Die Jüngerbriefe. Roman Nies
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Es sind Torahvorschriften, bei denen es Sinn machte, dass man sie einhielt und daher wollte man ausdrücklich darauf hinweisen. Die ganze Torah hätte die Nichtjuden, jedenfalls vorerst, nur beschwert und abgeschreckt. So war außerdem gewährleistet, dass diejenigen Juden, die sich als Juden identifizieren wollten, das weiter leicht tun konnten. Das war notwendig zum Überleben in der Diaspora und um unter den Juden überhaupt noch gehört werden zu können. Und sie brauchten vor allem auch nicht in der Diaspora Angst haben, dass die Torah plötzlich abgeschafft würde, denn, Jakobus betont: „Denn Mose hat von alten Zeiten her in allen Städten solche, die ihn predigen, und wird an jedem Sabbat in den Synagogen gelesen.“ (15,21) Die Torah war also nicht in Gefahr.
Zu diesem Zeitpunkt konnte Jakobus noch nicht absehen, wie schnell sich das nichtjüdische Christentum entwickeln würde. Für ihn war nur ersichtlich, dass der Anteil an nichtjüdischen Gläubigen gering war. Die Apostel erwarteten doch Jesus zurück, wenn Israel sich zu Ihm bekehrte, nicht wenn die Nationen sich bekehrten. Es kam also auf die Missionierung der Juden an, nicht der Nichtjuden! Das messianische Reich war ein Reich, in dem Israel die erste Geige spielte. Schriftgelehrte hatten zu allen Zeiten gelehrt, dass der Messias kommen würde, wenn die Torahfrömmigkeit des Volkes ein bestimmtes Vollmaß erreicht haben würde.
Deshalb hatten die Jünger Jesu den Missionsbefehl auch richtigerweise so verstanden, dass er nichts daran änderte, dass sie das Volk Israel zur Umkehr predigen sollten und erst dann also, später, wenn der Messias wieder da war, würde man die Nationen unterrichten und zu Jüngern machen. Die Frage, wie sich die gläubigen Nichtjuden verhalten sollten, hatte sich bisher nicht gestellt, weil man seit Jahrhunderten dazu die gleiche Antwort gehabt hat.
Man muss sehen, dass das Herzukommen von Nichtjuden zur Gruppe der Messiasgläubigen eher als eine störende und auch nicht unbedingt sehr willkommene Begleiterscheinung der Evangeliumsverkündigung aufgefasst werden konnte, die mit der pragmatischen Hoffnung verbunden war, dass bei einer Gemeinschaft zwischen Juden und Nichtjuden, die Juden dank ihrer Torahkenntnisse die geistliche Oberhand behalten würden, denn so war es doch die letzten Jahrhunderte auch immer gewesen. Nichtjuden wurden immer zu Juden, niemals wurden Juden zu Nichtjuden! Man kann ja auch ein abgeschnittenes Teil nicht wieder ankleben!
In dem Sendschreiben an die Gläubigen in Antiochien, lässt Jakobus ausrichten, dass „einige von den Unseren“ (15,24) sie mit Lehren irregemacht und verwirrt haben. Er sagt nicht ausdrücklich, dass das Irrlehren waren, sondern dass man sie irregemacht hat. Man hat ihnen ein schlechtes Gewissen gemacht. Wem sollte man jetzt glauben? Paulus oder denen aus Jerusalem um Jakobus? Aber indem die messianischen Juden aus Jerusalem den Gläubigen in Antiochien gesagt hatten, dass sie sich beschneiden lassen und die ganze Torah halten müssten, hat man ihnen auch etwas Falsches gesagt. Jakobus hat nicht behauptet, dass es falsch war. Er hätte das auch gar nicht behaupten können, weil er niemals die Sicht hatte, dass es falsch sei, wenn man die Torah hielt.
An dieser Stelle ist es wichtig, zu erkennen, dass Jakobus diese Nachricht nicht allen überbringen ließ. Er war also nicht der Meinung, dass sich Juden nicht mehr beschneiden lassen oder nicht mehr die Torah halten müssten, sondern nur den Nichtjuden gestand er das zu. Nichtjuden gehörten nicht zum Bundesvolk. Dennoch sollten sie Jesus, den Sohn Gottes anerkennen und daran glauben, dass ihre Sünden durch ihn getilgt waren. Aus dieser zweifachen Ausrichtung des Gottessohnes: Gottessohn und Erlöser für alle Menschen und Messias Israels und der Nationen ergab sich zwangsläufig die Verkündigung zweier Evangelien. Eines nach Paulus und eines wie gehabt. Das Letztere vertrat Jakobus. Diese Schlussfolgerung ist zwingend und dennoch wird sie von den meisten Kirchentheologen geleugnet. In Kurzform lautet das Evangelium von Paulus, „Jesus genügt!“ Das Evangelium von Jakobus lautete Umkehr, Beschneidung, Torah und der Glaube an Jesus als den Messias Israels. Dieses Evangelium sah Jakobus für die Juden vor. Er erlaubte andererseits aber auch dem Paulus sein Evangelium den Nichtjuden zu bringen.
