Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig

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Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig

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einstigen Dinge, die längst aus den andern Großstädten verschwunden sind. Zwar steuern die Automobile puffend die Straßen entlang, aber in der Altstadt schleppen noch Maultiere auf schaukelnden Sätteln Früchte und Holz, Lastesel kann man hier noch nach der Stunde zur Beförderung mieten wie Autos in einer modernen Stadt, und am Hafen wird die Fracht wie zu römischen und phönizischen Zeiten nicht durch künstliche Krane sondern auf dem Rücken der Lastträger in die Schiffe geholt. Die Verkäufer mit ihren breitkrempigen Strohhüten tragen wie eine ungeheure Waage auf ihren Schultern die Stange, von der rechts und links die Ware niederhängt, auf dem nächtlichen Markt sitzen bei Kerzen oder Acetylenflammen die Händler auf der bloßen Erde inmitten Bergen von Orangen, Kürbissen, Bananen und Kokosnüssen. Während an ihren steinernen Kais die Ozeandampfer groß und mächtig liegen, schaukeln noch am Ufer die Segelschiffe, die von und zu den Inseln fahren, schmal, schlank und leicht, ein schwankender Wald von Masten. Und sogar die Sangadas sieht man noch, die Kanoes der alten Brasilianer, eine Kuriosität ohnegleichen. Eigentlich ist es nur ein Floß, aus drei oder vier Baumstämmen ohne jede Kunst zusammengenagelt und darauf ein enger Sitz, nichts Primitiveres kann man sich erdenken. Aber mit diesen winzigen Flößen steuern die Leute verwegen weit hinaus ins Meer man kann es nicht fassen – und man erzählt die heitere Geschichte, wie ein amerikanischer Dampfer, als er ein solches Floß mit seinem armen Segel weitab vom Lande sah, sofort beigedreht habe in der Meinung, er müsse Schiffbrüchige retten. Alles spielt hier in den buntesten Formen durcheinander, heute und gestern. Da ist die alte Universität mit ihrer hochberühmten Fakultät, die älteste des Reiches, die Bibliothek und der Palast und die Hotels und der moderne Sportklub. Und zwei Straßen weiter, und man lebt in portugiesischer Sphäre; kleine, niedere Häuschen, überfüllt mit Menschen und Leben, die tausend Formen des Handwerks und bald dahinter schon die mocambos, die Negerhütten zwischen ihren Bananensträuchern und Brotbäumen. Da sind asphaltene Straßen und daneben das katzenköpfige Pflaster verschollener Zeiten; in zwei, in drei, in vier verschiedenen Jahrhunderten kann man in Bahia innerhalb von zehn Minuten zugleich sein, und jedes wirkt gleich echt und natürlich. Denn das ist der eigentliche Zauber von Bahia: alles ist hier noch echt und unbeabsichtigt; die sogenannten »Sehenswürdigkeiten« drängen sich dem Fremden nicht auf, sie sind unmerklich eingeschmolzen in das Ensemble. Alt und neu, heute und gestern, vornehm und primitiv, 1600 und 1940, all das fließt ineinander in ein einziges flutendes Bild, das überdies noch umrahmt ist von einer der friedlichsten, der lieblichsten Landschaften der Welt.

      Das Pittoreskeste im ständig Pittoresken sind die Bahianerinnen, die mächtigen dunkeläugigen Negerinnen mit ihrer eigenartigen Tracht. Man kann es eigentlich nicht Kostüm nennen, denn Kostüm meint schon ein in bestimmter Absicht oder bei bestimmtem Anlaß getragenes Kleid. Aber die Bahianerinnen, auch die ärmsten, tragen immer ihre Tracht, tragen sie Tag für Tag, und man kann sich keine pompösere erdenken. Sie ist mit nichts vergleichbar, nicht afrikanisch und nicht orientalisch und nicht portugiesisch, sondern alles zugleich. Ein farbiger Turban im Haar, mit raffinierter Kunst geschlungen, rot, grün, gelb, blau oder gefleckt, aber immer grell, eine bunte Bluse wie die der slovakischen und ungarischen Bäuerinnen, darunter glockenförmig ausschwingend ein gesteifter, riesig breiter Rock – man kann den Verdacht nicht loswerden, die Sklavenahnen dieser Negerinnen hätten im Zeitalter des Reifrocks bei ihren portugiesischen Damen diese Krinolinen gesehen und als Sinnbild vornehmer Pracht in ihren billigen Kattunkleidern bewahrt. Ein Tuch noch über die Schulter, dramatisch geworfen, das auch gleichzeitig als Unterlage dient, wenn sie auf dem Haupt die Wasserkrüge oder mächtige Körbe tragen, ein paar klirrende Armbänder aus billigem Metall: so geht jede dieser schwarzen Bahianerinnen, aber jede in anderen Farben, anderen grellen Nuancen durch die Straßen. Doch das Imposante liegt eigentlich gar nicht im Kostüm, es ist die Haltung, in der sie es tragen, ihr Gang, ihr Gehaben. Sie sitzen auf dem Markte oder auf einer schmutzigen Schwelle; aber wie einen Königsmantel schlagen sie den weiten bauschigen Rock unter sich rund, daß sie wie in einer riesigen Blume zu sitzen scheinen. In dieser imposanten Haltung verkaufen diese schwarzen Fürstinnen die allerbilligste Ware auf Erden, kleine, fette oder würzige Bäckereien, die sie an einem Holzkohlenherdchen zubereiten – derart billige kleine Küchelchen und Fischragout, daß ein Blatt Papier, um sie einzuwickeln, schon zu kostspielig wäre. In einem grünen Palmblatt reicht es die schwarze, mit den Armbändern leise klingende Hand einem hin. Und ebenso majestätisch ihr Schreiten wie ihr Sitzen. Auf dem Kopf tragen sie Zentnerlast, Körbe mit Wäsche oder Fischen oder Obst, aber es ist Augenlust zu sehen, wie sie damit durch die Straßen gehen, stolz erhoben der Nacken, die Hände zu beiden Seiten in die Hüften gestützt, den Blick ernst und frei: ein Regisseur, der ein Königsdrama vorbereitet, könnte von diesen schwarzen Fürstinnen des Markts und der Küche viel lernen. Abends wenn man sie sieht in ihren dunklen Küchen, nur farbig erleuchtet von den Flammen, geheimnisvoll eifrig die sonderbaren Gerichte brauend, muß man an vorweltliche Zaubereien denken: nein, es gibt nichts Pittoreskeres als die Negerinnen von Bahia, nichts Bunteres, Echteres, natürlich Belebteres als die Straßen dieser Stadt. Hier und nur hier kennt und versteht man Brasilien.

