Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier. Immanuel Birmelin
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Virgo, die Elefantendame
Die Bindung zwischen Mensch und Tier ist, wie wir sehen, nichts Ungewöhnliches. Selbst Elefantendamen in einem Rudel bauen spezifische Bindungen zu einem Menschen auf. Douglas-Hamilton und seine Frau Oria haben dies erfahren und erlebt. Er schrieb seine Doktorarbeit über das Sozialverhalten von Afrikanischen Elefanten im Lake-Manyara-Gebiet in Tansania. Die beiden bauten eine so starke Beziehung zu der Elefantendame Virgo auf, dass Oria Douglas-Hamilton mit ihrem Baby zu Virgo gehen konnte. Sie waren unbeschreiblich glücklich, als Virgo das Baby ganz vorsichtig berüsselte. Diese Beispiele belegen, dass Wildtiere mit Menschen eine Bindung eingehen, egal ob das Wildtier in der Natur oder in der Obhut des Menschen lebt.
Warum sind wir für Tiere so interessant?
Einer der Gründe liegt auf der Hand: Tiere werden vom Menschen versorgt, und das erleichtert ihnen das Überleben. Aber diese Erklärung allein reicht nicht aus. Wie soll man sich erklären, dass Wildtiere wie Gorillas, Schimpansen, Elefanten und Delfine eine Bindung zum Menschen eingegangen sind – ohne Futterbelohnung. Es muss noch andere Beweggründe geben, die den Menschen attraktiv macht für Tiere: Sie sind psychischer Natur und von der Persönlichkeit des Tieres abhängig.
Aber bevor sich Wildtiere auf das Abenteuer einer Mensch-Tier-Beziehung einlassen, muss die Furcht des Tieres gegenüber dem Menschen überwunden werden. Das Tier muss individuell erfahren, dass vom Menschen keine Gefahr ausgeht. Hat es diese Erfahrung gemacht, nähert es sich behutsam und vorsichtig dem Menschen. Das ist in der Praxis oft ein langer Weg. Jane Goodall brauchte über ein halbes Jahr, um zwei Schimpansen-Männer von ihrer Ungefährlichkeit zu überzeugen. Als es so weit war, beschrieb sie die Situation so: »Keine achtzehn Meter weit weg saßen zwei Schimpansen-Männer und sahen mich forschend an. Die beiden großen Schimpansen-Männer fuhren ganz einfach fort, mich anzustarren. Langsam ließ ich mich nieder, und wenig später fingen die beiden an, sich gegenseitig das Fell zu pflegen, und akzeptierten mich.« Dies war der Beginn einer innigen Tier-Mensch-Beziehung. (Quellennachweis, Van Lawick-Goodall, >)
Keiner kann es besser
Aus meiner langen Erfahrung sowohl mit Wildtieren als auch mit Haustieren komme ich zur Erkenntnis, dass wir Menschen für Tiere interessante Lebewesen sind. Vorausgesetzt, wir behandeln sie wie Persönlichkeiten und respektieren ihre Persönlichkeit. Tiere auf der gleichen Augenhöhe zu betrachten, ist sowohl für das Tier als auch für uns Menschen ein Gewinn. Aufgrund der Fähigkeit, Empathie zu empfinden wie kein anderes Lebewesen, haben wir einen Schlüssel in der Hand, in die innere Welt eines anderen Organismus zu blicken. Wir sind in der Lage, die Gefühle und Verhaltensweisen eines Löwen, eines Hundes oder Pferdes zu interpretieren. Und wenn wir unseren Sinnen und Gefühlen nicht trauen, führen wir einfach Experimente durch, die unsere Auffassung unterstützen oder verwerfen.
Ein Tier, das sich verstanden fühlt, entwickelt Vertrauen, Neugier und Zuneigung dem Menschen gegenüber. Kein Tier versteht womöglich ein anderes Tier so gut wie wir. Das ist eine besondere Leistung unseres Gehirns, das einem langen Evolutionsprozess unterworfen war und ist. Wir haben es im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand, eine Bindung zwischen Mensch und Tier aufzubauen.
Unsere Hände
Wir sind in der Lage, mit unseren Händen nicht nur Klavier zu spielen oder ein Werkzeug herzustellen, sondern auch Gefühle auszudrücken, indem wir mit ihnen einen anderen Organismus streicheln und unsere positiven Gefühle auf ein anderes Lebewesen übertragen. Heute sind wir sogar in der Lage, dies naturwissenschaftlich zu messen. Untersuchungen belegen, dass bei Tieren, die gestreichelt wurden, das Stresshormon Cortisol gesenkt wird und die Bindungshormone ansteigen.
