Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig

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Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig

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entstand in Wien das erste Kaffeehaus, und das braune Getränk wurde in ganz Europa Mode – eine flüchtige, wie die gute Madame de Sévigné irrigerweise meinte, als sie von Racine ärgerlich sagte: Cela passera comme le café. Aber der Kaffee blieb – Racine überdies gleichfalls und wanderte in die französischen Kolonien nach Guyana hinüber, wo die Pflanzen und Samen ängstlich als Handelsgeheimnis gehütet wurden. Wie tausend Jahre vordem die Chinesen das Urprodukt der Seide, den Cocon, vor allen Fremden versteckten und die Ausfuhr auch nur eines einzigen unverarbeiteten Cocons mit dem Tode bedrohten, bis dann zwei Mönche in einem ausgehöhlten Pilgrimsstab einen Cocon nach Europa schmuggelten – so hatte der Gouverneur von Cayenne strengen Auftrag, keinem Ausländer Zutritt zu den Pflanzungen zu gewähren. Glücklicherweise für Brasilien besaß dieser Gouverneur eine Frau, und diese schenkte 1727 in einer oder nach einer schwachen Stunde dem portugiesischen Sergeanten Major Francisco de Melo Palheta einige Sträucher und Wurzeln; damit war der braune Einwanderer nach Brasilien hineingeschmuggelt, und er fühlte sich wie alle Einwanderer bald heimisch in dem neuen Land. Zuerst siedelte er sich in Nordbrasilien im Amazonasgebiet und dem Maranhão bei seinen Vettern Zucker und Tabak an – Kaffee ohne diese Vetternschaft bleibt immer unvollkommener Genuß; allmählich rückt er 1770 nach Süden in die Gegend von Rio de Janeiro hinunter. Rings um die Hügel von Tijuca, wo heute schon die Hochhäuser den ländlichen Villen den Raum streitig zu machen beginnen, rafft er die Felder an sich und läßt sich von Tausenden von Sklaven hegen und pflegen; aber noch immer behagt ihm die Luft nicht ganz, und schließlich bemächtigt er sich der ganzen Provinz São Paulo, um nach tausendjähriger Wanderung von dort aus sein Imperium über die ganze Welt auszubreiten. Seinem orientalischen Ursprung gemäß entwickelte er sich immer mehr zum Tyrannen, er unterjocht die ganze brasilianische Wirtschaft von seinem Königsthron in São Paulo aus. Er läßt sich die herrlichsten Lagerhäuser errichten, befiehlt Schiffe aus der Welt heran, er diktiert den Preis des Geldes, jagt das Land in wilde Spekulationen und lebensgefährliche Krisen und ersäuft sogar seine eigenen Kinder – Tausende und Tausende Säcke – im Meer, weil die Welt ihm nicht den vollen Tribut zahlen will.

      Einem so mächtigen Herrn und einem zumal, der sooft meine Arbeit gefördert und mir in ungezählten Stunden die Freuden der Geselligkeit erhöht, einen respektvollen Besuch abzustatten, hielt ich für meine gebotene Pflicht. Freilich um diesen Herrn und König in seiner Residenz aufzusuchen, muß man heute schon tiefer ins Land reisen als ehedem. Ursprünglich, als der Kaffee von den Portugiesen aus Afrika herübergebracht wurde – Heinrich Eduard Jacob hat die Sage dieser Weltwanderung in seinem Buche bezaubernd erzählt – lagen die Pflanzungen noch hart an der Küste. Die Täler um Santos und manche der herrlichen Parks von Tijuca, unmittelbar neben Rio de Janeiro, waren durch Jahrhunderte Kaffeeplantagen; von den Feldern wurden die Säcke auf dem Rücken der Neger geradenwegs zu den Schiffen gebracht. Aber in Jahrzehnten und Jahrhunderten, nachdem sie Milliarden und Abermilliarden dieser magischen Bohnen gezeugt und genährt, wurde die Erde dort allmählich müde, die Körner verloren an Größe, Kraft und Aroma. Achtzig Jahre, fast genau das patriarchalische Alter der Menschen, währt die Lebensdauer eines solchen Strauchs auf derselben Scholle. So verlegte man – an ungenütztem Boden hat Brasilien noch niemals Mangel gehabt – die Pflanzungen jeweils tiefer und tiefer hinein in das Land, von Santos nach São Paulo, wo die rote, kräftige Erde viermal soviel zeitigte als in Rio, von São Paulo nach Campinas, weiter und weiter und immer tiefer hinein. Also nun nach dem Kaffee, dorthin, wo er jetzt seine Heimat hat! Ihm nach von Rio de Janeiro eine zwölfstündige Nachtfahrt nach São Paulo, von dort wieder drei nach Campinas, dieser alten Kolonie der Jesuiten, und nun genügt ein Auto und man ist mitten im Kaffeeland und endlich auf einer Fazenda.

