ATEMZUG. Eveline Keller
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Sie beeilte sich nun aber, die Türen zu öffnen.
Sobald ihr Team komplett war, besprach sie mit ihnen den Tagesablauf. Als Kaffeepausen und Mittagsablösungen besprochen waren, beriet sie mit ihrer Stellvertreterin Sereina, wie sie die neu angelieferte Ware auf der Ausstellungsfläche präsentieren wollten. Bis Sharons Wuschelkopf zwischen zwei Ständern auftauchte. »Liz hast du einen Moment Zeit? Ein Kunde fragt nach dir.«
»Natürlich. Ich komme.« Sie legte das mit Spitzen verzierte Höschen auf den Tresen und wandte sich der Umkleidekabine zu. »Da hinten, in der letzten Kabine«. Sharon zeigte zu den Umkleidekabinen. Liz nickte, ging zur Kabine und öffnete den gezogenen Vorhang.
»Da bist du ja – pflichtbewusst wie immer.« Der untersetzte Mann mit den eingesunkenen Augen, mehr Haut auf dem Kopf, wo andere Haare hatten und einem schwabbelnden Unterkinn, sprach gedämpft. Für Liz klang es wie das Zischen einer Schlange.
»Wo ist das Geld?« Arnie verstand es seine äußerlichen Mängel, mit Nonchalance zu überspielen. Er war nicht unintelligent. Er hatte in letzter Zeit etwas Pech gehabt. Das war alles. Aber auch das würde bald Geschichte sein. Darum war er hier. Heute würde er das letzte Mal seine Ex-Frau Liz abkassieren. Sie wird ihm das Reisegeld überreichen, das er benötigte, um sich ins Ausland abzusetzen. Liz war für ihn immer eine zuverlässige Geldquelle gewesen. Und heute erreichte diese fruchtbare Beziehung ihren Höhepunkt. Zumindest, aus seiner Sicht.
Für Liz war es schlicht Erpressung, was er tat. Schlimm genug, dass sie diesen schmierigen Hanswurst mal geliebt hatte und mit ihm zwei wunderbare Kinder gezeugt hatte. Eine Erinnerung, bei der es ihr flau im Magen wurde. Wie hatte sie sich doch in ihm getäuscht.
Damals als sie ihn kennenlernte, fand sie ihn sexy. Er hatte dunkle lange Haare, ein strahlendes Lächeln im stets braun gebrannten Gesicht. Die Goldketten um den Hals blitzten mit seinen Zähnen um die Wette. Er trug am liebsten Jeans und Cowboystiefel, die ihm das Flair eines verwegenen Freibeuters verliehen. Sie erlag seinem lebhaften Charme und lauschte verzückt, wenn er ihr die Welt und wie sie tickte, erklärte. Auf dem Beifahrersitz seines rot-schwarzen Mustangs fühlte sich das Leben sorglos und schwerelos an. Bis heute hatte er sich diese reizvolle Ausstrahlung bewahrt und verdrehte Frauen jeder Altersklasse damit den Kopf. Sie hatte lange nicht mitbekommen, dass Arnie deshalb so viel Freizeit hatte, weil er keiner geregelten Arbeit nachging. Aber nicht nur dass: Er hatte seine Hände überall drin, was verboten war: Einbruch, Bankraub, Betrug, Drogenhandel; alles, womit er schnelles Geld machen konnte. Das entsprach eher seinem Naturell, als die mühselige Plackerei für einen mickrigen Lohn.
Für einige Zeit bildete er mit Glitter-Glamy eine der berüchtigtsten Diebesbanden. Sie waren quasi das Traumteam des Milieus. Bis er ein privates Video, mit pikantem Inhalt und der Safeknackerin in der Hauptrolle, an seine Freunde verschacherte. Seither hassten sich die beiden leidenschaftlich.
Liz erfuhr erst nach ihrer überstürzten Heirat, von seinem kriminellen Lebenswandel. Aber da kam bereits ihr erstes Kind zur Welt und ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrem Baby. Trotzdem, zwischen Liz und Arnie entbrannte ein zermürbender Kampf: Er versuchte sie von seiner Sichtweise der Dinge überzeugen, beschwor sie immer wieder mit seinem Hundeblick: »Ich liebe dich so sehr. Ich täte alles für dich. Nur dieses eine Mal verlange ich einen klitzekleinen Gefallen von dir, mit dem du mir beweisen kannst, wie sehr du mich liebst.«
Im Gegenzug wollte sie ihn auf den rechten Weg zurückbringen, mit einer geregelten Arbeit und ihrer kleinen Familie. Als ehemals ausgebildeter Konditor hätte er sicher eine Stelle gefunden. Aber das war Arnies Sache nicht.