Oxytocin ist solch ein Bindungshormon. So fanden Odendaal und Meintjes heraus, »dass sowohl bei Menschen als auch bei Hunden der Oxytocin-Spiegel im Plasma nach zwei- bis fünfminütigem Streicheln des Hundes signifikant ansteigt. Dieser Anstieg war höher, wenn die Versuchsperson ihren eigenen statt eines fremden Hundes streichelte. Das legt nahe, dass der Oxytocin-Anstieg von der Qualität der Beziehung zwischen Mensch und Hund abhängig ist: Also je enger die Beziehung, desto mehr Oxytocin wird wahrscheinlich durch die Interaktion freigesetzt.« (Quellennachweis, Odendaal und Meintjes, >) Neueste Untersuchungen japanischer Forscher, deren Ergebnisse in einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt, nämlich »Science«, erschienen sind, belegen, welch wichtige Rolle Oxytocin bei der Mensch-Tier-Bindung spielt. Die Forscher ließen 30 Herrchen und Frauchen eine halbe Stunde mit ihren vierbeinigen Freunden spielen und schmusen. Eine Gruppe von Hundehaltern bekam den Auftrag, möglichst intensiven Blickkontakt mit ihren Tieren aufzubauen. Vorher und nachher maßen sie den Oxytocingehalt in Urinproben von Mensch und Hund. Die Auswertung war überraschend, denn bei den Menschen- und Hundepaaren, die sich am längsten in die Augen sahen, wurde ein deutlich erhöhter Oxytocin-Spiegel gemessen. In einer Kontrollgruppe mit von Hand aufgezogenen Wölfen und Pflegern fehlte dieser Effekt, obwohl die Wölfe mit den Menschen sehr vertraut waren. Aber nicht nur Hunde lieben es, gestreichelt und gekitzelt zu werden, sondern auch Ratten.
Streicheleinheiten lösen auch bei Ratten ein wohliges Gefühl aus.
Streichel- und Kitzel-Experimente bei Ratten
Jaak Panksepp, einer der führenden Köpfe der Emotionsforschung, konnte dies in seinen Experimenten nachweisen. In einem ersten Experiment wurden die Ratten in Einzelkäfigen entweder mit dem Finger gekitzelt oder gestreichelt. Die Behandlung dauerte zwei Minuten und zog sich über fünf Tage hin. Dabei zeichneten die Forscher die 50-kHZ-Laute auf, die Ratten in angenehmen Situationen äußern. Wer diese Geräusche und Rufe gehört hat, vergisst sie nicht mehr so leicht. Zumindest ging es mir so. Sie verraten das Wohlbefinden der Tiere. Die mit dem Finger gekitzelten Ratten stießen siebenmal häufiger die 50-kHZ-Laute aus als die gestreichelten Ratten. Dabei nahm die Intensität der Rufe zu – offensichtlich genossen die Ratten das Kitzeln.
Um die Ergebnisse ihrer Versuche zu erhärten, maßen die Forscher die Geschwindigkeit, mit der sich die Ratten dem kitzelnden/streichelnden Forscher näherten. Um die Hand des Forschers zu erreichen, mussten die Tiere eine Strecke von 50 Zentimeter zurücklegen. Die regelmäßig gekitzelten Ratten rannten viermal schneller als die gestreichelten.
Ich habe bis jetzt häufig den Begriff Bindung und Beziehung benutzt, ohne zu erklären, was Wissenschaftler darunter verstehen. Machen Sie mit mir einen kurzen Ausflug in das Gebäude der Wissenschaftler.
Auf der Suche nach Bindung
Der Begriff Bindung stammt aus der Psychologie und wurde von den Forschern Mary Ainsworth, James Robertson und John Bowlby eingeführt. Nach ihrer Auffassung ist Bindung eine essenzielle biologische Größe, die nicht von Hunger oder Durst abhängt. Bindung entwickelt sich auf der Grundlage des Zusammenspiels und Handelns zwischen mindestens zwei Individuen. Wie gut das Zusammenspiel ist, zeigt sich daran, wie genau das Verhalten zeitlich aufeinander abgestimmt ist, wie genau die Verhaltensweisen der Individuen ständig aufeinander bezogen sind und wie sie reguliert werden. Die erste Bindung, die ein Kind eingeht, ist die zur Mutter. Zwischen Mutter und Kind wird eine