MONTE. Eveline Keller
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Erleichtert atmete ich auf.
Im selben Moment hörte ich ein surrendes Klicken hinter mir. Ich drehte mich um und schaute geradewegs in die glänzende Linse eines Fotoapparats, dahinter erkannte ich einen Journalisten. Die Bilder machten kurz darauf unter dem Titel „SKANDAL in Berwil“ im Internet Schlagzeilen und am nächsten Tag stand es in allen Zeitungen.
Ich zeigte dem aufdringlichen Reporter den Stinkefinger und verschwand im Haus. Kurz darauf klingelte mein Handy. Am Apparat war kein Geringerer als der Bürgermeister von Berwil, Xaver Spörri, ein händestreichelnder Politiker und gut informierter Unternehmer.
„Was ist passiert? Wie geht es dir, Janet? Die Medien bestürmen mich von allen Seiten. Kannst du mir in zwei Sätzen sagen, was vorgefallen ist?“
Ich versuchte es und überließ das Zählen der Sätze ihm. Zum Schluss fragte ich: „Ist die Sache nicht höchst eigenartig? Warum wurde Furrer jahrelang von der Gemeinde hingehalten? Kein Wunder, dass er irgendwann durchdreht.“
„Von Absicht kann keine Rede sein. Frag mal die Uschi, das ist ihr Ressort.“
„Wusstest du, dass Furrer ein Drogenproblem hat?“
„Der Alte? Bei dem überrascht mich gar nichts.“
„Nein, nicht Hans. Ich meine Kevin, den Ex-Mann von Iris.“
„Davon weiß ich nichts“, und damit hängte er ein.
Verdutzt sah ich den Hörer an. Xaver wusste doch sonst über alles Bescheid.
Die Nächste war Gemeinderätin Uschi Brenner. Sie flennte ins Telefon: „Meine Güte, Janet, lebst du noch?“
„Knapp. Andererseits könnte ich sonst wohl nicht den Hörer halten.“
„Was muss noch alles geschehen! Hat Furrer dir was getan? Hat er dich angegriffen? Bist du verletzt? Ach, hätten wir den Fall gestern nur erledigt, dann wäre das nicht passiert.“
„Hättet ihr den Fall ernsthaft bearbeitet, wäre das nicht passiert. Die Behörde hat mächtig geschlampt. Ich fasse es nicht! Kein Wort von euch, dass der Fall dringend wäre oder dass Furrer gefährlich werden könnte. Nichts! Habt ihr gedacht, die Neue kann der ruhig erschießen? Hauptsache, ihr seid aus der Schusslinie?“
„Beruhige dich. Du bist aufgeregt, trotzdem solltest du nicht mit Beschuldigungen um dich werfen. Wer hätte denn das geahnt?“
„Sorry! Ich reg mich erst richtig auf. Ich hänge an meinem Leben“, fauchte ich. „Und ihr werft mir vor, ich würde zu wenig Teamgeist zeigen. Wie bezeichnet ihr denn das, was ihr da macht? Ich nenne das Leute verheizen!“
„Was wollte er denn? Hat er …?“, sie stockte. „Hat er …?“, das Unausgesprochene hing schwer zwischen uns.
„Nein, er – hat – nicht! Aber ich hatte eine Scheißangst!“
Sie stammelte ein paar Mea culpas.
Dann fragte ich sie, was an Furrers Vorwürfen dran sei:
„Wusstest du, dass Kevin Furrer drogenabhängig ist?“
„Kevin? Hm. - Da war mal was. So genau kann ich das jetzt nicht sagen, aber …“
„Hat er einen Entzug gemacht?“
„Du fragst Sachen. Da müsste ich nachsehen.“ Und nach einer Pause erläuterte sie mir, nur weil jemand mal wegen Drogenbesitzes registriert worden sei, müsse er nicht zwingend drogensüchtig sein. Man solle den Menschen auch die Möglichkeit geben, ihr Leben neu anzupacken, und sie nicht immer an dem messen, was in der Vergangenheit war.
„Also mach nicht so einen Aufstand! Es ist glücklicherweise niemandem etwas geschehen! Das ist eine Erleichterung. Tschüssi.“
Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte es erneut. Ein Konrad Hape vom Landboten meldete sich und wollte wissen, wie ich mich nach der Geiselnahme fühlte. Ich hängte wortlos ein.
