Bahnfahren unter erschwerten Bedingungen. Frank Hole
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• Ist Ihr Zug von der Ursache direkt betroffen oder steht er im Stau?
• Gibt es möglicherweise Fahrtalternativen vor Fahrtantritt? Bietet sich eventuell unterwegs eine Möglichkeit?
1.1.4 Entwicklung einschätzen
Wer in einem verspäteten Zug sitzt oder am Bahnsteig auf diesen wartet, kann sich klarmachen, welche Entwicklung die Verspätung möglicherweise nehmen wird:
1. SIE WIRD KLEINER. Wenn der Zug verspätet abfährt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er an Ihrem Zielbahnhof auch nicht pünktlich ist. Nach den Erfahrungen des Autors kommt es in vielleicht einem Viertel der Fälle vor, dass ein Zug eine Verspätung wieder einholt und dann ganz oder fast pünktlich ankommt. Ob ein Aufholen der Verspätung möglich ist, hängt letztlich von folgenden Faktoren ab:
o Gibt es Spielräume im Fahrplan? Das ist nicht oft, aber immerhin manchmal der Fall. Diese Einschätzung können Sie nur durch einige Erfahrung treffen.
o Hat ein Zug an einem Bahnhof planmäßig mehrere Minuten Aufenthalt, die ggf. verringert werden können?
o Sind weniger Fahrgäste unterwegs, sodass die Aufenthaltszeiten an Bahnhöfen jeweils etwas verkürzt werden können? Insbesondere spätabends und nachts stehen die Chancen recht gut.
o Liegt die Verspätungsursache räumlich gesehen hinter oder vor Ihrem Zug? Falls sie hinter Ihnen liegt, gibt es etwas bessere Chancen, dass sich die Verspätung reduziert.
o Und natürlich geht es auch um die Größe der Verspätung im Verhältnis zur Reisedauer. Eine Viertelstunde Verspätung lässt sich auf einer achtstündigen Fahrt quer durch Deutschland eher aufholen als eine fünfminütige Verspätung einer halbstündigen S-Bahnfahrt.
2. SIE BLEIBT UNGEFÄHR GLEICH. Das ist bei etwa der Hälfte der verspäteten Züge der Fall. Wenn der Fahrplan wenig Spielräume aufweist und die Aufenthaltszeiten an Bahnhöfen knapp bemessen sind, dann wird Ihr Zug kaum aufholen können.
3. SIE WIRD GRÖßER. In vielleicht einem Viertel der Fälle nimmt die Verspätung unterwegs spürbar zu. Mögliche Gründe:
o Der verspätete Zug kann in sein normales Gleis im nächsten Bahnhof nicht einfahren, weil dieses nun durch einen pünktlichen Zug belegt ist.
o Der verspätete Zug fährt hinter einem pünktlichen, aber langsameren Zug her und kann nicht überholen.
o Der verspätete Zug wird durch einen pünktlichen überholt.
o Oder es kommt noch eine weitere Verspätungsursache hinzu, z. B. deutlich erhöhtes Fahrgastaufkommen aufgrund des Ausfalls des Zuges einen Takt früher.
o Die Verspätungsursache (z. B. eingleisiger Streckenabschnitt wegen Bauarbeiten oder ein Signalausfall) liegt noch vor Ihnen.
o Oder Sie sind zur Hauptverkehrszeit unterwegs, die Strecke ist mit Zügen dicht belegt und die Züge sind allesamt voller Fahrgäste.
Mit einiger Erfahrung lässt sich leichter einordnen, in welche Kategorie der betreffende Zug fällt. Natürlich gibt es keine wirkliche Garantie dafür, da Sie normalerweise nicht alle relevanten Informationen haben, auch kennen Sie nicht die Entscheidungen der Fahrdienstleiter, der Disponenten des Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmens oder der Netzdisponenten. Selbst bahninterne Experten können nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen, wie sich eine Fahrt entwickeln wird, da die Komplexität der Wechselwirkungen insbesondere bei größeren Ereignissen zu groß ist.
