Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig

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Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig

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Schimmer von Gold wahrzunehmen vermöchte. Aber nun fassen die Maschinen mit ihren riesigen Kräften die Klötze, das Gestein wird mit haushohen Hämmern zertrümmert, zerschlagen und so lange zerrieben, bis es eine weiche, vom Wasser ständig durchströmte Masse bildet, die dann durch Siebe geleitet und über vibrierende Tische geführt wird. Immer mehr soll das Metallische von der übrigen wertlosen Masse gesondert werden. Der schon geläuterte, bereits ganz feine Sand wird dann noch- und nochmals durch elektrische und chemische Prozeduren immer genauer gesiebt, bis schließlich nach unzähligen – kaum einzeln zu beschreibenden raffinierten Phasen – das letzte minimalste Stäubchen Gold aus dem Gestein gerettet ist. Nun kann das reine Element in glühenden Schmelztiegeln herausgekocht werden.

      Eine Stunde, zwei Stunden hat man all diese mit dem kollektiven Genie zahlloser Erfahrungen ersonnenen Prozeduren angespannt und erregt beobachtet. Man hat Hunderte und sogar Tausende Menschen in dieser riesigen Fabrik gesehen, die Arbeiter im Stollen, im Aufzug, an den Maschinen, die Verlader, die Träger, die Schmelzer, die Heizer, die Ingenieure, die Verwalter. Es dröhnen einem noch die Ohren von dem Donner der niederschmetternden Hämmer, es schmerzen einem die Augen, die zuviel gesehen haben, von dem unablässigen Wechsel von Dunkel, von künstlichem und dann wieder natürlichem Licht. Alles hat man gesehen, nur das Eigentliche noch nicht, das reine Gold, das sichtbare Resultat all dieser phantastischen Mühe. Und man ist ungeduldig zu wissen, wieviel diese Arbeit von den achttausend Menschen, die hier tagtäglich im Werke beschäftigt sind, fördert. Wieviel, welche gewaltigen Massen Goldes die komplizierte Prozedur dieser unübersehbaren Maschinerie und die Leistung all der eingesetzten geistigen, manuellen, chemischen, elektrischen Kräfte als Tageserträgnis an Gold produziert haben. Schließlich bekommt man die Tagesleistung zu sehen, und man erschrickt beinahe, denn es scheint so unsagbar widersinnig. Es ist nicht, wie ich gemeint hatte, ein riesiger Haufen, ganze Klötze wie in den Kammern Montezumas – es ist nicht mehr als ein kleiner Block Gold, nicht größer als ein Ziegelstein. Es ist also nicht mehr als ein einziges gelbes Stück Metall, das diese achttausend Menschen mit Hilfe der kompliziertesten Maschinen in kunstvollster organisierter Arbeit der Erde abgerungen, und dieser eine winzige Ziegelstein gelben Metalls bezahlt diese achttausend Menschen und verzinst die Investitionen und speist noch irgendwo die unbekannten Aktionäre. Und wieder einmal wurde ich des teuflischen Zaubers gewahr, den dieses gelbe Erz seit Jahrtausenden über die Menschen übt. Zum erstenmal hatte ich sinnlich und optisch den ganzen Widersinn dieser Hörigkeit empfunden, als ich in Paris in den unterirdischen Kellern der Banque de France sah, wie dort in einer Art Festung unzählige Meter tief unter der Erde der angebliche Reichtum Frankreichs in Barren aufgestapelt lag, tot und kalt, eigentlich imaginäre Millionen und Milliarden – als ich sah, wieviel Mühe, wieviel Kunst und geistige Kraft verschwendet wurden, in einer künstlich in Paris angelegten Mine dieses in Afrika, Amerika, Australien mühsam ausgegrabene Gold wieder in die Erde zu verstecken. Und hier, an einem anderen Ende der Welt sah ich dieselbe Mühe, dieselbe Kunst, dieselbe geistige Kraft, gesammelt in der Arbeit von achttausend Menschen, um dasselbe tote Metall listvoll der Erde zu entreißen, nur damit es irgendwo wieder in sie hineingesenkt werden könne in einen künstlichen Schacht einer Bank, eines Kellers. Und ich verbot mir, über den Irrwitz der Goldgräber von Vila Rica zu spotten, die dort in Prunkgewändern stolzierten, denn der alte Wahn ist noch heute derselbe, er ändert nur seine Formen. Noch treibt dieses kalte Metall mächtiger als alle Dynamos und geistigen Wellen die Menschheit an und bestimmt in unberechenbaren Auswirkungen die Geschehnisse unserer Welt; und gerade als ich kalt und völlig ungöttlich den gelben Ziegelstein Gold vor mir liegen sah, wurde das Paradoxe mir bewußt.

      So erging es mir sonderbar in diesen Tälern des Goldes. Ich war gekommen, um seine Macht, seine Wirkung besser zu verstehen an dem Ort seines Ursprungs, im Anblick seiner wirklichen, seiner sinnlichen Formen. Aber nie wurde ich des Widersinns dieses Wahns tiefer gewahr als in der Minute, als ich völlig ehrfurchtslos den gelben Ziegelstein Gold anrührte, an dem noch die frische, unsichtbare Arbeit von Tausenden von Händen klebte; es war nichts als kaltes, hartes Metall. Keine Schwingung, keine Wärme strömte über in meine Hände, keine Heizung ging über in meine Sinne, keine Ehrfurcht in meine Seele. Und ich konnte nicht verstehen, daß dieselbe Menschheit diesem Wahne dient, die doch fähig wäre, solche hohe, strahlende Schöpfungen wie jene leuchtenden Kirchen zu erschaffen und in ihnen das irdische Vermächtnis der Ewigkeit ehrfürchtig zu hüten: die Kunst und den Glauben.

