Wach da sein. Klaus Fahrendorf

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Wach da sein - Klaus Fahrendorf

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und seid eins mit dieser Realität, die in diesen Worten auftaucht, ohne ausschließlich an diese Worte geklammert zu sein.

      Was das Nichtstun, was Stillesein „bringen“ sollte, zeigt sich in jedem von uns. Jetzt gerade hier. Gleich im Hinausgehen. Morgen früh. Und so weiter.

      „Unruhe ist ansteckend“, las ich sodann in einer Leseprobe aus dem Buch „Die Unruhe der Welt“. Und wie ist dies mit der Ruhe? Jedenfalls hier in der Meditation in Gemeinschaft, stecken wir uns gegenseitig an. Und draußen? Ich denke, auch dort kann es eine solche Wirkung mindestens ein wenig geben. Vielleicht mehr, als wir ahnen.

      Dass hingegen aus der Sicht des Philosophen, der von dem Phä-nomen der Unruhe als einer kultursoziologischen Erscheinung so tief fasziniert ist, dass er an einem Lexikon der Unruhe arbeitet, Ruhe Stillstand sei, diese als reines Nichtstun unnütz sei und keinen Erfolg bringen können soll, erklärt auch folgende Sätze, die er dem vorausgehend schreibt: „Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, im Paradies zu leben und das Gefälle zwischen Realität und Idealität nicht zu kennen. Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, nur eine Option zu haben, aber nicht darunter zu leiden. Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, wenn jemand sagt: ‚Du kannst genauso bleiben, wie du bist, es ist gut.‘ “

      Doch! All das können wir uns nicht nur vorstellen. Wir möchten es in unserem tiefsten Wesen, wenn wir unser inneres Auge und unsere inneren Ohren öffnen und Begriffe wie (vermeintliche) Realität und (vorgestellte) Idealität, unsere Vorstellungen von (angeblich nur in bestimmter Weise, nämlich bei alternativen Möglichkeiten existierender) Freiheit und unsere ständigen von uns selbst oder von anderen angetriebenen Versuche, „besser“ sein zu wollen, einfach sein lassen. Seinlassen, was sie allesamt in Wirklichkeit oftmals nur sind, nämlich Hindernisse für unser schlichtes, situationsgerechtes, mitfühlendes und weise präsentes Menschsein, das sich verwirklichen will.

      Dies zu durchschauen und es Sein-Lassen eröffnet Leben ohne Gefälle zwischen Haben und Sein, eröffnet Erfahrung von Freiheit und Angstlosigkeit, auch wenn wir keine anderen Optionen haben, wie zum Beispiel in der letztlich für uns alle schwierigsten Situation des Sterbenmüssens. Sein-Lassen will uns die wundervoll von ganz tief herkommende und uns berührende Möglichkeit der Erfahrung von: „Es ist gut so, so wie du gerade bist“ schenken.

      „Und er sah, dass es gut war“, so heißt es im biblischen Schöpfungsbericht der Genesis (Genesis 1, 1-2, 4a).

      Dahin zu kommen, geht in einem immer mehr zentrierten Üben und Leben, welches nicht „abgestoßen [ist] vom Hier, auf der Flucht … zerstäubt in einem Schwarm der Aufmerksamkeiten, in einem dezentrierten Leben“, wie in unserem Interview vom Reporter aus der Vermächtnisschrift von Roger Willemsen „Wer wir waren“ zitiert wird.

      Kein „Schwarm von Aufmerksamkeiten“ also, sondern nur eine Aufmerksamkeit auf das „Gerade dies“ des Zen-Meisters Yunyan27 zu Dongshan28.

