Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig

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Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig

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stützen ihm den unsicheren Stand seiner verstümmelten Füße, sie binden ihm an die fingerlosen Hände den Meißel, den Pinsel, damit er arbeiten kann, und erst wenn die Dunkelheit niedergesunken ist, führen sie ihn in der Sänfte wieder in sein Haus zurück. Denn der »Aleijadinho« weiß um das Grauen, das von ihm ausgeht. Er will keinen Menschen sehen und von keinen Menschen gesehen werden. Er will nur seine Arbeit, die ihn vergessen läßt an sein dunkles, sein unerträgliches Schicksal, er lebt nur für seine Arbeit und lebt nur für sie und durch sie bis zu seinem vierundachtzigsten Jahr.

      Erschütternde Tragödie eines Künstlers, in dessen düsterer Seele vielleicht ein wahrhaftes Genie verschlossen war, und dem ein böswilliges Schicksal versagte, seine letzten, seine eigentlichen Möglichkeiten zu entfalten. Vielleicht war in diesem verstümmelten Mulatten tatsächlich ein Bildhauer trächtig, dessen Werke der ganzen Welt gegolten hätten. Aber in ein abgelegenes Bergdorf mitten in tropische Einsamkeit verschlagen, ohne Lehrer, ohne Meister, ohne mithelfende Kameraden, ohne Kenntnis, ja ohne Ahnung der großen Vorbilder kann dieser arme Bastard nur mühsam und auf unsicheren Wegen sich wirklich gültiger Leistung annähern. Einsam wie Robinson auf seinem Eiland in der kulturellen Wildnis seines Goldgräberdorfs hat Lisboa nie eine griechische Statue gesehen, nie selbst eine Nachbildung Donatellos oder eines seiner Zeitgenossen. Er hat nie die weiße Fläche des Marmors gefühlt, er kennt nicht die fördernde Hilfe des Erzgießers; nie steht ein Mitbruder ihm zur Seite, ihn die Gesetze der Kunst zu lehren und die von Generation zu Generation überlieferten Geheimnisse der Werktechnik. Wo die andern sich fördern durch Zuspruch, sich steigern durch ehrgeizigen Wettbewerb, steht er allein in einer seelenmörderischen Einsamkeit und muß suchen, erarbeiten, erfinden, was die anderen seit Jahrhunderten längst fertig und vollendet vorgefunden. Aber der Haß gegen die Menschen, der Abscheu vor seiner eigenen widrigen Gestalt treibt ihn tiefer und tiefer in die Arbeit hinein und auf qualvoll langsamem Wege sich selber entgegen. Während seine ornamentalen Plastiken nur geschmackvoll, nur handwerklich kunstvoll sind, aber in den Figuren im leeren Schema des Barock beharren, erreicht er im siebzigsten, im achtzigsten Jahr eigenes persönliches Format. Die zwölf großen Statuen in pedra de sabão, in jenem merkwürdigen weichen, aber der Zeit standhaltenden Seifenstein, welche den Stiegenaufgang der Kirche von Congonhas krönen, haben trotz all ihrer technischen Fehler und Unbeholfenheiten volle Wucht und Gewalt. Genial in die Szenerie hineinkomponiert, atmen sie hier im Freien (während sie in der Gipsrepoduktion in Rio de Janeiro starr wirken) in starker Bewegung; eine wilde Seele offenbart sich in ihren herrischen und ekstatischen Gesten. Mühe und Qual eines dunklen und verstümmelten Lebens ist in ihnen zum Kunstwerk oder zumindest zu Kunstwirkung erlöst.

      Auch die andern – zum Teil namenlosen – Künstler jener Kirchen hatten unermeßliche Schwierigkeiten zu überwinden. Es waren nicht die Quadern zur Stelle, um den Gebäuden die volle Wucht zu verleihen, nicht der Marmor, nicht die Werkzeuge, um ihn zu behauen; aber sie hatten das Gold, und sie hatten es im Überfluß. Sie konnten die hölzernen Balustraden, die Rahmen, das Schnitzwerk aufleuchten lassen in dem kostbaren Erz, und so strahlen diese Altäre in schimmerndem Glanz. Man kann es sich denken, wie die ersten Ansiedler, die in kümmerlichen Hausungen wohnten, die kaum ein Bett hatten und nichts außer ihrem Kleid, ihrem Dolch und ihrem Spaten, stolz waren, daß plötzlich diese weißen Kirchen mit aller Pracht der Bilder und Werke ihnen eine Ahnung von überirdischer Schönheit in ihr wildes und zügelloses Leben brachten. Bald wollten auch die schwarzen Negersklaven nicht zurückstehen. Auch sie wollten ihre Kirchen, in denen die Heiligen dunkelfarben sein sollten wie sie selbst, und sie brachten ihre geringen Ersparnisse, sich gleichfalls eine solche Herrlichkeit zu erbauen. So entstand auf dem anderen Flügel von Ouro Preto die Kirche Santa Ifigenia, gestiftet von »Chico Rei«, einem Negersklaven, der in Afrika Fürst seines Stammes gewesen und durch besonders glückliche Goldfunde sich und die Sklaven seines Stammes freigekauft. Dieser Kranz von Kirchen leuchtet heute mitten im einsamen Bergland und über den verschollenen Städten ein einziger Anblick und ein wahrhafter Augentrost. Denn was der Fluß in ewiger Mühe herangeschwemmt, was die dunklen Berge von ihren Schätzen, den längst noch nicht ganz gehobenen, gegeben, hat sich in den edelsten und dauerhaftesten Wert dieser Erde verwandelt: in Schönheit. Längst sind die Städte, die Siedler verschwunden aus diesen wieder vereinsamten Tälern, aber die Kirchen sind geblieben als Wächter und Zeugen vergangener Größe. Ouro Preto, in seiner düsteren Verfallenheit das Toledo Brasiliens, und Congonhas, lieblicher gelegen und von milden Palmen gekrönt, sein Orvieto oder Assisi, haben der Zeit Trotz geboten, indem sie die Vergangenheit treu bewahrten. Mit Recht hat sich Brasilien entschlossen, dies kostbare Vermächtnis unversehrt als »nationales Denkmal« zu erhalten, um so mehr als Ouro Preto auch in seiner nationalen Geschichte durch die Verschwörung der Inconfidência Mineira ein Ort der Pilgerschaft geworden ist. Diese Städte gesehen zu haben, ist ein Erlebnis besonderer Art und nicht bloß eine Augen- und Seelenfreude. Denn geheimnisvoll fühlt man an ihrer eigentlich unverständlichen Existenz die vielfältige Magie dieses gelben Metalls, das Städte in die Wildnis stellt, in den wüstesten Freibeutern Sehnsucht nach Kunst erregt, das hier wie immer die guten Instinkte anreizt wie die schlimmen, und, selber kalt und schwer, in dem Blut und den Sinnen der Menschen die heißesten und heiligsten Träume erregt – dieses geheimnisvollen und unzerstörbaren Wahns, der aber- und abermals die Welt verwirrt.