Nachbarin Marthe aus der Wohnung über mir kam an die Tür: „Hast du einen Schock?“
„Logisch hat sie das!“, mischte sich Heiri, der Pensionär von schräg gegenüber ein, er war ebenfalls zu uns getreten.
„Ich habe gerade einen Apfelkuchen gebacken. Magst du ein Stück?“, auch Lehrerin Sonja kam.
„Magst du reden?“
„Willst du einen Kaffee oder besser einen Schnaps?“
„Oder einen Arzt?“
Leute, die ich nur vom Sehen kannte, kamen mich besuchen und wollten mich trösten. Ich wurde wie eine Heldin umarmt, man schaute mir tief in die Augen, um darin nach dem Schock zu suchen, und klopfte mir auf die Schultern. Nach und nach beantwortete ich alle Fragen. Im Gegenzug wollte ich von ihnen wissen, was sie von dem Verschwinden der Mädchen hielten. Doch niemand schien gewusst zu haben, dass sie vermisst wurden. Es war unglaublich. Mein Herz begann zu rasen und ich musste mich setzen. Wie Blitze schossen mir Bilder von früher durch den Kopf. Wie ich rannte und verzweifelt das Kind suchte. Währenddessen plapperte mein Mund einfach weiter.
„Ich konnte mich einfach nicht damit abfinden, dass mein letzter Anblick auf Erden nicht George Clooney, sondern ein schrumpeliger alter Kerl sein würde, dem mehr Haare aus der Nase wachsen als auf dem Kopf.“
Ein entspanntes Grinsen zeigte sich auf den besorgt dreinblickenden Gesichtern um mich herum. Ihre Anteilnahme wärmte mir das Herz und beruhigte mich. Man gab mir das Gefühl, gut aufgehoben zu sein.
Hier, in Berwil, in diesem kleinen, am äußeren Rand des Zürcher Weinlandes gelegenen Ort, war tagsüber nicht viel los. Die meisten der Berufstätigen fuhren nach Winterthur oder Zürich zur Arbeit, wodurch das Dorf in eine Art Dämmerzustand verfiel. Einzig ein paar rüstige Rentner mischten die Ruhe auf. Oder eine Handvoll Offroader lenkender Mütter, die Kind und Kegel in die Schule, die Ballettstunde oder den Agilitykurs und wieder zurück karrten. Wer hierhin zog, sehnte sich nach dem beschaulichen Landleben. Über die Hügel spannten sich grüne, gelbe und braune Felder und bildeten ein natürliches Mosaik, das von wuchtigen Waldstücken eingerahmt wurde. Auf meine von der Bildschirmarbeit abgestumpften Augen wirkte die Landschaft wie eine Frischzellenkur. Hier brach nur Hektik aus, wenn es um die Feuerwehrhauptübung ging.
Den Dorfkern bildete die Kirche mit ihrem Vorplatz, flankiert vom alten Schulhaus und dem Dorfladen. Das Restaurant Linde an der Hauptstraße unten und zwei außerhalb siedelnde Bauern, denen achtzig Prozent des Grund und Bodens gehörten, rundeten das typische Bild der Landgemeinde ab.
Zugegeben, es war nicht Liebe auf den ersten, doch immerhin auf den zweiten Blick gewesen, die mich bewogen hatte, hierher zu ziehen. Um ganz genau zu sein, war es die Liebe zu einem Mann gewesen: Herbert K., wortgewandter und erfolgreicher Verkaufsleiter einer Billig-Detailhandelskette. Die Liebe hatte leider nicht gehalten. Herbert war die Nähe zu den Leuten im Dorf zu viel geworden, er hatte sich überwacht und exponiert gefühlt. Nach neun Monaten verschwand er über Nacht, mit einer Jüngeren. Ich blieb. Anfangs hoffte ich, er würde reumütig zurückkehren. Doch nichts geschah. Später blieb ich, weil ich mich hier wohlfühlte und mir die Menschen ans Herz gewachsen waren. Hier kümmerte man sich umeinander. Die Nachbarn kamen mit Selbstgebackenem