Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig

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Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig

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in unermüdlichen Biegungen und Wendungen, steigend und fallend, immer wieder durch Bergland; an manchen Stellen klimmt sie tausend und sogar vierzehnhundert Meter hoch zu ragenden Gipfeln, und dann überblickt man ein Panorama, das in seiner Großartigkeit nur der Schweiz vergleichbar ist: Hügel an Hügel in erstarrten riesigen Wellen, ein anderer grüner, unendlicher Ozean aus Stein und Wald. Stark und duftend fährt der Wind über diese Höhen dahin, und sein stilles Sausen ist der einzige Ton in dieser Einsamkeit. Kein Wagen auf dem Wege, kaum eine Hütte auf stundenlanger Fahrt, kein bestelltes Feld, kein Glockenruf, kein Vogelsang – immer nur der Urton des Anfangs in dieser leeren, unbeseelten Welt, die den Menschen noch nicht zu kennen scheint. Aber dennoch liegt in dieser einsamen, wildschönen Landschaft etwas, was die Phantasie merkwürdig irritiert; man spürt, daß hier in Erde und Stein und Fluß ein besonderes Geheimnis sich verbirgt. Ein merkwürdiges Leuchten geht von den Bruchstellen der Berge aus, ein Funkeln von Erz und Metall. Selbst ohne daß man es von Buch und Bildung wüßte, ahnt man an dem schillernden Glanz, daß diese Berge Erz in sich schließen, einen noch ungehobenen und kaum errechenbaren Reichtum an Metall. Denn schon die Straße selbst verrät ihn mit ihrem pulvrigen Lehm, der von Eisen so dunkelrot gesättigt ist, daß bereits nach kurzer Fahrt das Automobil purpurn leuchtet wie der feurige Wagen Elias‘. Und es verrät ihn der Fluß, der Rio das Velhas, der schwer und satt den glitzernden Sand mit sich hinschwemmt; funkelnde Unterwelt voll kostbarer Quarze ist hier verborgen, und Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte wird es dauern, ehe sie sich aufschließt der menschlichen Ungeduld. Aber noch stört kein Spatenschlag, kein Maschinenrattern die Einsamkeit; hinauf, hinab geht der Weg durch das steinerne Gewinde, hinauf, hinab, und schon ist man derart gewöhnt an diese großartige Unbeseeltheit, daß man menschliche Siedlung erst wieder im Talland erwartet: hier oben, so meint man, lebt niemand und hat niemals ein Mensch gewohnt.

      Da plötzlich an einer Kurve leuchtet etwas auf wie ein weißer Doppelblitz: die beiden hellen Türme einer schlanken schönen Kirche. Und man erschrickt fast vor diesem jähen Einbruch menschlicher Vollendung in diese harte strenge Einsamkeit. Aber da, am Nachbarhügel, ebenso leicht und schlank und weiß, eine zweite, eine dritte. Es sind die elf Kirchen, die die einstige mächtige Stadt Vila Rica beschirmten und nun das kleine schlafende Städtchen Ouro Preto. Sie bieten zuerst einen unwirklichen Eindruck, diese ragenden Kirchen, die frei und stolz ihre Schönheit in den Himmel heben, während unter ihnen etwas klein und ungewiß liegt wie ein vergessener oder weggeworfener Überrest – diese wie vom Vogel Greif des Märchens hierhergetragene Stadt, die plötzlich müde geworden war und, ausgeblutet von ihren Menschen, sich nicht mehr aus ihrer Erschöpfung aufrichten konnte. Nichts hat sich hier geändert, während in Rio de Janeiro, in São Paulo man jede Stunde ein neues Haus baut und sich sonst überall die Dimensionen mit tropischer Wachstumskraft ins Phantastische vermehren; auf dem Hauptplatz mit dem einstigen Palast des Gouverneurs, der über hunderttausend Menschen gebot, schatten ein paar Leute vorüber und verlieren sich in den engen holprigen Nebengassen, Maulesel traben genau wie zur Kolonialzeit in langen Zügen, einer hinter dem andern mit ihrer Last von Holz, in dunklen Stuben arbeitet der Schuster mit gleichem Pech und Draht und Werkzeug, wie sein Urahn als Sklave oder Sklavensohn es getan. Die Häuser scheinen so müde, daß man meint, sie lehnten sich nur so nah und nieder aneinander, um eines das andere zu stützen; ihr Verputz ist so alt und grau, so abgeblättert und zerfaltet wie ein Greisenantlitz. Man weiß, auf dem steinigen, stockigen Pflaster, in dem hier und in Mariana die Gäßchen auf und nieder steigen, sind die Schritte der Großväter und Ahnen derselben Menschen im gleichen Kleid zu gleichem Werk gegangen; spät am Abend scheint es einem gespenstischerweise, als wären es noch die Menschen von einst oder ihre Schatten. Manchmal wundert man sich, daß die Glocken an den Kirchen die Stunden zählen, denn wozu sie zählen, die Zeit, wenn sie stille steht und stockt? Hundert Jahre, zweihundert Jahre scheinen hier nicht mehr als ein Tag. Man kommt zum Beispiel vorbei an einer Reihe verbrannter Häuser; ohne Dach, ohne Holzsparren stehen rauchgeschwärzt die nackten und halb niedergefallenen Mauern. Ein Feuer, so glaubt man, hätte dort vor einer Woche, vor einem Monat gewütet, und man habe sich noch nicht die Mühe genommen, den Schutt wegzuräumen. Aber dann wird man belehrt, es seien dies doch die Häuser, die im Juli 1720 der Gouverneur Conde de Assumar niederbrennen ließ. Seit diesen 220 Jahren hat sich keine Hand gerührt, weder sie neu aufzubauen noch sie niederzureißen. Alles ist geblieben in Ouro Preto, in Mariana, in Sabará, wie es war zur Zeit der Sklaven und des Goldes. Mit unsichtbaren Flügeln, ohne sie zu berühren, ist die Zeit über die verlassenen Goldstädte dahingefahren.

