MONTE. Eveline Keller
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Selbst mir, der Neuen, war die Geschichte von Hans Furrer bekannt. Er war ein vom Schicksal schwer geprüfter Mann. Vor zwei Jahren hatte man seine Tochter Iris, oder deren sterbliche Überreste, auf der A1, Höhe Winterthur-Wülflingen, aus ihrem Fiat schneiden müssen. Schwerer Verkehrsunfall mit Todesfolge. Nach ihrer Beerdigung war sein Schwiegersohn Kevin mit den Enkelinnen abgereist, mit unbekanntem Ziel. Vor zehn Tagen war die nächste Katastrophe für ihn eingetreten: Seine Frau Nelly starb an Kehlkopfkrebs. Es war schnell gegangen. Für ihn viel zu schnell.
Ich schaute ihn über den Rand des inzwischen mit Schaumresten verklebten Glases an.
„Und was soll das?“, ich deutete auf seine Waffe.
Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ihr versteht ja nichts anderes! Fünf Briefe habe ich geschrieben. Geschehen ist gar nichts!“
Ich widersprach: „Sie haben eine Antwort erhalten, aber die passt Ihnen nicht. Es gibt nun mal bei der Einwohnerkontrolle keine Folgeadresse von Kevin und ihren Enkelinnen. Wir haben keine Ahnung, wo sie heute leben.“
„Sehen Sie, und genau das glaube ich nicht!“
„Es gibt keine andere Antwort“, seufzte ich, „und wenn Sie mich erschießen.“
„Sie sollen sie suchen und finden“, verlangte er und tippte mit der Knarre auf mich.
Mein Blick blieb wie ferngesteuert am stählernen Lauf hängen. So weit war es also mit mir gekommen. Aus diesem kleinen schwarzen Loch würde nächstens eine Kugel in meinen Körper einschlagen und mein junges Leben beenden. Ich hatte zwar keine Ahnung von Waffen, glaubte jedoch, eine Luger darin zu erkennen. Vor einiger Zeit hatte ich mich auf Wikipedia vertippt und eine Seite mit diesem Bild war aufgesprungen. Dem Text zufolge handelte es sich um eine im Zweiten Weltkrieg beliebte Militärwaffe und ich hatte angenommen, sie wäre mit dem Ende des Krieges ausgemustert worden. Das Exemplar in Furrers Hand schien allerdings gut in Schuss zu sein.
„Mit solchen Drohungen verscherzen Sie es sich erst recht mit allen.“
Offenbar berührte ich mit diesen Worten einen empfindlichen Nerv, denn er sah mich plötzlich müde an.
„Ich muss handeln. Nelly und Iris sind bereits von mir gegangen. In der Zeit, die mir noch bleibt, muss ich Mara und Andrea finden. Ich habe es Nelly auf dem Sterbebett versprochen.“
Ein heftiger Husten unterbrach ihn und er wischte sich zittrig mit dem Taschentuch über den Mund.
„Sie sind jung. Was sind für Sie schon ein paar Monate?“
Ich realisierte, dass sein Taschentuch Blutspuren aufwies, also fragte ich: „Sind Sie krank?“
„Das geht Sie einen Scheissdreck an!“, fauchte er.
Ich versuchte, ihn zu beschwichtigen. „Hören Sie! Die Nachforschungen sind in vollem Gange. Ihr Schwiegersohn Kevin zigeunert von einer Ecke der Schweiz in die andere. Bis jetzt wissen wir nur, dass er von Berwil nach Allschwil und von da nach Tavannes gezogen ist, aber das Haus, in dem er vor zwei Jahren wohnte, wurde inzwischen abgerissen. Eine Folgeadresse hat er nicht hinterlassen. Unsere Suche geht also weiter. Allein bis wir herausgefunden hatten, dass er von Allschwil nach Tavannes gezogen war, sind fünf Wochen vergangen. Verstehen Sie?“
„Sie können ruhig normal mit mir sprechen. Ich bin weder schwerhörig noch dement“, murrte er. „Haben Sie mal daran gedacht, dass Kevin mit den Mädchen nach Frankreich oder Belgien ausgereist sein könnte?“ Er starrte mich an, bis ich den Blick abwandte. Es kribbelte in meinem Nacken, als würde eine Erinnerung in mir aufsteigen.