      Fazenda oder hacienda – woher ist einem das Wort so geläufig? Warum rührt es einen so merkwürdig romantisch an und vertraut, warum weckt es in einem so vergessene, starke und mitschwingende Gefühle? Ach, man erkennt es wieder, nichts bleibt innerlich so verhaftet wie die Bücher, die man leidenschaftlich in seiner Knabenzeit gelesen; wie hatte man diese Fazendas oder Haciendas Brasiliens und Argentiniens in den Romanen Gerstäckers, Sealsfields, diese kleinen Gutshäuser mitten in tropischer Wildnis oder auf den unendlichen Pampas mit der Phantasie der Kindheit sinnlich gesehen, diese exotischen Fernen, immer umringt von Gefahren und unerhörten Abenteuern. Wie hatte man als Knabe geträumt, dies einmal zu erleben! Und nun ist man da; freilich nicht auf feurigem Mustang trabt man heran, sondern das Automobil steuert einen sacht durch die blumenüberhangene Einfahrt in den Hof; aber doch, genau wie auf den alten Stichen und in den Darstellungen der verschollenen Kindheitsromane sieht sie aus, die Fazenda, ein einstöckiges, flaches Haus inmitten des unübersehbaren Besitzes, nach allen vier Seiten von einer breiten, schattigen Veranda umrahmt. Siehe, und nahe davon stehen um einen viereckigen kleinen Platz die Häuser der Arbeiter, und man erinnert sich aus den Büchern, hier wohnten – es ist ja erst fünfzig Jahre her – die Sklaven, und abends saßen sie dann auf diesem Platz und sangen ihre melancholischen Lieder; vielleicht gedenkt noch einer oder der andere der weißhaarigen Neger, die hier still und zufrieden herumgehen, der verschollenen Zeit. Allerdings, tritt man ein in das gastliche Haus, so springt die Weltuhr sofort in die heutige Stunde; man sieht zwar noch die altgetäfelten Decken, den ererbten schönen Hausrat aus dem kostbaren, steinharten Jacarandaholz, die silbernen Schalen und Hausaltäre aus der portugiesischen Zeit pietätvoll bewahrt, aber längst sind diese Fazendas keine Einsamkeiten mehr, zu herrlichsten Lagerhäuser errichten, befiehlt Schiffe aus der Welt heran, er diktiert den Preis des Geldes, jagt das Land in wilde Spekulationen und lebensgefährliche Krisen und ersäuft sogar seine eigenen Kinder – Tausende und Tausende Säcke – im Meer, weil die Welt ihm nicht den vollen Tribut zahlen will.

      Einem so mächtigen Herrn und einem zumal, der sooft meine Arbeit gefördert und mir in ungezählten Stunden die Freuden der Geselligkeit erhöht, einen respektvollen Besuch abzustatten, hielt ich für meine gebotene Pflicht. Freilich um diesen Herrn und König in seiner Residenz aufzusuchen, muß man heute schon tiefer ins Land reisen als ehedem. Ursprünglich, als der Kaffee von den Portugiesen aus Afrika herübergebracht wurde – Heinrich Eduard Jacob hat die Sage dieser Weltwanderung in seinem Buche bezaubernd erzählt – lagen die Pflanzungen noch hart an der Küste. Die Täler um Santos und manche der herrlichen Parks von Tijuca, unmittelbar neben Rio de Janeiro, waren durch Jahrhunderte Kaffeeplantagen; von den Feldern wurden die Säcke auf dem Rücken der Neger geradenwegs zu den Schiffen gebracht. Aber in Jahrzehnten und Jahrhunderten, nachdem sie Milliarden und Abermilliarden dieser magischen Bohnen gezeugt und genährt, wurde die Erde dort allmählich müde, die Körner verloren an Größe, Kraft und Aroma. Achtzig Jahre, fast genau das patriarchalische Alter der Menschen, währt die Lebensdauer eines solchen Strauchs auf derselben Scholle. So verlegte man – an ungenütztem Boden hat Brasilien noch niemals Mangel gehabt – die Pflanzungen jeweils tiefer und tiefer hinein in das Land, von Santos nach São Paulo, wo die rote, kräftige Erde viermal soviel zeitigte als in Rio, von São Paulo nach Campinas, weiter und weiter und immer tiefer hinein. Also nun nach dem Kaffee, dorthin, wo er jetzt seine Heimat hat! Ihm nach von Rio de Janeiro eine zwölfstündige Nachtfahrt nach São Paulo, von dort wieder drei nach Campinas, dieser alten Kolonie der Jesuiten, und nun genügt Hier allein hat die Technik noch nichts erfunden, um den Menschen überflüssig zu machen; wie vor hunderten Jahren werden von der Hand der Pflücker die Beeren vom Strauche genommen, und vielleicht singen die Arbeiter dieselben monotonen Lieder zu denselben monotonen Bewegungen wie einst die schwarzen Sklaven. Dann werden die Bohnen, als wäre es Sand, auf Wagen und Lastautomobile gekarrt, in die Fazenda gebracht und hier dem König Kaffee einige vorgeschriebene Zeremonien erwiesen, als da sind eine gründliche Waschung und darauf eine Trocknung in der prallen Sonne; dann erst werden mit Schüttelmaschinen die Hülsen von dem eigentlichen Kern gelöst und die entschälten, gereinigten Bohnen dann über Leitungen und Siebe in die Säcke verstaut.

      Damit ist (oder scheint) die Arbeit zu Ende. Es ist kein romantischer Prozeß, nicht anders etwa, als wenn man Erbsen aus der Schote nimmt und trocknen läßt, und nur eines war mir bei allen diesen Prozeduren auf dem Felde und in der Fazenda und in der Fabrik überraschend – die totale Abwesenheit jedes Aromas. Ich hatte gemeint, wenn man eine Kaffeepflanzung mit Tausenden Büschen durchschreitet, müßte man einen Duft von diesem aromatischsten aller Getränke spüren, einen feinen Duft, der dies weite Grünen umwebt und überschwebt, einen Duft, wie man ihn doch selbst

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