      Aber gerade dieses Stehenbleiben in der Zeit gibt heute diesen verlassenen Schwesterstädten von Ouro Preto, Mariana, Sabará, Congonhas do Campo und São João d‘El-Rei ihren einzigartigen Reiz. Wie sonst in einem Museum hinter gläserner Vitrine ist hier inmitten einer vielfältigen Landschaft das Bildnis der kolonialen Zeit und Kultur derart unversehrt bewahrt wie an keiner anderen Stelle Amerikas und vielleicht noch eindrucksvoller als an jedem anderen Ort; diese alten Minenstädte sind heute das Toledo, das Venedig, das Salzburg, das Aigues-Mortes Brasiliens, bildhaft gewordene Geschichte und dazu noch Geschichte einer eigenartigen nationalen Kultur. Denn – so unwahrscheinlich es klingt – in diesen abgelegenen, damals durch keine Straße mit der Küste, mit der Welt verbundenen Städten, in denen nur wilde, ungebildete, einzig nach Gold und raschem Gewinn gierige Abenteurer sich zusammengerottet hatten, war in der kurzen Zeit der Blüte eine ganz persönliche Kunst entstanden; die Kirchen und Kapellen dieser fünf Städte, von einer einzigen Gilde ansässiger Künstler geschaffen, gehören zu den eigenartigsten Denkmälern der kolonialen Vergangenheit, die der neue Weltteil besitzt, und die gesehen zu haben, auch eine ziemlich umständliche Reise lohnt.

      An und für sich haben diese hellen, schön proportionierten Kirchen, die sich von den Hügeln von Ouro Preto, von Sabará, von Congonhas, von Mariana brüderlich grüßen, keine neuen Linien, keine bodenständige, keine typisch brasilianische Architektur. Sie sind alle in dem sogenannten jesuitischen Barock erbaut und die Pläne wohl aus Portugal herübergekommen; auch an Reichtum der Ausstattung werden sie von den Kirchen São Bento und São Francisco in Rio de Janeiro, an Alter und Ehrwürdigkeit wiederum von jenen in Bahia übertroffen. Was sie sehenswert und unvergeßlich macht, ist die harmonische Art, in der sie sich in eine völlig leere Landschaft hineinkomponieren, und ihre Einzigartigkeit besteht in dem Wunder, daß solche großzügige, kunstvolle Bauten in dieser damals völlig von der zivilisierten Welt abgelegenen Zone überhaupt entstehen konnten – in dem noch heute nicht ganz erklärlichen Wunder, daß innerhalb dieser eilig herangeschwemmten Rotte von Goldgräbern, Abenteurern und Sklavenhorden sich eine kleine Gilde einheimischer Künstler und Werkleute fand, die fähig waren in vollkommener und persönlicher Weise diesen Kirchen diese reiche plastische und malerische Ausschmückung zu geben. Woher sie gekommen und wie sie sich zum Werke gefunden, diese wandernde Gilde, die viele Meilen weit von einer Goldstadt zur andern zog, um dort in organischer Gemeinschaft diese weithin leuchtenden Denkmäler der Frömmigkeit über die gierige Fron des Goldes zu erheben, wird vielleicht für immer ein Geheimnis bleiben; nur eine Gestalt tritt plastisch aus dieser Gruppe hervor, der Plastiker dieses schaffenden Kreises – Antonio Francisco Lisboa, genannt o Aleijadinho, der Verstümmelte.

      Dieser Aleijadinho ist der erste wirklich brasilianische Künstler und schon deshalb typisch brasilianisch, weil ein Mischling, der Sohn eines portugiesischen Zimmermeisters und einer Negersklavin. In Ouro Preto 1730 geboren, zu einer Zeit, da die Stadt noch nichts war als ein Gewirr hastig herangefluteter Menschen, ohne richtige Häuser, ohne steinerne Kirchen und Paläste, wächst er auf ohne Lehrer, ohne Meister und ohne die flüchtigsten Elemente der Bildung. Was den andern an diesem kleinen wilden Mulatten zunächst auffällt, ist seine dämonische Häßlichkeit, die ihm eine Art Bastardbruderschaft zu Michelangelo gibt, dessen Namen er wahrscheinlich nie vernommen, und von dem er niemals ein Werk gesehen. Mit seinen dicken hängenden Negerlippen, seinen großen Schlappohren, seinen entzündeten und immer zornig blickenden Augen, seinem völlig zahnlosen und schiefen Mund, seinem verkrümmten Körper muß er schon in seiner Jugend einen so widrigen Anblick geboten haben, daß – wie die Chroniken schildern – jeder erschrak, der ihm unvermuteterweise begegnete. Dazu kommt noch von seinem sechsundvierzigsten Jahre jene grauenhafte Krankheit, die ihn verstümmelt und ihm erst die Zehen von den Füßen und dann die Fingerglieder wegfrißt. Aber keine Verstümmlung kann den so grausam von der Natur Gezeichneten

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