IMMUN. Sebastian Weis
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„Das kann nicht sein.“
„Sie bilden sich das nur ein. Das ist vermutlich psycho-somatisch.“
„Haben Sie schon mal über Paartherapie nachgedacht?“
Nach langer Odyssee fand die Patientin endlich einen Arzt, der sich ihrer annahm und der sich näher mit der Problematik beschäftigte. Das Ergebnis: Die Dame litt an der äußerst seltenen Sperma-Allergie. Dabei reagiert das Immunsystem auf bestimmte Eiweiße im Ejakulat des Mannes. Die Reaktion kann sogar lebensbedrohlich werden, wenn es zum anaphylaktischen Schock kommt, einer besonders schweren Form der allergischen Reaktion, die tödlich enden kann. Das Immunsystem reagiert dabei nicht auf die Spermien, sondern auf einen Eiweißbestandteil der Flüssigkeit. Dieses Eiweiß ist bei allen Männern gleich, es bringt also nichts, den Mann zu wechseln. Auch Männer können übrigens auf das eigene Sperma allergisch reagieren. Klingt komisch, ist aber so.
Vorurteile sind eines der größten Hindernisse im Erkenntnisgewinn.
Das kann nicht sein. Das existiert nicht. Das gibt es nicht. Was wir noch nicht wissenschaftlich erforscht haben, wird erst einmal als nicht-existent definiert. Gleichzeitig wird der Patient mit seinen Symptomen allein gelassen und kaum ernst genommen.
In der Medizin können Vorurteile tödlich sein.
Sehr lange galt als wissenschaftlicher Standard, dass es keine Auto- Immun-Erkrankungen geben kann. Inzwischen wissen wir es besser. Noch im 18. Jahrhundert musste man um sein Leben fürchten, wenn man behauptete, dass das Herz das Blut durch den Körper pumpt. Im 19. Jahrhundert wurden die Entdeckungen belächelt, dass es Mikroorganismen gäbe, die Krankheiten auslösen können. Im 20. Jahrhundert (1958) gründete „der Spinner, der Idiot“ – wie seine Mediziner-Kollegen ihn nannten - Wildor Hollmann als Ein-Mann-Betrieb das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Sporthochschule Köln. Er wollte wissen, wie sich Sport, Bewegung und Training auf die Gesundheit von Kindern, Erwachsenen und Senioren auswirken. Bewegung sollte etwas mit Gesundheit zu tun haben? Prof. Hollmann wurde für diesen damals absurd klingenden Gedanken von seinen Medizinerkollegen verlacht. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es noch kaum Studien darüber, wie sich Bewegung und Bewegungsmangel auf die Gesundheit auswirken. Doch Hollmann war überzeugt von seiner Idee und konnte beweisen, welche katastrophale Folgen langfristige Bettruhe auf die Gesundheit von Patienten z. B. nach Operationen hat. Erst durch seine Arbeit wurde Bewegung als wichtiger Faktor in die Rehabilitation eingeführt. Und erst seitdem werden auch die Auswirkungen von Training auf das Immunsystem sportwissenschaftlich untersucht.
Wie wäre es, wenn wir „das kann nicht sein“ ersetzen mit genauer Beobachtung und Wertschätzung? Wie wäre es, wenn wir es ersetzen mit dem meiner Meinung nach ehrlicheren „ich weiß es nicht“? Und wie wäre es, wenn wir es ersetzen mit: „Das ist interessant. Finden wir heraus, was da vor sich geht!“
Genau dazu lade ich Sie mit diesem Buch ein. Entdecken Sie, welche Faktoren die Leistungsfähigkeit Ihres Immunsystems beeinflussen und erfahren Sie, was Sie konkret in Ihrem Alltag tun können, um Ihr Immunsystem bestmöglich zu unterstützen. Erfahren Sie, welche vielfältigen Faktoren über Gesundheit und Krankheit entscheiden.
