Die Jüngerbriefe. Roman Nies
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Wenn sie nicht einmal mit den Städten Israels fertig werden, was bedeutete dann der Missionsauftrag, den Jesus später gab und von dem die ganze Welt betroffen sein sollte? Dieser Welt-Missionsauftrag kann nur im Kontext des Königreichs des Messias gesehen werden, der bei seiner Rückkehr die Herrschaft von Jerusalem aus antreten würde. Dieses Königreich beginnt zu einem konkreten historischen Ereignis, das im Jahre 2020 noch aussteht. Es hat aber auch eine vorbereitende Vorlaufzeit. So sagte Jesus selber bereits in Mt 24,14: „Und dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis … und dann wird das Ende kommen.“ Welches Ende? Das Ende des jetzigen Äons.
Zwischen den Jahren der Auferstehung Jesu und der Zerstörung des Tempels und Jerusalems im Jahre 70 hatte das Volk Israel die Gelegenheit auf das Evangelium zu reagieren und das Angebot, sich zum Messias zu bekennen, wahrnehmen können. Wäre das geschehen, dann wäre auch der Messias gekommen, denn genau das hatte er ja gesagt (Mt 23,39): „Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Innerhalb dieser heilsgeschichtlichen Rahmenbedingungen handelten die Jünger auftragsgemäß. Auch Paulus, der vermutlich deshalb auf seiner Missionsreise von Stadt zu Stadt zog, weil es in diesen Städten Diasporagemeinden gab, ging zuerst nach seiner Gewohnheit in die Diasporasynagogen. Der einzige Ort, wo man garantiert Juden antreffen konnte. Es war immer klar gewesen, wer der erste Adressat der Verkündigung des Evangeliums sein sollte! Jesus war zuerst der Messias Israels, dann der Nationen.
Petrus war jedenfalls der oberste der Jünger Jesu, der Oberste der Zwölf, aber nicht der oberste der Gemeinde von Jerusalem. Er war eine Säule wie auch der Apostel Johannes eine Säule war (Gal 2,9). Johannes war aber auch nicht der Gemeindeälteste, wozu er schon wegen seines Alters nicht geeignet war. Und zunächst gab es nur eine Gemeinde in Jerusalem. Diese Gemeinde hatte Bestand bis Ende der sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts. Im Jahre 70 war Jerusalem zerstört und nahezu alle Juden deportiert oder umgebracht worden.
Die Schwierigkeiten, die dem Petrus in seinem Glaubensleben begegneten, waren vielfältig und sie waren nicht mit der Himmelfahrt Jesu abgeschlossen. Und das führte dazu, dass Petrus irgendwann, wie ich es einmal ausdrücken will, „zwischen allen Stühlen“ saß. Nein, Petrus wurde vieles geschenkt, aber vieles wurde ihm nicht geschenkt! Petrus ist eine tragische Figur und die hat wenig mit dem Bild zu tun, welches die Tradition aus ihm gemacht hat. Der historische Petrus passt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in das Bild der Tradition.
Die Apostelgeschichte des Lukas fängt damit an, dass die Jünger Jesu ihn fragen, wann er das Reich Israel wiederaufrichten werde (Ap 1,6). Das zeigt, dass ihre Gedanken um Israel kreisten, nicht um eine Kirche, nicht um Weltmission. Nicht um die Erlösung der Welt, geschweige denn um die Heiden, die Nichtjuden, die Nationen und auch nicht um die evangelische oder katholische Kirche. Wenn man im 21. Jhdt. Predigten über die Jünger Jesu und Jesu hört, dann gehen über neunzig Prozent davon aus, als ging es den Jüngern Jesus um die Kirche und man meint, Jesus hätte irgendwann kurz vor dem ersten Weltkrieg gelebt, und zwar in Palästina, genauer gesagt in einem von Juden zu Unrecht besetzten Palästina, weshalb Jesus die Juden anklagte. Aus Legenden werden Traditionen.
Die Theologie ist das Wissensgebiet der Universitäten, in dem am meisten herumfantasiert und herumgestümpert wird. Man sollte sich jedoch auf die Bibel konzentrieren, denn wer das Wort Gottes betrachtet, wird zum Realisten. Sobald wir hingegen das Wort der Bibel verlassen und die kirchliche Überlieferung hören, werden wir von Realisten zu Traditionalisten!
Tatsache ist, dass die Apostel bis zur Auferstehung Jesu noch nicht einmal die Kraft des heiligen Geistes auf sich hatten (Ap 1,8). Das erklärt zum Beispiel auch das frappierende Unverständnis und die geistliche Schwerfälligkeit der Jünger in den dreieinhalb Jahren, die sie an der Seite von Jesus verbrachten.