      18. Flug über den Norden

      Bahia: Treue zur Tradition

      Mit dieser Stadt hat Brasilien – und man darf es berechtigt sagen – hat Südamerika begonnen. Hier stand der erste Pfeiler des großen kulturellen Brückenschlags über den Ozean, hier ist aus europäischem, afrikanischem und amerikanischem Urstoff die neue, die noch fruchtbar gärende Mischung entstanden. Respekt darum vor Bahia, vor allem Bewunderung: diese Stadt hat das Vorrecht der Anciennität unter allen Städten des südamerikanischen Festlands. Mit seinen mehr als vierhundert Jahren, mit seinen Kirchen und Kathedralen und Kastellen bedeutet Bahia für die neue Welt, was für uns Europäer die jahrtausendalten Metropolen, was für uns Athen und Alexandria und Jerusalem: ein kulturelles Heiligtum. Und wie bei einem Menschenantlitz fühlt man ehrfürchtig vor dieser Stadt, daß sie ein Schicksal hat, eine glorreiche Vergangenheit.

      Die Haltung Bahias ist die einer Königinwitwe, einer shakespearisch grandiosen Königinwitwe. Sie ist vermählt den Vergangenheiten. Längst hat sie die Königsmacht an ein jüngeres, ungeduldiges Geschlecht abgegeben. Aber sie hat nicht abgedankt, sie hat ihren Rang bewahrt und mit dem Rang eine unvergleichliche Hoheit. Stolz und aufrecht blickt sie von der Höhe herab auf das Meer, wo seit Hunderten Jahren alle Schiffe zu ihr kamen, noch trägt sie den alten Schmuck ihrer Kirchen und Kathedralen, und diese Hoheit der Haltung lebt weiter in ihrem Volke. Mögen die jüngeren Städte, mögen Rio de Janeiro, Montevideo, Santiago, Buenos Aires heute die reicheren, die mächtigeren, die moderneren sein: Bahia hat seine Geschichte, seine eigene Kultur, seine eigene Lebensform. Von allen Städten Brasiliens hat es am treuesten die Tradition bewahrt. Nur in ihren Steinen und Straßen versteht man Brasiliens Geschichte, nur hier begreift man, wie aus Portugal Brasilien geworden ist.

      Bahia ist eine Stadt, die bewahrt, eine Stadt der Treue; sie hat nicht nur ihre alten Denkmäler geschützt gegen den eilfertigen Einbruch des Neuen, sie hat äußerlich ihre Physiognomie und innerlich ihre Tradition unverbrüchlich durch die Jahrhunderte erhalten. Wer ihr vom Meere naht, sieht sie nicht anders wie zur Zeit der Kaiser und der Vizekönige unten der gleichgültige Hafen mit seinen vielfach modernisierten Geschäftsstraßen, aber oben das steinerne Haupt, die zur Bastion zusammengefaßte Stadt, die mit ruhiger und stolzer Ruhe den Besucher erwartet. Hier oben scharten sich hinter Palisaden vor vierhundert Jahren die Ansiedler zusammen, um gegen Überfälle von Piraten oder Eingeborenen geschützt zu sein. Aus dem Lehmwall wurde allmählich eine Mauer, hinter der die Stadt sich gesichert erhob; bald wagte man Kirchen zu bauen und Paläste auf dem schroff abwehrenden Fels, und dieses wundervolle Profil, diese weit geschwungene, diese königliche Linie hat sie sich erhalten. Nichts in Südamerika weiß ich dieser stolzen, dieser majestätischen Haltung zu vergleichen, mit der an der gleichen Stelle wie zu Cabrals und Magellans Tagen Bahia über seinen Hafen und seine alten Kastelle weithin über den Ozean blickt.

      Wandert man empor den steilen, von bröckelnden Häusern umrahmten engen Weg, so erkennt man, wie reich diese Stadt einmal gewesen. Sie ist nicht verarmt heute, sie ist nicht zurückgesunken. Sie ist nur stehengeblieben, und das gibt ihr jene Schönheit, wie sie alle Städte haben, die Jahrzehnte und Jahrhunderte verträumt haben, wie Venedig, wie Brügge, wie Aix-les-Bains. Zu stolz, um der neuen Zeit ungestüm nachzujagen und Wolkenkratzer zu türmen, um mit Rio de Janeiro, mit São Paulo zu wetteifern, zu lebendig anderseits, um zu verfallen wie die Goldstädte von Minas Gerais und museal zu werden, ist sie geblieben, was sie war: die Stadt des alten portugiesischen Brasiliens, und einzig hier fühlt man Brasiliens Herkunft und seine jahrhundertealte Tradition.

      Diese Tradition spürt man überall. Bahia hat – im Gegensatz zu allen andern brasilianischen Städten – seine eigene Tracht, seine eigene Küche, seine eigene Farbe. Nirgends zeigt sich die Straße so bunt wie hier, wo die afrikanische,

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