      Bahia: Kirchen und Feste

      Bahia ist nicht nur die Stadt der Farben: sie ist auch die Stadt der Kirchen, Brasiliens Rom. Daß sie so viele besitzt wie Tage im Jahr, mag ebenso eine Übertreibung sein, als daß sich Rio in seiner Bucht von Guanabara 365 Inseln zuzählt. In Wirklichkeit dürften es etwa achtzig sein. Aber sie beherrschen die Stadt. Sonst ist in großen Metropolen die zum Himmel aufragende Linie der alten Kirchen längst überhöht durch die Hochhäuser und modernen Bauten – nichts symbolischer vielleicht als jene alte Kirche bei der Wall Street in New York, die, einstmals die Straße beherrschend, sich ganz verschüchtert in den Schatten der Bankpaläste drückt. In Bahia aber beherrschen die Kirchen noch die Stadt. Sie stehen hoch und imposant auf ihren freien Plätzen, von ihren Klöstern und Gärten umringt, jede einem andern Schirmherrn geweiht, Franciscus, Benedictus oder Ignazius. Mit ihnen hat die Stadt begonnen; sie sind älter als der Palast des Gouverneurs und die vornehmen Häuser. Um sie hat sich die Niederlassung, Gottes Schutz in dem neuen Lande anflehend, geschart, und wenn die Seeleute, die nach Wochen und Wochen zwiefachen Blaus endlich Land erblickten, sahen sie als erstes die fromme Geste der hocherhobenen Türme. Und ihr erster dankbarer Weg ging für die Gnade der glücklichen Überfahrt ihrem Gotte zu danken.

      Die mächtigste, nicht die schönste dieser Kirchen ist die Kathedrale, die sich an das alte Kolleg der Jesuiten lehnt, die Kirche der großen Erinnerungen, unter deren Fliesen Mem de Sá, der erste Gouverneur, begraben liegt, und von deren Kanzeln Padre António Vieira gepredigt. Sie ist die erste Brasiliens und wohl auch Südamerikas, deren Eingang mit echtem Marmor bedeckt ist; dieselben Schiffe, die Zucker aus Bahia frachteten, brachten auf der Rückreise den kostbaren Stein zurück. Denn nichts war diesen Männern des Glaubens zu kostbar für ihre Kirchen. Eng und düster, nieder und schmutzig starrten die Straßen, neun Zehntel der dunklen Bevölkerung hauste in Hütten und Mocambos. Aber die Kirche in diesem fernen Land, das keinen Luxus kannte, sollte alle Pracht haben; so brachte man die blauen Terrakotten, die azulejos, um die Wände zu schmücken, das Gold aus Minas Gerais hüllte das dunkle Holz in blendendes Licht. Und dann kam der Wettstreit der Orden. Hatten die Jesuiten eine weiträumige, pompöse Kirche, so wollten die Franziskaner eine noch schönere haben. Tatsächlich ist São Francisco noch reiner, weil schlichter in den Proportionen; welcher Zauber in seinen Klostergängen: die Wände mit Azulejos leuchtend, die Räume mit kostbarem Schnitzwerk aus Jacarandá geschmückt, die Decken getäfelt und in jeder Einzelheit das Walten eines besonnenen kultivierten Geschmacks! Aber auch die Karmeliter wollten ihre Kirche nicht minder schön und die Benediktiner, und dann kamen die Neger und wollten die ihre mit einer dunklen Madonna und dem Heiligen ihrer Farbe; so sind Kirchen und Klöster heute überall, kaum kann man eine größere Straße durchwandern, ohne auf eine zu stoßen, die nicht ihren antiquarischen Reiz hätte. Für jeden Gläubigen, der seine Andacht verrichten wollte, war in der einstigen Kolonie Raum zu jeder Stunde des Tags. Heute sind es dank jenes frommen Wettstreits sogar zuviel der Kirchen, um sie jemals gänzlich zu füllen und man brauchte Tage und Tage, um jede einzelne in all ihren Eigenheiten und Einzelheiten zu bewundern.

      Diese Fülle der Kirchen (sie sind in den neueren Städten Brasiliens eher selten im Vergleich zu Europa) überraschte mich. Und ich fragte den freundlichen Geistlichen, der mich

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