dem Zafu, gesessen mit euch gemeinsam Zazen im Schweigen praktiziert. Das ist – auf der einen Seite – eine gemeinsame Umsetzung der „Predigt“, wie sie Yakusan gehalten hat. Yakusan, der im Schweigen verharrte und so seinen erwartungsvollen Mönchen nichts gab mit Worten, Begriffen, Beispielen etc., womit sich ihr suchendes Denken hätte beschäftigen können.
Kosho Uchiyama, der langjährige Begleiter von Kodo Sawaki und dessen Nachfolger, war ähnlich konsequent wie Tokusan, indem er in den monatlichen und grundsätzlich 5 Tage dauernden Sesshins seinen Mönchen – wie er es formulierte – keinerlei „Spielzeug“ gab17. Es gab nur Zazen. Alle, auch er, saßen mit dem Gesicht zur Wand. Kein Dokusan, kein Teisho, kein Mondo, – nichts. Eine strenge Praxis, die so wohl nur für Menschen gedacht und aushaltbar ist, die schon lange praxiserfahren und extrem motiviert sind. Sie ist sicherlich nicht allgemein übertragbar auf Zen im Westen, auf Zen für Menschen im Alltag wie wir.
Aber – und darum geht es mir heute, dies aufzuzeigen, – es ist immer wieder gut und heilsam, sich klar werden zu lassen, dass das Entscheidende im Schweigen, in der Stille des Schweigens geschehen will, dass wir uns aus Anhaftungen auch an Unterweisungen jeglicher Art und Richtung lösen müssen – jeder auf seine Weise und zu seinen Zeitpunkten.
Es drängt mich, noch einen anderen Zen-Meister zu Worte kommen zu lassen, den Nachfolger des berühmten Dôgen Zenji, den Meister Kôun Ejo.
Dieser hat am 28. August 1278 zum fünfundzwanzigsten Todestag von Dôgen Zenji den Mönchen einen Text vorgetragen, „Kômyôzô Zanmai“ („Samadhi der Schatzkammer der großen Weisheit“)18, der als ein sehr poetischer und eindringlicher Unterweisungstext in der Soto-Tradition des Zen hochgeschätzt wurde und wird.
„Ich habe dies“, so Kôun Ejô, „für meine Gefährten im Zazen geschrieben, damit sie keine irrigen Ansichten pflegen, sowohl um mich selbst zu vervollkommnen, als auch, um andere zu unterweisen.“19 So brachte er in Worten das zum Ausdruck, was Yakusan im Schweigen vermittelt hat.
Der Text lautet auszugsweise wie folgt:
„Ich empfinde eine große Achtung
aus der Tiefe meines Mitgefühls
für euch, die ihr mit der Praxis des Zazen
in dem Geist fortfahrt,
den ich nun beschreiben werde: