MONTE. Eveline Keller

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MONTE - Eveline Keller

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man unbedingt degustieren musste. Oder man hielt einen Schwatz über den Gartenzaun.

      Die Folge dieses engen Zusammenhalts war, dass mir die ganze Aufregung um Furrers Überfall nach einer Weile zu anstrengend wurde. Meine besorgten Freunde und Nachbarn ließen sich die Geschichte immer wieder erzählen, bis mir der Kopf brummte. Ich brauchte dringend eine Dusche und etwas Zeit für mich, um meine Gedanken zu ordnen. Also versicherte ich all den lieben Leuten, dass mir auch wirklich nichts weiter fehle als ein bisschen Ruhe. Seufzend schloss ich hinter dem Letzten die Tür.

      Unter der Brause seifte ich mich ausgiebig ein, ich hatte das Bedürfnis, den ganzen Albtraum durch den Ausguss zu spülen. Warum wusste niemand etwas über die Mädchen? Warum diese Heimlichtuerei? Die Worte „Pornoring“ und „verschachern“, die der Großvater benutzt hatte, drehten sich ununterbrochen in meinem Kopf.

      Ich wusste, wie es sich anfühlte, ein Kind zu verlieren. Eben war es noch da und im nächsten Augenblick ist es weg. Es passierte damals, als ich Babysitterin war und die vier Jahre alte Mona hütete. Ich war mit ihr auf einen Kinderspielplatz gegangen. Sie spielte munter mit den anderen Kindern im Sandkasten Kuchen backen. Danach folgte ihr mein Blick, wie sie zum Kletterturm lief. Ich ließ mich für einen kurzen Augenblick ablenken. Als ich wieder hochschaute, war sie verschwunden. Erst rief ich nach ihr, kletterte selber auf den Turm und suchte. Mit zunehmender Sorge rannte ich auf und ab. Ich fragte jeden, der da war. Aber keiner konnte mir helfen. Alle schauten sie mich mitleidig an. Niemand wusste etwas. Panik stieg in mir auf. War Mona einer fremden Person gefolgt? Hatte man sie weggelockt? War ihr etwas zugestoßen? Musste sie leiden? Spürte man in dem Fall nicht etwas – im Herzen oder im Bauch? Und diese Ohnmacht! War sie schon gestorben? Was spürte ich?

      Stunden später wurde Mona bei einer Nachbarin gefunden. Sie war ihr und ihrer Tochter nach Hause gefolgt und hatte bei ihnen weitergespielt. In der Zwischenzeit hatte ich Monas Mutter und den Vater informiert, schließlich auch die Polizei. Ich hatte Glück gehabt. Den Job als Babysitterin war ich trotzdem los.

      Insofern konnte ich Hans Furrer schon gut verstehen. Die Ungewissheit, die Sorgen und Ängste ließen ihn sicherlich keinen Schlaf finden. Ich würde mein Versprechen halten. Aber meine Möglichkeiten waren momentan eingeschränkt – hier, zu Hause. Noch tropfend trat ich aus der Dusche und rubbelte mich mit energischen Bewegungen trocken.

      Mein Telefon klingelte unentwegt, bis ich es lautlos stellte. Aus der Tür treten konnte ich auch nicht, ohne dass mich Fotografen bestürmten:

      „Kennen Sie Furrer schon lange?“

      „Stecken Sie mit ihm unter einer Decke?“

      „Warum wurde für das Auffinden der Mädchen bisher nichts unternommen?“

      Genervt wünschte ich den wirbligen Furrer mitsamt seiner abgängigen Familie ins Pfefferland. Warum hatte er sich ausgerechnet mich für seinen Stunt aussuchen müssen?

      Erst am vergangenen Tag war ich in der Sitzung der Sozialbehörde gerügt worden, ich solle an meiner Teamfähigkeit arbeiten. Teamfähigkeit!

      Ein Selbstverteidigungskurs und Schießübungen hätten mir mehr geholfen.

      2.

      Vor der steil aufragenden Felswand, durch Büsche vor neugierigen Blicken geschützt, konnte man die Häuschen kaum ausmachen. Sie waren aus aufeinandergeschichteten Steinen und Ziegeln erschaffen worden, wie es früher im Tessin üblich war. Die Gebäude waren baufällig und bei den meisten waren die Dächer eingestürzt, so auch beim größten, dem Wohnhaus. Es war mit Efeu und Moos überwachsen, über das klaffende Loch hatte man eine Plache gespannt. An der linken Hauswand suchte ein wackeliger Hühnerstall Halt, der umzäunt war von Armierungseisengittern. Daran wiederum angelehnt folgten die Kaninchenställe. Ein paar Meter entfernt hausten die Ziegen in einer kleinen Steinruine mit ebenfalls kaputtem Dach.

      Neben der Hofeinfahrt befand sich ein Hundezwinger, der aus einer Holzwand und einem Blechdach bestand und mit denselben Armierungseisengittern eingehegt war. Umsäumt wurde das Anwesen von einer meterhohen Trockenmauer.

      Eine Kinderstimme durchbrach die Stille: „Kleine Andie, spiel mit mir.“

      Mara, die ältere der beiden, tanzte um ihre sechsjährige Schwester herum. Diese zeigte lachend ihre Zahnlücke. Sie wollte die Schritte nachahmen und rief übermütig: „Siehst du, ich kann es.“

      Doch dann knickte Andreas linker Fuß ein und sie schrie auf. Vor Schmerz und Enttäuschung schossen ihr Tränen in die Augen und sie blieb am Boden liegen.

      „Vorsicht! Hoppla. Hast du dir wehgetan?“

      Mara war gleich bei ihr und wischte die Kiesel, die sich schmerzhaft in die kleinen Handflächen gegraben hatten, weg. Mangels eines Taschentuchs nahm sie etwas Spucke und verteilte sie wie eine Salbe auf der wunden Stelle.

      „So! Gleich ist es wieder gut.“

      In solchen Situationen vermisste sie ihre Mama am meisten. Keiner war da, der sie tröstete und sie in den Arm nahm. Allein, auf sich gestellt, weitab von jedem Menschen, fühlten sie sich einsam und verlassen.

      Mama hatte oft mit ihnen Ringelreihen getanzt, doch das war lange her. Auf Tremontis Hof sang oder spielte keiner mit ihnen. Und Märchen erzählten sie sich, so gut es ging, selbst. Mara liebte die Geschichte vom Froschkönig. Andrea gefiel Rotkäppchen besser. Ihrer beider Favorit war Hänsel und Gretel, die Erzählung vom Geschwisterpaar, das die Hexe im Wald austrickste. Den Inhalt schmückten sie sich in allen Farben aus und ersannen Fortsetzungen.

      Mara hatte sie alle schon getroffen, den Frosch, den bösen Wolf und die Hexe. Manchmal nachts, wenn Andrea sich vor einem Ungeheuer fürchtete und nicht einschlafen konnte, fragte sie: „Wo ist Mama?“

      In solchen Momenten erdrückte die beiden der Schmerz über den Tod ihrer Mutter beinahe und sie fühlten sich von der ganzen Welt vergessen. Mara versuchte sie dann zu beruhigen und gab sich überzeugt, dass ihnen Mama aus dem Himmel zusehe. Der Pfarrer hatte ihnen geraten, viel zu beten und ganz brav zu sein. Dann würde Mama ihnen eines Tages helfen.

      Auf Andreas Frage, warum Mama sie alleine gelassen habe, erklärte Mara, dass sie jetzt Gott gefallen müsse und deshalb keine Zeit mehr für sie habe. Tröstend kuschelte sie sich dann fest an die Jüngere und deren ängstliches Zittern klang langsam ab. Anschließend erzählte Mara ihr ihre Lieblingsgeschichte: „Es war einmal ein Mädchen mit einem roten Käppchen und ein böser Wolf.“

      Es war ein guter Anfang für ein Märchen. Ihre Geschichte könnte man ebenso erzählen. Doch wenn das Leben aufhört, ist man tot. Nur, sie beide waren nicht tot. Obwohl das Leben für sie aufgehört hatte, als ihre Mutter starb.

      Nach der Beerdigung, an der der Pfarrer so lange geredet hatte, dass Andrea die Augen zugefallen waren, war ihr Vater mit ihnen weggezogen. Weil er kein Haus besaß, reisten sie von einem Ort zum anderen, bis er ihnen schließlich erklärte, dass sie nicht länger bei ihm bleiben könnten, denn er habe nicht genug Geld, um ein Zuhause für sie alle zu bezahlen. Es reiche gerade nur für ihn.

      Daraufhin brachte er sie auf den Hof zu Tremonti. Der Eigenbrötler begrüßte sie freundlich und neckte sie. Er war etwas kleiner und dicker als Papa und hatte ein rötliches Gesicht, dessen untere Hälfte von einem Stoppelbart bedeckt war. Von den wenigen verbliebenen Haaren fielen ihm ein paar blonde Strähnen in die Augen, die er geübt wegstrich. Mit nachlässig eingestecktem Trägerleibchen, das sich über seinem Bauch spannte, servierte er Schokoladenkuchen mit Kakao. Dabei alberte er mit ihnen herum.

      Papa

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