      Mit einem letzten Blick auf diese romantisch düsteren Hügel mit ihren wie Engelsschwingen sie überschwebenden Kirchen hat man diese eigenartige Welt verlassen, die der trügerische Glanz des Goldes vor Jahrhunderten wie eine Fata Morgana in den leeren Raum gezaubert hat. Aber man will nicht aus diesen Tälern des Goldes, ohne mit eigenen Augen wenigstens einen Schimmer oder eine Spur des geheimnisvollen Elements gesehen zu haben, das die Menschen hierhergetrieben, man will nicht aus der Goldwelt, ohne Gold berührt, betastet zu haben. Die Gelegenheit scheint leicht gegeben. Denn ab und zu im Vorüberfahren sieht man noch einen Mann mit beiden Füßen tief im Rio das Velhas stehen und nach alter Weise den Sand im Siebe schütteln; auch dies hat sich nicht geändert in zweihundert Jahren: noch immer versuchen hier arme und keineswegs mehr romantische Goldgräber ihr Glück, denn es ist jedem verstattet, nach alter Weise dem Schwemmgold nachzuspüren. Gerne hätte ich einem dieser armen Glückssucher bei dieser mühseligen Arbeit zugesehen; aber man warnte mich, nicht meine Zeit zu vergeuden. Denn Stunden und Stunden, ja oft Tage und Tage schütteln diese Ärmsten der Armen vergeblich das Sieb und schöpfen sinnlos den leeren Sand. Und es bedeutet schon eine besondere Glücksstunde, wenn einer endlich ein einziges gelbes winziges Körnchen in seinem Siebe findet. Davon kann er wieder notdürftig ein paar Tage leben, um so Woche für Woche weiter zu schütteln und zu suchen; es ist ein tragisches, ein verzweifeltes Bemühen geworden, hier noch im angeschwemmten Sande nach Gold zu suchen. Während die garimpeiros, die Diamantensucher ein guter Fund manchmal für Jahre entschädigt, sind diese Franktireurs der Goldjagd schlimmer daran als der ärmste Arbeiter. Goldgewinn ist längst nurmehr in organisierter und kollektiver Weise möglich wie in den modernen Minen von Morro Velho und Espirito Santo, die von englischen Ingenieuren geleitet und von amerikanischen Maschinen bedient werden. Es ist ein ungemein komplizierter, aber aufregend sehenswerter Betrieb, der einen vom Tageslicht tief in die Unterwelt führt; das Gold von Minas hat sich, seit es sie in ihrer Wildheit kennenlernte, vor den Menschen längst in die Felsen verkrochen. Es will sich nicht mehr leicht greifen und fassen lassen, aber in den Hunderten Jahren der Jagd ist der Mensch auch hundertfach geschickter und raffinierter geworden als seine Ahnen. Er hat sich mit der Technik eine wirksame Waffe erfunden, und in tiefen und immer tieferen Stollen arbeiten sich nun stählerne Hände an das boshafte Metall heran; über zweitausend Meter sind die Schächte schon hinuntergewühlt in den Berg, und nicht Minuten, sondern Stunden dauert es, ehe man im Aufzug den untersten Stollen erreicht. Dort geschieht die große Arbeit. Mit elektrischen Bohrern wird das dunkle Gestein abgesprengt und auf Schienenwegen in Karren von Eseln zum Aufzug geschleppt – von armen grauen Eseln, die dort als lebenslänglich Gefangene in den elektrisch erhellten Schächten zu arbeiten und zu schlafen für immer verurteilt sind, auch sie wie die Menschen Sklaven und Opfer des Golds. Nur dreimal im Jahr, zu Ostern, zu Pfingsten, zu Weihnachten dürfen sie, wenn der Betrieb ruht, für einen einzigen Tag in die obere Welt empor, und kaum sie das Sonnenlicht sehen, beginnen die rührenden Tiere jubelnd zu schreien, zu springen und wälzen sich vor Wollust auf dem Rücken aus Freude an dem wirklichen, an dem so lang entbehrten Licht. Aber was in diesen Karren emporgeschafft wird,

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