ATEMZUG. Eveline Keller

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ATEMZUG - Eveline Keller

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Außerdem käme sie durch den Aufschlag sicher zur Besinnung, in jeder Hinsicht.

      Er mochte zwar böse Gedanken hegen, aber er würde es nicht über sein Pfadfinderherz bringen, jemanden, der offensichtlich in Not war, fallen zu lassen. Er fing Liz auf und legte sie sachte auf den Boden. Dann knüllte er seine Jacke zusammen und schob sie ihr unter den Kopf. Nun da sie dalag, konnte er sie ungestört betrachten.

      Sie hatte braune, schulterlange Locken und einen leicht geschwungenen Mund. Entgegen ihrem temperamentvollen Ausbruch von vorhin waren ihre funkelnden Augen geschlossen und ihre römische Nase entspannt. Die Sorgenfältchen waren verschwunden und ihre Haut sah aus wie aus Samt. Nun war er froh, dass er sie nicht fallen gelassen hatte und ihr ebenmäßiges Gesicht nicht verletzt wurde.

      Harry schaute sich unschlüssig um. Was nun? Zaghaft tätschelte er ihr die Wange, worauf ihre Augenlider zu flattern begannen.

      Liz kam langsam zu sich und sah erst eine große Nase vor sich, dann ein Paar besorgt blickende goldbraune Augen, darunter nervös verkniffene Lippen in einem kantigen Unterkiefer.

      Benommen bewegte sie ihren Kopf. Was war geschehen? Warum lag sie auf dem Boden? Und weshalb hielt ihr der Typ eine Hundekot-Sammeltüte hin? Wollte er sie mit Kacke beschmieren, weil sie ihn geschlagen hatte? Sie blickte ihn fragend an.

      »Halten Sie sich den Beutel an den Mund und atmen sie langsam ein und aus. Keine Angst, er ist unbenutzt.«

      Sie sah ihn mit großen Augen an, während sie folgsam in den Sack blies. Und sie sich Stück für Stück erinnerte: Ihre Handtasche! Das Geld! Die Abteilungskasse! Ihre Welt stürzte ein! Entsetzt ließ sie die Tüte sinken und schnappte mehrfach nach Luft.

      »Hallo? Nicht so schnell. Langsam! Und atmen sie aus dem Beutel.« Harry hob ihn ihr aufmunternd wieder an den Mund. »Na los.«

      Liz Augen hingen traurig an ihm, während sie seine Anweisung befolgte: Ein – und – aus. Alles war verloren! Ihre kleine, heile Welt zerbarst in tausend Stücke. Ein – und – aus. Ausgerechnet heute hatte sie sechstausend Franken eingesteckt, um das Schutzgeld für ihre Kinder zu bezahlen. Ein – und – aus. Der Betrag war diesmal ungewöhnlich hoch, mehr als sie in einem Monat verdiente. In der Not hatte sie die Hälfte davon aus der Abteilungskasse genommen, und jetzt war alles weg! Ein – und – aus. Woher sollte sie so schnell so viel Geld hernehmen? Es gab nur eines: Sie musste die Handtasche wiederfinden. Wenn herauskam, dass sie in die Kasse gegriffen hatte, verlor sie ihren Job. Tränen schossen ihr in die Augen.

      Harry legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern: »Na, kommen sie. Ich helfe ihnen.« Er zog sie auf die Beine und lief mit ihr in die Richtung, in die der Dieb verschwunden war. »Nur Mut, sie schaffen das schon. Schauen sie nur: Es ist so ein herrlicher Tag heute.«

      Widerstrebend ließ sie sich mitziehen. Der hatte Nerven! Dachte Liz. Meine Welt ist gerade in die Brüche gegangen.

      Das ungleiche Paar machte sich an die Verfolgung des Diebes. Harry stürmte voraus und sie eilte hinterher.

      »Wenn wir den Gauner nicht finden, erstatten sie am Besten Anzeige beim nächsten Polizeiposten. Ihre Bankkarten oder Kreditkarten sollten sie unverzüglich sperren lassen. Das Bargeld ist ziemlich sicher futsch.«

      Liz hörte nur halb zu, während sie sich suchend umschaute. »Können Sie beschreiben, wie er aussah?«

      »Er war mittelgroß, von schlanker Statur«

      »Kleider: Was trug er?«

      »Etwas Dunkles, Hose und T-Shirt.«

      »Haare?«

      »Sandfarben.«

      Liz sah ihn verblüfft an, all das hatte er sich in der kurzen Zeit gemerkt. Tief beeindruckt musterte sie ihn: Er war einen Kopf größer als sie, war gut proportioniert, sie tippte auf regelmäßiges Training. Er hatte den Gang eines Sportschwimmers, ausgreifenden Schritte, rollende Schultern mit leicht vorgebeugtem Oberkörper und sein Kopf schien dem Körper vorauszueilen.