Und jetzt versteht man vielleicht auch, warum die Position von Petrus eine besondere war. Er hatte zwar erkannt, dass die Nichtjuden von Paulus zurecht etwas Anderes zu hören bekamen, aber was sollte nun den Juden gegenüber gelten, deren heiligstes Heiligtum schon immer die Torah gewesen war? Auch der Tempel in Jerusalem stand noch. Das wird von den Christen meist übersehen oder unterschätzt. Alles drehte sich in Israel um den Tempel. Deshalb gingen die Jünger Jesu auch jeden Tag zum Tempel, um dort zu predigen oder zu diskutieren. Der Tempel war Bestandteil der Torah, viele Vorschriften der Torah konnte man nur einhalten, wenn man diesen Tempel hatte. Daraus folgt, dass nach dem Verlust des Tempels das gläubige Judentum vor gewaltigen Glaubensproblemen und natürlich auch theologischen Problemen stand.
Nichtjuden durften diesen Tempel gar nicht betreten, außer den Vorhof. Das waren gewissermaßen Menschen zweiter Klasse. Unreine eben! Paulus würde geschrieben haben, dass dieser Vorhof nicht mehr bestand, weil nun jeder den direkten Zutritt zum Vater hatte. Eine solche Sichtweise war und ist für das Judentum ein Sakrileg.
Petrus befand sich also in einer Zwickmühle. Und deshalb kam es zu dem, was Lukas in seiner Apostelgeschichte nicht erwähnt, aber Paulus in seinem Brief an die Galater nicht auslässt: *9 Paulus redet folgerichtig von zwei Evangelien, einem der Beschneidung, „Evangelion tes peritomes“, für das er ausdrücklich Petrus als zuständig bezeichnet und das Evangelium der Vorhäutigkeit, „Evangelion tes akrobystias“ (akrobystia für Vorhaut), das er sich selber zuschreibt. Dem Petrus wirft er in Gal 2,11ff Heuchelei vor. Bevor nämlich die Brüder der Gemeinde von Jerusalem nach Antiochien gekommen waren, war Petrus mit seinen Leuten schon da gewesen und hatte Tischgemeinschaft mit den Nichtjuden gehabt. Petrus kannte natürlich die Torahfrömmigkeit der Jerusalemer. Als sie ankamen, setzte er sich weg, so wie noch ein paar andere jüdische Gläubige auch. Es heißt ausdrücklich, dass Petrus die „aus der Beschneidung fürchtete“ (Gal 2,12). Das hätte er nicht müssen, wenn er mit ihnen ein Herz und eine Seele war. Er wollte von diesen Eiferern für das Gesetz nicht zur Rede gestellt werden, warum er sich mit diesen Unreinen an einen Tisch gesetzt hatte.
Da war sie wieder diese alte Furchtsamkeit von Petrus, die Angst des alten Adam in Petrus, dem Petrus, dem schon Engel erschienen waren; dem Petrus, der schon Tote auferweckt hatte; dem Petrus, der schon Menschen geheilt hatte; dem Petrus, der sich erkühnte, vor den Hohepriestern seine eigene Meinung zu vertreten; schließlich dem Petrus, dem der auferstandene Christus Sonderlektionen gegeben hatte. Wie kann man da noch Angst vor Menschen haben? Haben ihn seine Glaubenserfahrungen überfordert? Er war vermutlich der einzige der zwölf Apostel und wahrscheinlich der einzige der Brüder in Jerusalem, der wusste, dass Paulus Recht hatte.
Aber warum hatte Gott diesen Paulus erweckt? Ausgerechnet diesen Paulus, der vorher ein Erzfeind der Jünger gewesen war! Ahnt man, in welcher Position Petrus sich wähnte? Ahnt man, warum Jesus ihn drei Mal gefragt hatte, ob er Ihn liebe?
Man ersieht an der Furcht und dem feigen Verhalten von Petrus, dass die Fraktion der Torahfrommen in der christlichen Gemeinde mächtig war und einen starken Einfluss ausübte. Ihnen gegenüber konnte sich Petrus nicht durchsetzen. Und auch nicht er war irdisches Haupt der Gemeinde in Jerusalem, sondern Jakobus, der an der Torah festhielt, wie ja auch sein Brief an die Juden in der Diaspora zeigt. Petrus wusste, dass Paulus Recht hatte, aber er hatte nicht die Mittel, die anderen Juden davon zu überzeugen, die in Jerusalem das Sagen hatten. Erst auf der nachfolgenden Apostelkonferenz, unter der Schirmherrschaft des heiligen Geistes, traute er sich, aufzustehen und ein klares Bekenntnis abzugeben, vielleicht auch schon wieder geläutert nach dem Versagen im Angesicht des Paulus.
Paulus, nein, Jesus hatte etwas „gut“ bei Petrus. Paulus hatte dem Petrus vorgehalten: „weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht.“ (Gal 2,16) Man stelle einmal dem das gegenüber, was Jakobus sagte: „Ist