Erforschen werden wir das Immunsystem aus zwei Perspektiven:
• Dem modernen wissenschaftlichen Blick
• Dem Blick der ur-alten Ayurveda-Medizin
Warum Ayurveda?
Der Ayurveda ist ein über viele Jahrhunderte kontinuierlich weiterentwickeltes Gesundheitssystem, dessen Prinzipien und Therapiewege sich bisher für jede Generation neu bewährt haben und die – das ist das spannende – von der modernen Wissenschaft zunehmend bestätigt werden. Darauf werde ich im Laufe des Buches immer wieder eingehen.
Der Ayurveda stellt an den Anfang seiner Überlegungen die unvoreingenommene Beobachtung dessen, was ist. Nehmen wir das Beispiel vom Anfang: Eine Patientin klagt über allergische Reaktionen auf das Sperma ihres Mannes. Ein guter Arzt schließt nicht aus, dass das möglich ist, nur weil er davon noch nie gehört hat. Stattdessen beginnt er eine ausführliche und möglichst vorurteilsfreie Diagnose:
• Welche Symptome genau werden beschrieben? Jucken? Ausschlag? Rötung?
• Gibt es Faktoren, die die Symptome lindern oder verstärken?
• Gibt es andere Allergien oder Erkrankungen?
• Wie ist die Verdauung der Person?
• Wie der psychische Zustand?
Beobachtung und ausführliche Untersuchungen bilden das Fundament. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme werden erst im zweiten Schritt vor dem Hintergrund bekannter und bewährter Prinzipien der Krankheitsentstehung analysiert und interpretiert. Daraus entsteht dann im letzten Schritt ein Therapieplan, der täglich neu angepasst wird.
Der Ayurveda stellt den Menschen in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, nicht den Krankheitserreger. Was die moderne Medizin gerade entdeckt – die personalisierte Medizin – wird in anderen Systemen wie dem Ayurveda schon sehr lange selbstverständlich praktiziert. Modern machen wir ein Blutbild, bestimmen zahlreiche Laborwerte und sequenzieren die DNA. Ayurvedisch nutzen wir natürlich auch die modernen Parameter. Aber vor allem schauen wir uns den Menschen an, fassen ihn an, erleben ihn. Der Ayurveda betrachtet den Menschen immer als Individuum, daher ist die Therapie auch immer individuell. Das bedeutet, zwei Patienten mit derselben Erkrankung können unterschiedlich behandelt werden. Und nicht nur das: der Therapieplan wird jeden Tag neu angepasst, ausgehend von der aktuellen Symptomlage. Die moderne Medizin geht langsam in dieselbe Richtung mit der personalisierten Medizin. Sie steckt allerdings noch in den Kinderschuhen, weil es dafür kein Paradigma gibt, keinen Bezugsrahmen in einem Denksystem, dass nur Doppel-Blind-Randomisierten Studien glaubt und den Menschen als Maschine betrachtet.
Immer mehr Menschen suchen daher Hilfe in der Naturheilkunde.
Doch viele Krankheiten lassen sich aus meiner Erfahrung am Besten im Schulterschluss zwischen Naturheilkunde und Schulmedizin heilen. Der ayurvedische Ansatz ist, konsequent alles zu nutzen, was dem Wohle des Patienten dient. Die moderne Medizin gehört selbstverständlich dazu.
An dieser Stelle möchte ich nochmal ausdrücklich betonen, dass es viele hervorragende modern wissenschaftlich ausgebildete Ärzte gibt, die sich einen offenen Geist bewahrt haben und die Patienten immer ernst nehmen.
Der Ayurveda geht von einem kausalen Universum aus. Der lateinische Begriff Causa heißt übersetzt Ursache oder Grund. Es ist das Prinzip von Ursache und Wirkung. In der modernen Medizin heißt es bei vielen Erkrankungen noch „Ursache unbekannt“. Der Ayurveda nimmt den Menschen in einem größeren Kontext wahr und kann daraus mehr Ursachen für Erkrankungen erkennen. Daher werden wir im Folgenden sowohl Maßnahmen kennenlernen, die angehende