Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig страница 49
Aber ebenso irrlichthaft, wie er aufgetaucht, verschwindet der trügerische Zauber. Das Gold des Rio das Velhas war nur Schwemmgold, Alluvialgold gewesen, und nach fünfzig Jahren ist die kostbare Oberfläche abgeschöpft. Um das tückische Metall aus der Tiefe der Felsen zu holen, von denen Jahrhunderte oder vielleicht Jahrtausende es in unsichtbarer Arbeit zu Sand zerrieben haben, fehlen diesen primitiven Goldwäschern die Kraft, das Werkzeug und vor allem die Geduld. Eine Zeitlang versuchen sie direkt in den Felsen Stollen zu treiben, um an das kostbare Metall zu gelangen, aber die Mühe bleibt vergeblich, und bald verläuft sich der nomadische Schwarm. Die Neger werden in die Zuckerplantagen zurückgetrieben, einzelne der Abenteurer machen sich in der »matta«, den tiefergelegenen, fruchtbaren Tälern seßhaft; nach ein oder zwei Jahrzehnten sind die Goldstädte verlassen. Die Lehmhütten, wo die Tausenden von Sklaven hausten, sinken spurlos in die Erde zurück, Wind und Regen verschwemmen die Strohdächer, die sie deckten, die Häuser der Stadt selbst verwahrlosen, und durch fast zwei Jahrhunderte wird kein neues mehr gebaut: wie in den Zeiten des Anfangs ist es wieder eine Mühe, zu diesen verschollenen, vergessenen Orten zu gelangen.
Bis zur gegenwärtigen Hauptstadt von Minas Gerais, der erst knapp in unserem Jahrhundert gegründeten Stadt, ist der Weg allerdings dank der modernen Technik leicht; ein Flugzeug schwingt einen in anderthalb Stunden von Rio de Janeiro zu dem Hochplateau von Minas Gerais hinüber, zu dem vordem die ersten bandeirantes zwei Monate wandern mußten und die Eisenbahn heute noch sechzehn Stunden benötigt. Diese neue Hauptstadt der Provinz, Belo Horizonte, ist – in Brasilien sind die eigenartigsten Varianten wie auf allen Gebieten auch auf dem des Städtebaus zu finden keine organisch gewachsene, sondern eine geplante, eine aus Willen, Überlegung und auf Jahrzehnte vorausblickender Berechnung geschaffene Stadt. Die ursprüngliche, die traditionelle Hauptstadt von Minas Gerais, das alte Vila Rica, das heute Ouro Preto heißt, zu modernisieren, hätte bedeutet, ein einzigartiges historisches Dokument brasilianischer Geschichte zu verderben; so entschloß sich die Regierung, lieber eine völlig neue Hauptstadt neben der alten zu konstruieren und zwar an der landschaftlich schönsten, geographisch wie klimatisch günstigsten Stelle. Ursprünglich sollte sie Cidade de Minas heißen, aber man zog vor, um ihres weiten Fernblicks willen – hier sieht man die schönsten Sonnenuntergänge Brasiliens – ihr den italienisch schönen Namen Belo Horizonte zu schenken. Aber längst vor der Namensgebung, längst ehe der erste Stein zur ersten Straße gelegt wurde, war diese Stadt in einem weit vorausblickenden Stadtplan völlig vorausmodelliert. Weder ihre Form noch ihre Entfaltung nichts sollte dem Zufall überlassen werden, jedem künftigen Wohnviertel war seine Bestimmung, jedem Straßenzug seine bestimmte Breite und Richtung von vornherein zugewiesen, und jedes öffentliche Gebäude mußte sich gleichzeitig prominent und doch harmonisch dem künftigen Stadtbild eingliedern; wie Washington ist Belo Horizonte das glückliche und vorbildliche Resultat einer freien, von keiner Vergangenheit gehemmten und nur der Zukunft entgegengewandten Planung. Mächtige Diagonalen schneiden den Kreis, in dem sich – regelmäßige Distanzen und Zwischenräume wahrend – die Stadt entfaltet hat und immer weiter entfalten wird, in sinnvoller und wohldurchdachter Ordnung ab. Im Zentrum liegen die Gebäude der öffentlichen Verwaltung beisammen, breite Gartenflächen führen die symmetrischen Straßenzüge allmählich ins Freie, und jeder Straßenzug ist abwechselnd nach den Städten, Landschaften, großen Persönlichkeiten Brasiliens benannt, so daß ein Spaziergang entlang der Peripherie zugleich einen systematischen Kurs heimischer Geschichte erteilt. Als Musterstadt von Anfang an gedacht, erfüllt Belo Horizonte diese Aufgabe durch vorbildliche Organisation und Sauberkeit; während man in den anderen Städten gerade von der Vielfalt der Kontraste, dem pittoresken Übereinander und Durcheinander verschiedener Zeit- und Kulturschichten bezaubert ist, überrascht einen hier die vollkommene und harmonische Einheitlichkeit. Eine durchaus schöne Stadt, weil aus einer Idee geboren, hat sich Belo Horizonte eine einzige Linienklarheit der Entwicklung bewahrt, und der Sinn dieser ihr eingebauten Idee: Hauptstadt einer Provinz zu sein, die selbst so groß ist wie ein europäisches Königreich, wird von Jahr zu Jahr offenbar; vor 1897 ein leeres, unbebautes Stück Landschaft, heute schon über 150 000 Einwohner zählend, ist sie um ihrer günstigen Lage und ihres vortrefflichen Klimas willen in raschem und dank des vorausschauenden Plans in durchaus harmonischem Wachstum. Wird erst die metallurgische Ausbeutung dieser reichsten Provinz systematisch einsetzen und Minas Gerais seine Industriekraft entfalten, so ist trotz aller Vorberechnung nicht abzusehen, zu welcher Größe sie sich entwickeln kann: einer nächsten Generation wird jedenfalls dieser Name Belo Horizonte so vertraut sein wie der von Rio oder Sáo Paulo.
Von Belo Horizonte nach Ouro Preto, von der neuen zur alten Hauptstadt, heißt aus der Zukunft in die Vergangenheit reisen, aus dem Morgen wieder zurück in das Gestern. Die Straße schon, kaum man den guten Asphalt der Hauptstadt verläßt, beginnt einen sehr eindringlich an das Gestern zu mahnen, denn die rote, lehmige Erde wird bei Hitze zu einem staubigen Qualm, nach einem Regenguß zu einem zähen Brei; wie einstens ist es noch immer nicht ganz bequem, in die Goldwelt zu gelangen. Von dem hellen freundlichen