1.1.5 Persönliche Betroffenheit bewusst machen
Eine wichtige Frage in der jeweiligen Verspätungssituation lautet: WAS BEDEUTET DIE VERSPÄTUNG FÜR MICH KONKRET? Beispielsweise:
• Gar nichts. Wenn kein Termindruck da ist, man sich in einer Direktverbindung befindet, ohnehin eher der entspannte Reisende ist und ein gutes Buch griffbereit ist.
• Anschlussverlust. Dadurch geht vielleicht die Platzreservierung verloren und der nächste Zug kommt erst in einer Stunde und ist dann auch noch überfüllt. Das ist sehr ärgerlich und unbequem dazu.
• Sie verpassen Ihren Flieger nach Tokio und somit den gemeinsamen Beginn einer vierzehntägigen Studienreise oder es entgeht Ihnen ein wichtiger geschäftlicher Termin.
• Das lang vereinbarte Treffen mit einer guten Freundin verkürzt sich.
• Sie kommen zu spät nach Hause, das Essen verkocht und Ihre kleine Tochter müsste eigentlich längst ins Bett, will aber vorgelesen bekommen.
• Sie können in Ruhe Ihre geschäftliche Präsentation fertigmachen, Mails durchgehen und beantworten oder WhatsApp-Nachrichten lesen, wozu Sie sonst nie gekommen wären.
• Es ergeben sich gute Gespräche mit Menschen, denen Sie sonst nie begegnet wären, daraus entwickeln sich Bekanntschaften, neue Ideen und Sie bekommen interessanten Anregungen und Informationen.
Es ist also alles drin – von der gefühlten persönlichen Katastrophe über Unbequemlichkeit bis hin zu positiven oder zumindest nicht unwillkommenen Aspekten. Oft ist das Ärgerlichste an einer Verspätung, dass man sich nicht selbst imstande sieht, Einfluss darauf zu nehmen und dass etwas mit einem geschieht, was man sich nicht gewünscht hat. Auch die Unklarheit, wie und wann es weitergeht und ob nach einem ungeplanten Umsteigen ein Sitzplatz zur Verfügung steht, kann deutliche Verunsicherung und Ärger hervorrufen.
1.1.6 Entscheidung treffen
In vielen Fällen gibt es Wahlmöglichkeiten, was Sie tun können, auch wenn diese nicht Ihren ursprünglichen Plänen entsprechen. In Ihre Entscheidung fließen folgende Aspekte ein:
• Was ist tatsächlich MÖGLICH in der momentanen Situation?
o Wenn der Zug auf freier Strecke für längere Zeit zum Stehen gekommen ist, können Sie nicht aussteigen und zu Fuß zum nächsten Bahnhof gehen.
o Wenn Sie aber von Gerolstein in der Eifel kommen und mittags in Köln Hbf mit 30 Minuten Verspätung eintreffen und nach Dortmund wollen, haben Sie zahlreiche Möglichkeiten, weiterzufahren. Vielleicht sogar schneller als mit der ursprünglich geplanten Verbindung.
• Was ist in Ihrer Situation SINNVOLL?
Es gibt ganz grundsätzliche WAHLMÖGLICHKEITEN. Diese können auch mit der Anwendung der Fahrgastrechte zu tun haben. Hier gibt es Regelungen ab 20 und ab 60 Minuten Verspätung.9 Die Fahrgastrechte sind teils differenziert je nach benutztem Fahrausweis zu sehen, ferner gelten je nach Verkehrsvertrag und Verbund ggf. andere, weitergehende Regelungen. Die genauen Mindestregelungen können Sie auf einer zentralen Fahrgastrechte-Website nachlesen10, ansonsten in den Beförderungsbedingungen Ihres Eisenbahnverkehrsunternehmens oder – falls Sie mit einer Verbundfahrkarte unterwegs sind – in denen Ihres Verkehrsverbunds.
• FAHRT ANTRETEN BZW. FORTSETZEN. Hinterher können Sie ab 60 Minuten Verspätung über die Fahrgastrechte eine Entschädigung geltend machen.
• MIT EINEM ANDEREN ZUG FAHREN. Das ist ebenfalls im Rahmen der Fahrgastrechte für Verspätungen ab 20 Minuten geregelt.
• FAHRT ABBRECHEN und wieder zurückfahren oder Reise erst gar nicht antreten. Ab 60 Minuten