„Bei so was schaut ihr Behördenfuzzis doch tatenlos zu“, klagte er weiter. „Ihr wollt sie doch gar nicht finden. Ihr denkt, der alte Furrer ist gaga. Den halten wir hin, bis er gestorben ist. Dann erledigt sich das Problem von selbst.“
„Bestimmt nicht. Ich verspreche Ihnen hiermit, dass ich nicht eher aufgebe, bis ich Mara und Andrea gefunden habe.“ Ich schaute ihm fest in die Augen. Zugegeben, bisher war mit dem Fall nicht alles rund gelaufen. Er war mir von Kollegin Dora übergeben worden, die ihn wiederum ihrerseits während ihrer Krankheit für Anne betreut hatte. Doch jetzt stand mein Entschluss fest. Ich würde nicht eher ruhen, bis ich die beiden gefunden hätte.
Er packte meine Hand. „Und wenn er die Mädchen an einen Pornoring verschachert hat, um sich für ein paar Mäuse Drogen zu kaufen? Haben Sie daran mal gedacht? Was schauen Sie? Wussten Sie nicht, dass Kevin drogensüchtig ist?“
„Was?“, ächzte ich. Davon stand nichts in den Akten. Wie konnte das passieren?
Resigniert ließ Furrer den Kopf hängen und bewegte ihn hin und her, als wäre er an einem Faden festgemacht. „Die Ungewissheit raubt mir langsam den Verstand.“
Ich schaute betroffen auf meine Hände. Dann bemerkte ich die Waffe, die vergessen vor uns auf dem Tisch lag. Ich schnappte sie mir.
„Ha - Schluss jetzt! Sie heben ganz langsam die Hände über den Kopf! Los!“, befahl ich.
„Ach, Fräulein!“
„Na, wird’s bald?“
„Und wenn nicht, erschießen Sie mich dann? Nur zu! Sie tun mir damit einen Gefallen.“
Unsicher geworden, umfasste ich die Pistole mit beiden Händen.
„Dachte ich’s mir. Keinen Mumm“, brummte er. „Ich muss hier raus, mir stinkt es.“
„Halt!“, rief ich. Doch er ging unbeirrt weiter. Ich schluckte. Dann drückte ich ab. Die Kugel schlug zwei Meter neben ihm in die Wand.
„Hoffnungslos!“, kommentierte er achselzuckend und blieb an der Tür stehen. „Ich werde der Presse diese Schlamperei in Berwil mitteilen. Alle sollen sehen, was hier läuft.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ihr lügt. Keiner will meine Enkelinnen finden. Alle habt ihr euch gegen mich verschworen.“
Wieder hatte ich dieses Kribbeln im Nacken. „Was für ein hanebüchener Mist!“
„Sind Sie wirklich so naiv? Es geht um Geld. Immer. Das müssten Sie inzwischen begriffen haben. Wissen Sie, was es die Gemeinde kosten würde, wenn die Mädchen hier wohnten? Eine Pflegefamilie oder eine Unterbringung im Heim – beides kriegen Sie nicht unter einer halben Million. Das würde Berwil ruinieren.“
„Da ist kein Funken Wahrheit dran!“, schnaubte ich. „Kommen Sie mal wieder runter und nehmen Sie Vernunft an!“
„Vernunft? Vernünftig war ich lange genug, hat nichts gebracht.“
Wütend stapfte er hinaus.
Kurz darauf hörte ich von draußen laute Stimmen. Durchs Fenster sah ich, wie Furrer mit dem Gemeindepolizisten Max Gross rang. Und schon klickten die Handschellen zu.
Ich eilte hin, die Waffe in der Hand.
„Bitte, Max, tu ihm nichts! Es ist nichts geschehen. Nur, die hier gehört ihm.“
Mit