      Dazu ist folgendes überliefert29:

      Nachdem Dongshan bei Yunyan einige Zeit Zen geübt hatte, fragte er kurz vor seiner Abreise auf dem Weg zu anderen Zen-Meistern Yunyan: „Wenn ich später einmal aufgefordert werden sollte, Eure Realisierung und Euer Lehren zu beschreiben, was soll ich antworten?“ Nach einer gewissen Pause sagte Yunyan: „Just this is it.“

      In der Erzählung heißt es weiter, dass Dongshan daraufhin in Gedanken verloren war und Yunyan ihm mitgab: „Du bist nun für diese große Sache verantwortlich; sei äußerst gründlich.“ Ohne weiteren Kommentar verließ Dongshan das Kloster. Später musste er einen Fluss durchwaten. Er schaute auf das Wasser, sah sein Spiegelbild darin und erwachte zur Bedeutung seines Austausches mit Yunyan. Daraufhin schrieb er die folgenden berühmten Zeilen:

       „Just don’t seek from others, or you’ll be far estranged from self.

      I now go alone; everywhere I meet it.

       It is now me; I now am not it.

       One must understand in this way to merge with suchness.”

      Dieses „dies“, dieses „es“ sollten auch wir ergründen, wenn wir uns für diese große Sache verantwortlich zeigen wollen. Ergründen „wie ein neu geborenes Kind“, von dem Dongshan in seinem späteren Gedicht, dem Hôkyo Zanmai, schreibt30:

       Like facing a jewel mirror; form and function behold each other.

       You are not it; but in truth it is you.

       Like a newborn child, it is fully endowed with five aspects:

       No going, no coming, no arising, no abiding;

       “Baba wawa” – is anything said or not?

       In the end it says nothing, for the words are not yet right.

      Ganz in Ruhe!

      27 807-869 n. Chr.; jap.: Tôzan Ryôkai.

      28 780-841 n. Chr.; jap.: Ungan Donjô.

      29 Vgl. Taigen Dan Leighton, in: „Just this is it – Dongshan and the Practice of Suchness“, 2015, S. 34, m.w.N.

      30 Vgl. dazu in: Finde tiefen Glauben in dir selbst – ZEN-Koans in heutiger Zeit, 2018, S. 356, m.w.N.

       05

       Lernen, einen Schritt zurückzutreten

      Das einmalige Ertönen der Klangschale gerade beinhaltete die Aufforderung: „Wendet euch bitte zur Mitte!“ Es ist der normale Ablauf der wöchentlichen Abendmeditation. Also brauchen wir diese Bitte nicht noch zusätzlich in Worte zu fassen.

      „Wendet euch bitte zur Mitte!“ Das ist ja nicht nur die Aufforderung, sich äußerlich zur Mitte dieses Meditationsraumes umzudrehen. Diese Aufforderung hat auch eine andere Richtung, eine andere Dimension im Blick: „Wende du dich zu deiner Mitte!“ Dieses zunächst ganz wörtlich, ganz körperlich! Und diese Bitte steht damit nicht erst am Schluss der Meditation, sondern schon ganz am Beginn: „Wende dich um!“

      Diese Bitte geht dabei noch eine „Etage“ tiefer, d.h. noch mehr nach innen, in den Bereich, den unsere Sinne und körperlichen wie geistigen Empfindungen nicht mehr ganz erfassen können, in den Bereich, der durch sie quasi hindurchführt.

      Was meine ich damit? Ich möchte es versuchen zu illustrieren – notwendigerweise nur begrenzt und unvollkommen möglich.

      „Ummon sagte den versammelten Mönchen: ‚Mitten im Universum gibt es zwischen Himmel und Erde einen einzigartigen kostbaren. Schatz. Verborgen liegt er in der Gestalt eines Berges.‘“ So beginnt ein Koan31.

      Mit der Gestalt eines Berges ist, wie Yamada Kôun Roshi kommentiert, unser Körper gemeint32. Meister Ummon spricht auf diese Weise von der wesenhaften Wahrheit. „Der einzigartige Schatz wohnt in der Form vieler Berge.“33

      Lasst uns schauen, was Dôgen Zenji dazu sagte. In seinen berühmten Allgemeinen Richtlinien für Zazen (Kapitel Fukanzazengi im Shôbôgenzô) heißt es: „Ihr solltet aufhören, nach rationalen Erklä-rungen zu suchen und Wörtern nachzulaufen. Lernt vielmehr, einen Schritt zurückzutreten,

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