Er glaubte daran, dass man sich das Leben nur richtig zurechtbiegen musste, um sich ein Stück vom Glück sichern zu können. In einem letzten Versuch, sich zu versöhnen, wurde der zweite Sohn gezeugt. Als er das Licht der Welt erblickte, waren sie bereits geschieden. Liz hatte sich für den Weg einer alleinerziehenden Mutter entschieden.
Zutiefst verletzt und beleidigt gab Arnie an, kein Geld zu haben, um Alimente zu zahlen. Das war unfair. Zum Glück verdiente sie genug und konnte für die Familie sorgen. Das hätte soweit funktioniert.
Bis der Kinds-Vater, das hinterlistige Wiesel, begann von ihr Schutzgeld für die Jungs herauszupressen. Von da an lebte sie in ständiger Not, besorgt um deren Sicherheit und woher sie das Geld nehmen sollte. Vor drei Jahren hatte Arnie damit begonnen: Er holte ihre Söhne direkt von der Schule ab und verschwand mit ihnen. Dann rief er an und forderte Geld, sonst würde sie sie nie wiedersehen. Liz hatte ihn angefleht, die beiden nicht in seine Machenschaften hineinzuziehen und sie in Ruhe zu lassen. Er war einverstanden. Aber nur, wenn sie pünktlich zahlte.
Und hier stand er nun. Ihr lebendig gewordener Albtraum. Sein wabbeliges Unterkinn reckte sich immer wieder in ihr einfaches, geordnetes Leben. Seine seltsame Art Besuche abzustatten, erstaunte sie längst nicht mehr. Auch heute nicht. Was würde er davon halten, wenn sie mal den Spieß umdrehte?
»Nehmen sie sofort ihre schmutzigen Hände weg!«, schrie sie.
»Spinnst du jetzt? Ich bin es Arnie – hör auf damit!«, rief er.
Draußen vor der Kabine hatten die Verkäuferinnen und Kunden den Schrei gehört und eilten zu Hilfe.
»Verlassen sie sofort diesen Laden und kommen sie nie wieder. Sie haben hier ab sofort Hausverbot!«, herrschte Liz ihn an. Sie trat aus der Kabine und zeigte stumm auf die Ausgangstür. Verkäuferinnen und Kundinnen hatten sich vor der Umkleide versammelt und blickten Arnie drohend an.
»So nicht! Das wirst du mir büßen!«, zischte er ihr beim Vorbeigehen zu. Aber angesichts der aufgebrachten Menge gab er sich geschlagen und bahnte sich den Weg hinaus.
»Machen sie, dass sie rauskommen«, eine ältere Dame stieß ihn mit ihrem Schirm. Eine andere rief: »Perversling.«
»Die werden immer dreister«, meinte Sereina und legte Liz tröstend den Arm um die Schultern. »Komm wir gehen einen Kaffee trinken.«
»Danke. Im Moment brauche ich ein paar Minuten für mich«. Sie quälte sich ein Lächeln ab und ging in ihr winziges Büro, wo sie sich hinsetzte und ihre Knie umarmte. Diesmal war sie glimpflich davongekommen. Es tat gut, Arnie eins auszuwischen. Aber beim nächsten Mal würde er sich nicht so einfach verscheuchen lassen. Trotzdem, sein dummes Gesicht war die ganze Sache wert gewesen. Sie gratulierte sich zu ihrem spontanen Einfall. Er hätte ihr die Geschichte mit dem Taschendiebstahl sowieso nicht geglaubt. Er wird nun zwar vor Wut kochen, aber sie hatte kostbare Zeit gewonnen. Zeit, die sie dringend benötigte, um eine Lösung zu finden. Wenn er sie das nächste Mal aufsuchte, war ihr vielleicht eine Möglichkeit, wie sie das Geld auftreiben konnte eingefallen, oder sie hatte im Lotto gewonnen, oder sie hatte einen Millionär geheiratet.
All diese Ideen hatten eines gemeinsam: Sie beinhalteten viel Hoffnung und die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon eintraf, war minimal.
5.
Harry wurde eine Stunde nach seiner Verhaftung von seinem Assistent Norbert von der Staatsanwaltschaft ausgelöst, indem er für ihn bürgte.
»Chef, schlecht gestartet heute? Sehen sie es mal positiv: Der Tag kann nur noch besser werden.« Der Anblick seines Vorgesetzten Bennet in der Einstellzelle der Polizeistation war der Brüller.
»Ts, Ts, verwickelt in einen Entreißdiebstahl. Ich sehe schon die Schlagzeile: Staatsanwalt verdient nicht genug zum Leben und muss sich mit lukrativem Nebenverdienst den Lohn aufbessern.«
»Halten Sie den Mund, Norbert! Sonst könnte ich mich vergessen«, murrte Harry. Ihm war nicht