In Ap 2 kommt es dann beim jüdischen Schawuot-Fest zur Geistausgießung, die nur Juden betraf (2,5ff) und der Verheißung entsprach, die dem Propheten Joel für die letzten Tage gegeben worden war. Das hat mit einer Gemeindegründung nichts zu tun, weil sich dabei der Kreis der messiasgläubigen Juden lediglich vergrößerte und hier ja Petrus genau genommen auch einer Hoffnung Ausdruck verleiht, die sich vorerst nicht bewahrheitet hat. Nein, Israel ist nicht erwacht, auch wenn Tausende bereit waren, daran zu glauben, dass Jesus der Messias war. Wie stark dieser Glauben war, ist nicht überliefert. Die Einwohnerzahl Jerusalems war damals nicht unter 40.000, aber sicherlich nicht über 100.000 und die Christen waren zur Zeit der Apostel immer eine Minderheit. Und an was waren sie gläubig? Wenn man als frommer Jude eine Predigt hört, wonach der Messias in Jesus gekommen sein soll, dann wird man am Ende der Predigt entweder das nicht glauben, oder man wird genau das glauben. Genauer gesagt, man fängt an, es zu glauben. Dieser Glauben ist aber noch sehr rudimentär und entwicklungsbedürftig und in vielen Fällen ebenso leicht zu erschüttern wie zu festigen.
Hier am Schawuot-Fest, als es noch keine organisierte Gemeinde gab, tut sich Petrus als Führer der Apostel mit seiner Predigt hervor. Jakobus spielt hier noch keine Rolle. Vielleicht musste er sich von dem Schock erholen, dass der Bruder, dem er die ganzen Jahre nicht geglaubt hatte, doch einen anderen Vater hatte als er!
„Ihr Männer von Israel“ spricht Petrus die Zuhörer an. Es geht um die Gabe des heiligen Geistes, deren Empfang notwendig ist, damit man Angehöriger des verheißenen Neuen Bundes ist, den schon Jeremia vorausgesagt hat (Jer 31,31). Dieser Neue Bund war ausdrücklich Israel und Juda bestimmt. Als Petrus von den Männern Israel gefragt wird, was sie tun sollen, sagt er, dass sie umkehren und sich taufen lassen sollen zum Empfang des heiligen Geistes. Umkehren, Taufen - nichts Neues für die Juden, denn das ist ihnen ja bereits von Johannes dem Täufer gesagt worden, dass sie umkehren sollen und sich zum Zeichen dafür im Wasserbad reinigen lassen sollen. Und auch Johannes hatte das nicht neu eingeführt! Im Alten Bund gab es bereits die Verheißung des Neuen Bundes. In diesem Neuen Bund wird der Mensch vom Geist Christi erfüllt, doch dazu musste der Messias erst zum Himmel aufgefahren sein. Zum Neuen Bund wurde also der heilige Geist benötigt, denn wie sonst sollte das Vertrauen in Gott ins Herz der Gläubigen gesenkt werden? Israel hatte mehr als tausend Jahre lang das nicht aus eigener Kraft geschafft, ganz und gar auf Gott zu vertrauen. Es war auf ganzer Linie gescheitert.
Auch in der zweiten großen Predigt in Ap 3 lautet die Botschaft von Petrus für die Juden in Jerusalem: „Und es wird geschehen: Wer diesen Propheten nicht hören wird, der soll vertilgt werden aus dem Volk.«“ (Ap 3,24). Der Prophet ist Jesus. Es geht wieder um Buße, um Israel, um die Verheißungen und in dem Zusammenhang um alle Nationen, weil allen Nationen schon bei Abraham Heil zugesprochen worden ist (3,25). Das musste den Juden immer wieder gesagt werden! „Ihr habt viel Verantwortung, nicht nur für euch, sondern für alle Nationen!“ Aber das war alles nichts Neues für die Juden. Das wesentlich Neue war tatsächlich nur, dass angeblich der Messias in Jesus gekommen sein sollte. Das bedeutete auch, dass nun das erhoffte und herbeigesehnte messianische Reich unmittelbar bevorstand. Das waren sensationelle Nachrichten!
Darauf hatte doch das religiöse Judentum gewartet, oder nicht? Diese sensationellen Nachrichten hatte aber schon Jesus gepredigt und sie waren nur zum geringeren Teil begrüßt worden. Die Verkündigung Jesu hatte mit seinem Tod geendet und den Rufen „Kreuziget ihn!“
Die Situation am Ende des Äons, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, könnte ganz ähnlich sein. Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die ein baldiges Kommen des Messias begrüßen, aber die große Mehrheit wird sich nicht den Messias wünschen, dem sie vorher schon nicht gefolgt sind. Das Gleichnis vom treuen und untreuen Knecht (Mt