      Harry hastete weiter und zog sie nun an der Hand mit. Sie musste aufpassen, nicht zu stolpern, sonst würde sie bei dem Tempo mitgeschleift werden. Zwei Häuserblocks weiter vorne, hatten sie den Stehler eingeholt. Er schien es nicht besonders eilig zu haben. Harry ließ ihre Hand los und rannte zu ihm. Im Nu hatte er ihn eingeholt, zerrte ihn herum und griff nach der Handtasche. »Her damit!«

      Der Mann schrie: »Hilfe – Diebe! Hilfe!«

      Eine wilde Rangelei entstand. Harry wollte dem Langfinger die Tasche entreißen, doch der klammerte sich daran fest. Er wehrte sich geschickt, obwohl das Kräfteverhältnis zugunsten Harrys war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Oberhand gewinnen würde, hatte jedoch alle Hände voll zu tun, um nicht ausgetrickst zu werden. Erleichterung überkam ihn, als er hörte, wie einige Passanten herbeieilten. Endlich. Gleich hatten sie den Spitzbuben gefasst.

      Da wurden ihm die Arme auf den Rücken gerissen. Überrascht wollte er sich umdrehen und fragen, was das soll. Als ein Schmerz in der Schulter ihn zwang die Tasche loszulassen. Ehe er sich versah, drückten ihn mehrere starke Hände auf den Boden, bis er sich nicht mehr rühren konnte.

      »Was soll das?«, schrie er. »Der andere ist der Gauner! Er hat die Handtasche gestohlen!«

      Einer der Bezwinger schnaubte empört. »Ha! Das könnte jeder behaupten!« Ein anderer: «Was für eine Unverschämtheit!«

      Zu Harrys Verblüffung glaubte ihm keiner. »Ruft die Polizei!«, schlug einer vor. Ein Mann in Dreiteiler und Krawatte zückte das Handy.

      »Sie machen einen riesigen Fehler. Hören Sie: Er hat der Dame da drüben die Tasche gemopst«, erklärte Harry und wies zu der Stelle hin, wo die Frau zu sah. Doch der Gehsteig war leer. »Aber, sie war eben noch da!«

      Von Männern umstellt wurde er weiter festgehalten. Ein paar Neugierige waren stehen geblieben und beobachteten das Treiben. Doch die schöne Fremde blieb verschwunden.

      Bald darauf kam die Polizei und übernahm den Gefangenen. Obwohl er ihnen schwor, dass alles ein Missverständnis sei und er selbst für die Justiz arbeitete, zweifelten sie. Sie verlangten, dass er sich auswies. Nachdem er eine Hand befreit hatte, griff er selbstsicher in die Gesäßtasche, doch die war leer. Seine Brieftasche war auch weg. »Sie muss mir beim Kampf herausgefallen sein.« Suchend schauten sich alle um, aber da war nichts. »Der Dieb, bestimm hat er sie geklaut!«

      Doch statt ihm zu glauben, verdüsterte sich der Blick der umstehenden Männer. Ein junger Polizist, frisch ausgebildet und übermotiviert, legte ihm die Hand auf die Schulter: »Andere Leute zu beschuldigen, rettet Sie auch nicht mehr. Sie sind verhaftet.« In Handschellen wurde Harry in den bereitstehenden Einsatzwagen geschoben. All seine Proteste und Argumente nützten nichts, oder verpufften ungehört.

      Was für ein Alptraum lief hier? Fragte er sich. Er wurde für einen Gauner gehalten. Die fremde Frau hatte sich aus dem Staub gemacht. Und anstatt im Reisebüro Ferien zu buchen, kam er in eine Zelle. Und all das geschah ihm am helllichten Tag, mit den Augen weit offen. Was die Sache geradezu gespenstisch machte. Dabei hatte für ihn der Morgen so gut begonnen.

      4.

      Liz sah zu wie Harry mit dem Taschendieb rang. Und auch sie war überraschte, dass die zu Hilfe eilenden Passanten, anstelle des Gauners ihn überwältigten. Erschrocken wandte sie sich ab und trat in einen Ladendurchgang. Bevor man auf sie aufmerksam werden konnte.

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